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La forza del destino
(Die Macht des Schicksals)


Oper in vier Akten
Libretto von Francesco Maria Piave
nach dem Drama Don Álvaro o La fuerza del sino von Ángelo de Saavedra Duque de Riva
Neufassung von Antonio Ghislanzoni
Musik von Giuseppe Verdi


in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3 h 30' (eine Pause)

Premiere im Aalto-Theater Essen am 9. November 2024


Logo:  Theater Essen

Theater und Philharmonie Essen
(Homepage)
Hochemotionale Musik mit teils fragwürdigen Regie-Einfällen

Von Thomas Molke / Fotos: © Alvise Predieri 

Nach Un ballo in maschera beschloss Giuseppe Verdi eigentlich, sich aus dem Theaterleben zurückzuziehen und ganz der Politik zu widmen. 1860 ließ er sich auch für den Wahlkreis Busseto in das neue Parlament wählen und gab bei der Konstituierung des "neuen Italiens" sein Votum ab. Doch dann kam ein Angebot aus Sankt Petersburg, eine neue Oper für das Bolschoi-Theater zu schreiben. Dem konnte Verdi nicht widerstehen und beendete seine recht kurze Karriere als Politiker. Als Stoff wählte er ein Drama des spanischen Herzogs und Schriftstellers Ángel de Saavedra Duque de Rivas, dessen Werke ganz in der Tradition Victor Hugos verfasst waren. Gemeinsam mit seinem Librettisten Francesco Maria Piave verdichtete Verdi das Stück auf vier Akte. Auch Verdis Vorliebe für Friedrich Schiller fand darin noch Platz, indem er dem Geistlichen Fra Melitone fast wörtlich die Worte der sogenannten "Kapuzinerpredigt" aus Schillers Wallensteins Lager in den Mund legte. Der Uraufführung in Sankt Petersburg am 29. Oktober 1862 war jedoch nur ein mäßiger Erfolg beschieden, was zum einen an der verworrenen Handlung und zum anderen an dem für die damalige Zeit zu drastischen Ende mit dem Tod aller drei Hauptfiguren lag. Deshalb plante Verdi eine Umarbeitung, die Piave allerdings nicht mehr umsetzen konnte, da er einen Schlaganfall erlitt. Antonio Ghislanzoni nahm einige Änderungen im Ablauf des dritten Aktes vor, reduzierte den Schluss auf "nur" zwei Tote, und Verdi fügte anstelle des kurzen Orchestervorspiels der Urfassung die berühmte sinfonische Ouvertüre ein, die das Schicksalsmotiv zitiert und mittlerweile auch Eingang ins Konzertrepertoire gefunden hat. So hat man sich auch in Essen für die zweite Fassung entschieden.

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Der Marchese di Calatrava (Andrei Nicoara, links) will die Flucht seiner Tochter Leonora (Astrik Khanamiryan) mit Alvaro (Jorge Puerta) verhindern.

Ähnlich wie bei Verdis Il trovatore ist auch bei La forza del destino die Handlung absolut verworren. Außerdem weist sie zahlreiche Brüche im Ablauf auf, die immer wieder nahelegen, dass hier einzelne Teile fehlen, die für das Verständnis wichtig wären. Daher zählt die Oper auch zu den "Problemstücken" des späteren Verdi. Im Zentrum stehen drei Personen: Leonora di Vargas, ihr Bruder Carlo und Don Alvaro. Alvaro und Leonora lieben einander, doch Leonoras Vater, der Marchese di Calatrava, hält die Verbindung für nicht standesgemäß und verbietet sie. Daher planen die beiden die Flucht, werden jedoch vom Marchese überrascht. Dabei löst sich ein Schuss, der den Marchese tödlich verletzt. Leonora und Alvaro fliehen, verlieren sich auf der Flucht und werden von Carlo verfolgt, der blutige Rache für den Mord am Vater nehmen möchte. Leonora gelangt schließlich in ein Kloster zu Padre Guardiano, der sie als Eremit vor der Außenwelt versteckt. Alvaro und Carlo treffen im Krieg unerkannt aufeinander und schließen ewige Freundschaft, nachdem Alvaro Carlo das Leben gerettet hat. Als Alvaros Identität schließlich durch ein Bildnis Leonoras auffliegt, fordert Carlo ihn zum Duell. Alvaro zieht sich in das gleiche Kloster zurück, in dem sich auch Leonora befindet, ohne zu wissen, dass auch sie dort ist. Carlo verfolgt ihn, und es kommt schließlich zum Duell, bei dem Alvaro Carlo tödlich verletzt. Die als Eremit getarnte Leonora soll Carlo als Beichtvater dienen. Als die Geschwister einander erkennen, tötet Carlo Leonora mit letzter Kraft, bevor er selbst stirbt. Alvaro bleibt verzweifelt zurück.

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Preziosilla (Bettina Ranch, Mitte) stachelt das Volk (Opernchor mit Albrecht Kludszuweit als Trabuco und Hyeong Joon Ha als Alcade auf der rechten Seite) zum Krieg an.

Das Regie-Team um die slowakische Regisseurin und Performerin Sláva Daubnerová legt die Oper relativ zeitlos an und verzichtet auf konkrete Bezüge auf den Spanischen und Österreichischen Erbfolgekrieg oder Aktualisierungen, die mit den teils kriegsverherrlichenden Gesängen der Wahrsagerin Preziosilla und der Begeisterung des Volkes für die Schlacht in einer Welt, die von zahlreichen aktuellen kriegerischen Auseinandersetzungen gezeichnet ist, dem Regie-Team nicht angebracht erschien. Stattdessen verdeutlichen das Bühnenbild von Volker Hintermeier und Videoprojektionen von Andreas Deinert relativ abstrakt die allgemeine Grausamkeit des Krieges. Eine riesige Statue, die der "Mutter Heimat ruft" im russischen Wolgograd nachempfunden ist und die 1967 als Erinnerung an die Schlacht von Stalingrad eingeweiht worden ist, dominiert die Bühne im zweiten Akt und spornt das Kriegstreiben an. Im dritten Akt ist sie dann in ihre Einzelteile zerlegt und steht somit für die zerstörerischen Auswirkungen des Krieges. Auf einen Gaze-Vorhang vor der Bühne werden immer wieder marschierende Soldaten projiziert, die sich zu unzähligen Massen potenzieren. Für das Klosterleben werden mehrere dunkle Bühnenelemente mit zahlreichen weißen Leuchtstoffröhren auf die Bühne geschoben, die den Ort ebenfalls recht abstrakt halten und keiner speziellen Glaubensrichtung zuordnen lassen.

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Leonora (Astrik Khanamiryan, Mitte) während der Ouvertüre mit Preziosilla (Bettina Ranch, links) und einer Statistin (rechts) als Alter Ego

Dieser gesellschaftlichen Ebene, für die Verdi große Chortableaus geschaffen hat, steht die private Ebene mit den drei Hauptfiguren gegenüber, die nahezu kammerspielartige Züge aufweist. Daubnerová konzentriert sich hierbei auf die "weibliche" Sicht und die Figur der Leonora. Da sie im dritten Akt eigentlich nicht vorkommt, lässt Daubnerová sie dort wie einen Fremdkörper zwischen Carlo und Alvaro umherwandeln und nimmt Carlos Mord an Leonora im vierten Akt bereits vorweg. Auch die sinfonische Ouvertüre steht szenisch ganz im Zeichen Leonoras, die hier dreifach als Anspielung auf die drei Moiren der griechischen Mythologie auftritt. In einem weißen Hochzeitskleid erscheint sie mit wallendem schwarzem Haar zwischen zwei hohe durchsichtige Bühnenelemente, hinter denen jeweils zwei Frauen in demselben weißen Kleid stehen, das jedoch mit Blut verschmiert ist und damit die schrecklichen Todesfälle, die im weiteren Verlauf folgen, ankündigt. Wieso die eine Figur dabei mit blonden Haaren die Darstellerin der Preziosilla ist, erschließt sich nicht wirklich, da keinerlei Zusammenhang zwischen den beiden Figuren im Stück besteht, auch wenn Daubnerová sie immer wieder als stumme Rollen aufeinandertreffen lässt. Die dritte "Leonora", eine Statistin, ist zumindest optisch der Darstellerin nachempfunden. Die im Programmheft abgedruckte Videosequenz, die die drei Frauen als Moiren zeigt, ist auf dem Gaze-Vorhang aber genauso schlecht zu erkennen wie das Zusammenspiel zwischen Preziosilla und Leonora in der Projektion, weil ein grell ins Publikum leuchtender Scheinwerfer verhindert, dass man viel in den Video-Einspielungen erkennen kann.

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Alvaro (Jorge Puerta, rechts) und Carlo (Massimo Cavalletti, links) schwören sich ewige Freundschaft, ohne zu wissen, wer der andere ist.

Sinn macht die inszenierte Ouvertüre nicht, zumal Leonora hier bereits mit der Waffe hantiert, mit der später ihr Vater erschossen wird. Hier erschießt sie ihr Alter Ego, die Statistin. Auch ist es bei Daubnerová im ersten Akt Leonora, die die Waffe in der Hand hält, wenn sich der tödliche Schuss auf ihren Vater löst. Hat sie also den eigenen Vater versehentlich getötet? Soll damit gerechtfertigt werden, wieso Carlo sowohl an dem Geliebten als auch an der eigenen Schwester Rache nehmen will? Auch die Videoprojektionen von Deinert, die diesen Aspekt der Inszenierung beleuchten sollen, erschließen sich nicht, weil sie entweder wegen der Scheinwerfereinstellungen schlecht zu erkennen sind oder, wenn man denn etwas sehen kann, nicht klar wird, was die gezeigte Szene bedeuten soll. So schneidet sich Leonora in der Projektion beispielsweise die Haare ab oder wird von Preziosilla frisiert, bevor die Szene später auf der Bühne gezeigt wird. Auch dass die Requisite für das Duell zwischen Carlo und Alvaro nur eine Pistole zur Verfügung stellt, macht keinen Sinn. So fuchtelt immer einer der beiden unmotiviert mit der Pistole herum, und man fragt sich, wieso der jeweilige Besitzer der Pistole den wehrlosen Gegner in diesem Moment nicht einfach erschießt, was der gesungene Text an dieser Stelle durchaus suggerieren würde. Dass der im vierten Akt wehrlos erschossene Carlo dann plötzlich in den Besitz dieser einen Pistole kommt, um sich zu erheben und die Schwester zu erschießen, wirkt haarsträubend unlogisch. So verwundert es vielleicht nicht, dass sich das Regie-Team am Ende einigen Unmutsbekundungen stellen muss.

Dafür entschädigt die musikalische Leistung des Abends. Generalmusikdirektor Andrea Sanguineti erweist sich am Pult der Essener Philharmoniker als absoluter Verdi-Kenner und taucht mit dem Orchester klanggewaltig in die emotionalen Tiefen der Partitur ein. Dabei findet er sehr intime, leise Momente, wenn es um das individuelle Schicksal der drei Hauptfiguren geht, und wechselt in einen martialischen Klang, wenn die Kriegstreiberin Preziosilla das Volk für den Kriegsdienst anwirbt. Auch der von Klaas-Jan de Groot einstudierte Opernchor des Aalto-Theaters leistet stimmlich und darstellerisch Gewaltiges. Als armes, einfaches Volk, das hofft, eine Brotkrume von den Tischen der Reichen zu ergattern, machen die Choristen absolut glaubhaft, dass Preziosillas Versprechungen bei ihnen Früchte tragen, wenn sie ihnen Ruhm als Oberst oder Kommandant verspricht. Auch die vom Krieg ermatteten Seelen werden wieder motiviert, wenn Preziosilla sie zu einem allgemeinen Liebesspiel auf der Bühne einlädt. Bettina Ranch ist in ihrem goldenen Kleid mit den langen blonden Haaren dabei nicht nur ein optischer Blickfang, sondern begeistert auch mit kraftvollem Mezzosopran und kämpferischen Tönen.

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Leonora (Astrik Khanamiryan) zwischen Alvaro (Jorge Puerta, links) und Carlo (Massimo Cavalletti, rechts)

Astrik Khanamiryan gestaltet die Partie der Leonora mit warm fließendem Sopran, der in den Höhen enorme Strahlkraft besitzt. Auch wenn man der szenischen Anlage ihrer Figur nicht immer folgen mag, setzt sie die Personenregie überzeugend um. Jorge Puerta verfügt als Alvaro über einen kraftvollen Tenor, der auch die sehr anspruchsvollen Höhen meistert mit kleinen Abstrichen, auch wenn sein Spiel ein wenig statisch ist. Massimo Cavalletti punktet als Carlo mit profundem Bariton und wird dem dunklen, rachsüchtigen Charakter in jeder Hinsicht gerecht. Roberto Scandiuzzi stattet die Partie des Padre Guardiano mit markantem Bass aus, der der Figur eine enorme Autorität verleiht. Karel Martin Ludvik legt den Fra Melitone mit buffoneskem Spiel und einer gewissen Komik an. Wieso er als Almosen an die Armen Bücher statt Essen verteilen muss, bleibt genauso unklar wie der Aufbau der Bücherstapel, wenn Leonora als Eremit in die Einöde entlassen wird. Stimmlich überzeugt Ludvik auch in der aus Schiller entnommenen Predigt im dritten Akt durch beweglichen Bariton. So gibt es für die musikalische Seite an diesem Abend einhelligen Jubel.

FAZIT

Einiges bleibt an diesem Abend szenisch unklar und belegt, wieso Verdis La forza zu den Problemstücken des "späten" Verdi zählt.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
*Andrea Sanguineti /
Wolfram-Maria Märtig

Inszenierung
Sláva Daubnerová

Bühne
Volker Hintermeier

Kostüme
Cedric Mpaka

Video
Andreas Deinert

Choreinstudierung
Klaas-Jan de Groot

Dramaturgie
Patricia Knebel
Laura Bruckner

 

Essener Philharmoniker

Opernchor des Aalto-Theaters

Statisterie des Aalto-Theaters


Solistinnen und Solisten

*Premierenbesetzung

Il Marchese di Calatrava
Andrei Nicoara

Donna Leonora
Astrik Khanamiryan

Don Carlo di Vargas
*Massimo Cavalletti /
Stefano Meo

Don Alvaro
*Jorge Puerta /
Antonello Palombi

Preziosilla
Bettina Ranch

Padre Guardiano
*Roberto Scandiuzzi /
Almas Svilpa

Fra Melitone
Karel Martin Ludvik

Curra
Ks. Marie-Helen Joël /
*Tina Drole

Un alcade
Hyeong Joon Ha

Mastro Trabuco
*Alejandro del Angel /
Albrecht Kludszuweit

Un chirurgo
Yancheng Chen

Musiker
Stefan Kellner






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