Hochemotionale Musik mit teils fragwürdigen Regie-Einfällen
Von Thomas Molke
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Fotos: © Alvise Predieri Nach Un ballo in maschera
beschloss Giuseppe Verdi eigentlich, sich aus dem Theaterleben zurückzuziehen
und ganz der Politik zu widmen. 1860 ließ er sich auch für den Wahlkreis Busseto
in das neue Parlament wählen und gab bei der Konstituierung des "neuen
Italiens" sein Votum ab. Doch dann kam ein Angebot aus Sankt Petersburg, eine
neue Oper für das Bolschoi-Theater zu schreiben. Dem konnte Verdi nicht
widerstehen und beendete seine recht kurze Karriere als Politiker. Als Stoff wählte
er ein Drama des spanischen Herzogs und Schriftstellers Ángel de Saavedra Duque
de Rivas, dessen Werke ganz in der Tradition Victor Hugos verfasst waren.
Gemeinsam mit seinem Librettisten Francesco Maria Piave verdichtete Verdi das
Stück auf vier Akte. Auch Verdis Vorliebe für Friedrich Schiller fand darin noch
Platz, indem er dem Geistlichen Fra Melitone fast wörtlich die Worte der
sogenannten "Kapuzinerpredigt" aus Schillers Wallensteins Lager in den
Mund legte. Der Uraufführung in Sankt Petersburg am 29. Oktober 1862 war jedoch
nur ein mäßiger Erfolg beschieden, was zum einen an der verworrenen Handlung und
zum anderen an dem für die damalige Zeit zu drastischen Ende mit dem Tod aller
drei Hauptfiguren lag. Deshalb plante Verdi eine Umarbeitung, die Piave
allerdings nicht mehr umsetzen konnte, da er einen Schlaganfall erlitt. Antonio
Ghislanzoni nahm einige Änderungen im Ablauf des dritten Aktes vor, reduzierte
den Schluss auf "nur" zwei Tote, und Verdi fügte anstelle des kurzen
Orchestervorspiels der Urfassung die berühmte sinfonische Ouvertüre ein, die das
Schicksalsmotiv zitiert und mittlerweile auch Eingang ins Konzertrepertoire
gefunden hat. So hat man sich auch in Essen für die zweite Fassung entschieden.
Der Marchese di Calatrava (Andrei Nicoara, links)
will die Flucht seiner Tochter Leonora (Astrik Khanamiryan) mit Alvaro (Jorge
Puerta) verhindern.
Ähnlich wie bei Verdis Il trovatore ist auch bei La forza del destino
die Handlung absolut verworren. Außerdem weist sie zahlreiche Brüche im Ablauf
auf, die immer wieder nahelegen, dass hier einzelne Teile fehlen, die für das
Verständnis wichtig wären. Daher zählt die Oper auch zu den "Problemstücken" des
späteren Verdi. Im Zentrum stehen drei Personen: Leonora di Vargas, ihr Bruder
Carlo und Don Alvaro. Alvaro und Leonora lieben einander, doch Leonoras Vater,
der Marchese di Calatrava, hält die Verbindung für nicht standesgemäß und
verbietet sie. Daher planen die beiden die Flucht, werden jedoch vom Marchese überrascht. Dabei löst sich ein Schuss, der den Marchese tödlich
verletzt. Leonora und Alvaro fliehen, verlieren sich auf der Flucht und werden
von Carlo verfolgt, der blutige Rache für den Mord am Vater nehmen möchte.
Leonora gelangt schließlich in ein Kloster zu Padre Guardiano, der sie als
Eremit vor der Außenwelt versteckt. Alvaro und Carlo treffen im Krieg unerkannt
aufeinander und schließen ewige Freundschaft, nachdem Alvaro Carlo das Leben
gerettet hat. Als Alvaros Identität schließlich durch ein Bildnis Leonoras
auffliegt, fordert Carlo ihn zum Duell. Alvaro zieht sich in das gleiche Kloster
zurück, in dem sich auch Leonora befindet, ohne zu wissen, dass auch sie dort
ist. Carlo verfolgt ihn, und es kommt schließlich zum Duell, bei dem Alvaro
Carlo tödlich verletzt. Die als Eremit getarnte Leonora soll Carlo als Beichtvater dienen. Als
die Geschwister einander erkennen, tötet Carlo Leonora mit letzter Kraft, bevor er
selbst stirbt. Alvaro bleibt verzweifelt zurück.
Preziosilla (Bettina Ranch, Mitte) stachelt das
Volk (Opernchor mit Albrecht Kludszuweit als Trabuco und Hyeong Joon Ha als
Alcade auf der rechten Seite) zum Krieg an.
Das Regie-Team um die slowakische Regisseurin und Performerin Sláva Daubnerová
legt die Oper relativ zeitlos an und verzichtet auf konkrete Bezüge auf den
Spanischen und Österreichischen Erbfolgekrieg oder Aktualisierungen, die mit den
teils kriegsverherrlichenden Gesängen der Wahrsagerin Preziosilla und der
Begeisterung des Volkes für die Schlacht in einer Welt, die von zahlreichen
aktuellen kriegerischen Auseinandersetzungen gezeichnet ist, dem Regie-Team
nicht angebracht erschien. Stattdessen verdeutlichen das Bühnenbild von Volker
Hintermeier und Videoprojektionen von Andreas Deinert relativ abstrakt die
allgemeine Grausamkeit des Krieges. Eine riesige Statue, die der "Mutter Heimat
ruft" im russischen Wolgograd nachempfunden ist und die 1967 als Erinnerung an
die Schlacht von Stalingrad eingeweiht worden ist, dominiert die Bühne im
zweiten Akt und spornt das Kriegstreiben an. Im dritten Akt ist sie dann in ihre
Einzelteile zerlegt und steht somit für die zerstörerischen Auswirkungen des
Krieges. Auf einen Gaze-Vorhang vor der Bühne werden immer wieder marschierende
Soldaten projiziert, die sich zu unzähligen Massen potenzieren. Für das
Klosterleben werden mehrere dunkle Bühnenelemente mit zahlreichen weißen
Leuchtstoffröhren auf die Bühne geschoben, die den Ort ebenfalls recht abstrakt
halten und keiner speziellen Glaubensrichtung zuordnen lassen.
Leonora (Astrik Khanamiryan, Mitte) während der
Ouvertüre mit Preziosilla (Bettina Ranch, links) und einer Statistin (rechts)
als Alter Ego
Dieser gesellschaftlichen Ebene, für die Verdi große Chortableaus geschaffen
hat, steht die private Ebene mit den drei Hauptfiguren gegenüber, die nahezu
kammerspielartige Züge aufweist. Daubnerová konzentriert sich hierbei auf die
"weibliche" Sicht und die Figur der Leonora. Da sie im dritten Akt eigentlich
nicht vorkommt, lässt Daubnerová sie dort wie einen Fremdkörper zwischen Carlo
und Alvaro umherwandeln und nimmt Carlos Mord an Leonora im vierten Akt bereits
vorweg. Auch die sinfonische Ouvertüre steht szenisch ganz im Zeichen Leonoras,
die hier dreifach als Anspielung auf die drei Moiren der griechischen Mythologie
auftritt. In einem weißen Hochzeitskleid erscheint sie mit wallendem schwarzem Haar
zwischen zwei hohe durchsichtige Bühnenelemente, hinter denen jeweils zwei
Frauen in demselben weißen Kleid stehen, das jedoch mit Blut verschmiert ist und
damit die schrecklichen Todesfälle, die im weiteren Verlauf folgen, ankündigt.
Wieso die eine Figur dabei mit blonden Haaren die Darstellerin der Preziosilla
ist, erschließt sich nicht wirklich, da keinerlei Zusammenhang zwischen den
beiden Figuren im Stück besteht, auch wenn Daubnerová sie immer wieder als
stumme Rollen aufeinandertreffen lässt. Die dritte "Leonora", eine Statistin,
ist zumindest optisch der Darstellerin nachempfunden. Die im Programmheft
abgedruckte Videosequenz, die die drei Frauen als Moiren zeigt, ist auf dem
Gaze-Vorhang aber genauso schlecht zu erkennen wie das Zusammenspiel zwischen Preziosilla und Leonora in der Projektion, weil ein grell ins Publikum
leuchtender Scheinwerfer verhindert, dass man viel in den Video-Einspielungen erkennen
kann.
Alvaro (Jorge Puerta, rechts) und Carlo (Massimo
Cavalletti, links) schwören sich ewige Freundschaft, ohne zu wissen, wer der
andere ist. Sinn macht die inszenierte Ouvertüre
nicht, zumal Leonora hier bereits mit der Waffe hantiert, mit der
später ihr Vater erschossen wird. Hier erschießt sie ihr Alter Ego, die
Statistin. Auch ist es bei Daubnerová im ersten Akt Leonora, die die Waffe in der Hand hält,
wenn sich der tödliche Schuss auf ihren Vater löst. Hat sie also den eigenen
Vater versehentlich getötet? Soll damit gerechtfertigt werden, wieso Carlo
sowohl an dem Geliebten als auch an der eigenen Schwester Rache nehmen will?
Auch die Videoprojektionen von Deinert, die diesen Aspekt der Inszenierung
beleuchten sollen, erschließen sich nicht, weil sie entweder wegen der
Scheinwerfereinstellungen schlecht zu erkennen sind oder, wenn man denn etwas
sehen kann, nicht klar wird, was die gezeigte Szene bedeuten soll. So schneidet
sich Leonora in der Projektion beispielsweise die Haare ab oder wird von
Preziosilla frisiert, bevor die Szene später auf der Bühne gezeigt wird. Auch
dass die Requisite für das Duell zwischen Carlo und Alvaro nur eine Pistole zur
Verfügung stellt, macht keinen Sinn. So fuchtelt immer einer der beiden
unmotiviert mit der Pistole herum, und man fragt sich, wieso der jeweilige
Besitzer der Pistole den wehrlosen Gegner in diesem Moment nicht einfach
erschießt, was der gesungene Text an dieser Stelle durchaus suggerieren würde.
Dass der im vierten Akt wehrlos erschossene Carlo dann plötzlich in den Besitz
dieser einen Pistole kommt, um sich zu erheben und die Schwester zu erschießen,
wirkt haarsträubend unlogisch. So verwundert es vielleicht nicht, dass sich das
Regie-Team am Ende einigen Unmutsbekundungen stellen muss.
Dafür entschädigt die musikalische Leistung des Abends. Generalmusikdirektor
Andrea Sanguineti erweist sich am Pult der Essener Philharmoniker als absoluter
Verdi-Kenner und taucht mit dem Orchester klanggewaltig in die emotionalen
Tiefen der Partitur ein. Dabei findet er sehr intime, leise Momente, wenn es um
das individuelle Schicksal der drei Hauptfiguren geht, und wechselt in einen
martialischen Klang, wenn die Kriegstreiberin Preziosilla das Volk für den
Kriegsdienst anwirbt. Auch der von Klaas-Jan de Groot einstudierte Opernchor des
Aalto-Theaters leistet stimmlich und darstellerisch Gewaltiges. Als armes,
einfaches Volk, das hofft, eine Brotkrume von den Tischen der Reichen zu
ergattern, machen die Choristen absolut glaubhaft, dass Preziosillas
Versprechungen bei ihnen Früchte tragen, wenn sie ihnen Ruhm als Oberst oder
Kommandant verspricht. Auch die vom Krieg ermatteten Seelen werden wieder
motiviert, wenn Preziosilla sie zu einem allgemeinen Liebesspiel auf der Bühne
einlädt. Bettina Ranch ist in ihrem goldenen Kleid mit den langen blonden Haaren
dabei nicht nur ein optischer Blickfang, sondern begeistert auch mit kraftvollem
Mezzosopran und kämpferischen Tönen.
Leonora (Astrik Khanamiryan) zwischen Alvaro
(Jorge Puerta, links) und Carlo (Massimo Cavalletti, rechts) Astrik Khanamiryan
gestaltet die Partie der Leonora mit warm fließendem Sopran, der
in den Höhen enorme Strahlkraft besitzt. Auch wenn man der szenischen Anlage
ihrer Figur nicht immer folgen mag, setzt sie die Personenregie überzeugend um.
Jorge Puerta verfügt als Alvaro über einen kraftvollen Tenor, der auch die sehr
anspruchsvollen Höhen meistert mit kleinen Abstrichen, auch wenn sein Spiel ein wenig statisch ist.
Massimo Cavalletti punktet als Carlo mit profundem Bariton und wird dem dunklen,
rachsüchtigen Charakter in jeder Hinsicht gerecht. Roberto Scandiuzzi stattet
die Partie des Padre Guardiano mit markantem Bass aus, der der Figur eine enorme
Autorität verleiht. Karel Martin Ludvik legt den Fra Melitone mit buffoneskem
Spiel und einer gewissen Komik an. Wieso er als Almosen an die Armen Bücher
statt Essen verteilen muss, bleibt genauso unklar wie der Aufbau der
Bücherstapel, wenn Leonora als Eremit in die Einöde entlassen wird. Stimmlich
überzeugt Ludvik auch in der aus Schiller entnommenen Predigt im dritten Akt durch beweglichen Bariton. So gibt es für die musikalische Seite an
diesem Abend einhelligen Jubel.FAZIT
Einiges bleibt an diesem Abend szenisch unklar und belegt, wieso Verdis La
forza zu den Problemstücken des "späten" Verdi zählt.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
*Andrea Sanguineti /
Wolfram-Maria Märtig
Inszenierung
Sláva Daubnerová
Bühne
Volker Hintermeier
Kostüme
Cedric Mpaka
Video Andreas
Deinert
Choreinstudierung
Klaas-Jan de Groot
Dramaturgie
Patricia Knebel
Laura Bruckner Essener Philharmoniker
Opernchor des Aalto-Theaters Statisterie
des Aalto-Theaters
Solistinnen und Solisten
*Premierenbesetzung Il Marchese di Calatrava
Andrei Nicoara
Donna Leonora
Astrik Khanamiryan
Don Carlo di Vargas
*Massimo Cavalletti /
Stefano Meo Don Alvaro
*Jorge Puerta /
Antonello Palombi
Preziosilla
Bettina Ranch
Padre Guardiano
*Roberto Scandiuzzi /
Almas Svilpa
Fra Melitone
Karel Martin Ludvik
Curra
Ks.
Marie-Helen Joël /
*Tina Drole
Un alcade
Hyeong Joon Ha
Mastro Trabuco
*Alejandro del Angel /
Albrecht Kludszuweit
Un chirurgo
Yancheng Chen
Musiker
Stefan Kellner
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Aalto Musiktheater (Homepage)
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