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Parsifal

Bühnenweihfestspiel in drei Aufzügen
Text und Musik von Richard Wagner


in deutscher Sprache mit Übertiteln
Aufführungsdauer: ca. 5h 50' (zwei Pausen)

Premiere im Aalto-Theater Essen am 16. März 2025


Logo:  Theater Essen

Theater und Philharmonie Essen
(Homepage)
Dem Erlöser bleibt nur die Einsamkeit

Von Stefan Schmöe / Fotos von Matthias Jung

"Erlösung dem Erlöser": Zu den Rätseln des Parsifal gehört der Widerspruch zwischen dem vermeintlichen Retter Parsifal, der sich zum neuen König der Gralsgemeinschaft krönen lässt, und dessen eigener Bedürftigkeit nach Rettung. Aber Rettung wovon? Erlösung von einer unendlichen Irrfahrt, von einem endlosen Suchen nach Erkenntnis? Robert Schwab lenkt im Schlussbild seiner Neuinszenierung den Fokus ganz auf die Titelfigur in schier grenzenloser Einsamkeit. Sein Parsifal bleibt allein zurück. Kein Hofstaat, nirgends. Vielleicht bedeutet die Abwesenheit der Gralsgemeinschaft ja eine Freiheit von allen Zwängen. Das Ende bleibt offen. Eine "unanswered question", so formuliert es Schwab im Programmheft, in dem er seine Bildwelten ausführlich erläutert.

Vergrößerung in neuem Fenster Gurnemanz erzählt die Vorgeschichte - dazu sieht man den verwundeten Amfortas per Videoeinspielung.

Seine Inszenierung will dem Mysterium Parsifal keine konkrete Deutung geben. In Zusammenarbeit mit Piero Vinciguerra (Bühne), Gabriele Rupprecht (Kostüme) und Ruth Stofer (Video) setzt er der Musik große Bilder entgegen, die nicht die Handlung bebildern, sondern auf eigenwillige und zeitgemäße Art visuelle Metaphern erfinden. Als Grundmodell für alle drei Aufzüge dient das Metallskelett einer nach hinten gekrümmten Röhre, eine Art Tunnel, gleichzeitig an eine technische Zeichnung erinnernd. In der Physik, in Einsteins Relativitätstheorie, wird auf ähnliche Weise die Raum-Zeit-Krümmung verbildlicht ("zum Raum wird hier die Zeit", heißt der wohl meistzitierte Satz aus dem ersten Aufzug der Oper). Die Kreisform symbolisiert Parsifals Wanderschaft, die mehrfach auch per Videoprojektion gezeigt wird. Damit werden die drei Aufzüge auch zu Wiederholungsschleifen mit wachsendem Grad der Erkenntnis. Zu den Schlusstakten schwebt diese Röhre ein Stück empor. Ob das ein "gutes" Ende andeutet oder eine Existenz außerhalb von Zeit und Raum - den Tod? - beschreibt, muss der Betrachter selbst entscheiden. Um mit Brecht zu sprechen: Der Vorhang zu und alle Fragen offen.

Szenenfoto

Gralsenthüllung im ersten Aufzug: Die Welt ist offenbar auf Amfortas' Blut angewiesen.

In den ersten beiden Aufzügen ist die Bühne mit Wasser bedeckt, lebensspendendes Elixier. Zwischen dem zweiten und dritten Aufzug muss eine Katastrophe eingetreten sein. (Eine bereits vergangene? Eine zukünftige?). Wrackteile bedecken die nun ausgetrocknete Bühne. Eindrucksvoll gelungen ist die Gralsenthüllung im ersten Aufzug. Dazu wird Amfortas an etliche Schläuche angeschlossen und mit ausgestreckten Armen, eine Kreuzigungsmetapher, in seinem schneeweißen, hochkant gestellten Bett nach oben gezogen. Offenbar ist sein Blut die Antriebskraft dieses komplexen Systems. Klingsors Garten im zweiten Aufzug ist der Installation TV Garden von Nam June Paik (1932 - 2006) nachempfunden. In dem 1974 entstandenen Kunstwerk hatte Paik eine Reihe von Röhrenfernsehern mit 30-minütigem Film in Dauerschleife zwischen üppig wuchernde lebende Pflanzen gestellt. Schwab und sein Team bauen das ganz ähnlich nach, zeigen auf den Bildschirmen u. a. großformatige Augen und zwischendurch den jungen Parsifal in verschiedenen Altersstufen. Mit dem Untergang von Klingsors Welt fährt der gesamte Garten (der im Wasser steht) nach unten - auch das ein ganz starkes, nachhaltig wirkendes Bild. Ein wenig dünn dagegen die Anspielungen auf die Entstehung und Rezeption des Werkes. Im dritten Aufzug lebt Gurnemanz in einem Verschlag, auf dem mit Klebeband das Wort WAHNFRIED, der Name von Wagners Bayreuther Villa, aufgebracht ist. Dieser Gedankenstrang bleibt allerdings allzu nebensächlich, als dass er Wirkung entfalten könnte.

Vergrößerung in neuem Fenster Klingsors Zaubergarten in einer an Nam June Paik angelehnten Variante

Der Fluss der Musik lässt den visuellen Eindrücken die erforderliche Zeit, zumal die Geschichte mit einer genauen, aber unaufdringlichen Personenregie erzählt wird. Dirigent Andrea Sanguineti dirigiert einen introvertierten, oft sehr leisen Parsifal mit einem zurückgenommenen, samtenen Mischklang. Das mag orientiert sein an der (natürlich trotzdem ganz anderen) Akustik des Bayreuther Festspielhauses, für die Wagner den Parsifal komponierte. Was auch bedeutet, dass jedes Instrumentalsolo vom Gesamtklang her gestaltet ist und kaum einmal in der Lautstärke über das Piano hinausgehen darf. Die Essener Philharmoniker spielen mit außerordentlicher Disziplin, wie man sie im Aalto-Theater lange nicht mehr gehört hat. Das Ergebnis ist ein weicher, überaus homogener Klang, der sich als eine eigene Schicht über die Bühne legt. Sanguineti wählt dazu oft sehr langsame Tempi, die trotzdem fließend wirken. Es ist gar nicht so sehr die Metronomzahl, die das gefühlte Tempo bestimmt, sondern mehr der Charakter. Die Musik bleibt nie stehen, aber sie besitzt eine große Ruhe.

Szenenfoto

Ist der Erlöser nun auch wirklich erlöst? Parsifal bleibt allein zurück.

Die wenigen dramatischen Ausbrüche sind sorgsam gestaltet und werden schnell wieder zurückgenommen. Das führt in der langen Gurnemanz-Erzählung des ersten Aufzugs (von Sebastian Pilgrim mit sonorem Bass eher lyrisch als dramatisch gestaltet) und in Parsifals Begegnung mit Kundry im zweiten auch zu Problemen. Weil Sanguineti beständig und gemächlich die unendliche Melodie vorantreibt, aber wenig auf die Nuancen des Textes achtet, ziehen sich Gurnemanz' Ausführungen dann doch ziemlich lang hin. Und im zweiten Aufzug wäre dann doch mehr Dramatik nötig. Bettina Ranch singt als Kundry verführerisch schön im Piano, aber die Stimme ist kein echter dramatischer Sopran und bleibt im zweiten Teil ihrer für das Werk zentralen Konfrontation mit Parsifal den Wutausbrüchen einiges an vokaler Attacke schuldig. Dem baritonal dunkel timbrierten, gedeckten Tenor von Robert Wilson fehlt es an heldentenoralem Glanz wie am erforderlichen Volumen, zudem sind die Vokale oft unschön eingefärbt. Mit den auch vokal betörend schönen Blumenmädchen und Kundrys einschmeichelnden Verführungsversuchen gelingt der erste Teil des zweiten Aufzugs berührend, aber der dramatische Umschwung bleibt aus: Parsifals Aufschrei "Amfortas! - Die Wunde! - Sie brennt in meinem Herzen" - Umschlagpunkt der Oper - versandet ziemlich kraftlos. Der lyrischen Emphase, die Sanguineti der Musik gibt, fehlt es an dramatischem Gegengewicht. Solide, aber ebenfalls ohne große dramatische Akzente singen Heiko Trinsinger den Amfortas und Almas Svilpa den Klingsor. Der Chor ist, soweit er nicht in Gestalt von Gralsrittern direkt für die Handlung benötigt wird, auf die Nebenbühne verbannt. Klanglich wird dadurch eine interessante Fernwirkung erzeugt. Chor, Extrachor und Kinderchor (Einstudierung: Klaas-Jan de Groot und Patrick Jaskolka) singen sehr intonationsrein mit schwebendem Klang. Der Chorpart verliert gegenüber anderen Aufführungen des Werkes aber an Gewicht, er wirkt hier wie eine zusätzliche Farbe im Orchester. Vielleicht muss man das dahingehend deuten, dass diese Welt letztendlich ganz im Klang aufgeht.


FAZIT

Das Regieteam um Roland Schwab findet große, auch verstörende Bilder für den Parsifal, das Orchester unter der Leitung von Chefdirigent Andrea Sanguineti betörend schöne lyrische und mitunter zu wenig dramatische Töne. Sängerisch mit Licht und Schatten.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Andrea Sanguineti

Inszenierung
Roland Schwab

Bühne
Piero Vinciguerra

Kostüme
Gabriele Rupprecht

Video
Ruth Stofer

Chor
Klaas-Jan de Groot

Kinderchor
Patrick Jaskolka

Leitung der Bühnenmusik
Christopher Bruckman

Dramaturgie
Patricia Knebel



Statisterie des Aalto-Musiktheaters

Chor und Kinderchor des
Aalto-Musiktheaters

Essener Philharmoniker


Solisten

* Besetztung der Premiere

Parsifal
Robert Watson

Kundry
Bettina Ranch

Gurnemanz
Sebastian Pilgrim

Amfortas
Heiko Trinsinger

Klingsor
* Almas Svilpa /
Karel Martin Ludvik

Titurel
Andrei Nicoara

Stimme aus der Höhe
Hyejun Melania Kwon

Blumenmädchen 1. Gruppe
Lisa Wittig
Christina Clark
Cassandra Doyle

Blumenmädchen 2. Gruppe
Janina Dettenborn
Subin Park
Hyejun Melania Kwon

1. Gralsritter
Mykhailo Kushlyk

2. Gralsritter
Baurzhan Anderzhanov

1. Knappe
Lisa Wittig

2. Knappe
Hyejun Melania Kwon

3. Knappe
* Aljoscha Lennert/
Albrecht Kludszuweit

4. Knappe
Ju Hyeok Lee

Die Namenlose
Renate Henze






Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Aalto Musiktheater
(Homepage)




Da capo al Fine

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