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The Listeners

Oper in zwei Akten
Libretto von Royce Vavrek nach der Erzählung von Jordan Tannahill
Musik von Missy Mazzoli


in englischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2 h 45' (eine Pause)

Premiere und deutsche Erstaufführung im Aalto-Theater Essen am 25. Januar 2025
(rezensierte Aufführung: 09.02.2025)


Logo:  Theater Essen

Theater und Philharmonie Essen
(Homepage)
Von der Lehrerin und Mutter zum Kojoten

Von Thomas Molke / Fotos: © Alvise Predieri 

Wenn Sicherheitskräfte im zweiten Akt im Aalto Theater den Saal stürmen, könnte man meinen, man wäre in der Neuproduktion von Mozarts Zauberflöte gelandet. Während dieser Regie-Einfall im beliebten Opernklassiker allerdings für Unverständnis und Kopfschütteln sorgt, gehört diese Szene an diesem Abend durchaus ins Stück. Auf dem Spielplan steht die moderne Oper The Listeners der US-amerikanischen Komponistin Missy Mazzoli, die am 24. September 2022 als Auftragswerk der Opera Philadelphia, der Norwegian National Opera und der Chicago Lyric Opera im Opernhaus Oslo zur Uraufführung gelangte. Da die Intendantin des Aalto Musiktheaters Dr. Merle Fahrholz einen Schwerpunkt ihrer Programmgestaltung der Pflege von Komponistinnen im Musiktheater gewidmet hat, steht seit dem 25. Januar 2025 Mazzolis vierte Oper hier als deutsche Erstaufführung auf dem Plan. Die Handlung ist so aktuell und modern, dass die Sicherheitskräfte hier nicht wie ein Fremdkörper wirken.

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Claire (Betsy Horne, rechts) fühlt sich durch den Brummton mit dem Schüler Kyle (Aljoscha Lennert) verbunden, sehr zum Missfallen ihrer Tochter Ashley (Lisa Wittig, hinten links).

Die Handlung basiert auf der gleichnamigen Erzählung von Jordan Tannahill, die in Deutschland unter dem Titel Das Summen erschienen ist. Royce Vavrek, der auch schon in früheren Projekten mit Mazzoli zusammengearbeitet hat, hat den Roman zu einem Libretto umgeformt. Im Zentrum steht die Lehrerin und Mutter Claire Devon, die von einem tiefen, permanenten Brummton gequält wird, der ihr schlaflose Nächte bereitet und schließlich dazu führt, dass sie ihre Familie verlässt und ihren Job verliert. Zuflucht findet sie mit ihrem Schüler Kyle, der an dem gleichen Phänomen leidet, bei dem charismatischen Philosophen Howard Bard, der angeblich anderen Menschen mit diesem Problem geholfen hat und sie unter dem Namen "The Listeners" als Gruppe um sich versammelt hat. Claire fühlt sich in dieser Umgebung zunächst gut aufgehoben, erkennt aber im Laufe der Zeit, dass die Gruppe starke sektenähnliche Strukturen hat. Dabei steigt sie durch eine Liebesbeziehung mit Howard zu seiner "Nummer Zwei" auf und verdrängt seine bisherige Assistentin Angela. Als Dillon, ein weiteres Mitglied der Gruppe, Howards Macht hinterfragt, kommt es zum Eklat. Dillon schießt mit einer Waffe um sich und wird von der Polizei in Gewahrsam genommen. Als die Gruppe nach diesem Ereignis extrem unter dem Brummton leidet, beweist Angela, dass Howard selbst diesen Ton gar nicht hören kann und alle angelogen hat. Die Listeners wenden sich von Howard ab und wählen Claire zur neuen Anführerin, die sich damit komplett von ihrem früheren Leben lossagt und ganz ihrer neuen Bestimmung widmet.

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Heulen mit dem Kojoten: Claire (Betsy Horne) und der Kojote (Ivan Estegneev)

Eine besondere Rolle in dem Stück spielt die stumme Figur des Kojoten, der zwar auch in Vavreks Libretto vorkommt, in der Inszenierung des Teams um Anna-Sophie Mahler aber noch mehr ins Zentrum rückt und als Beobachter fast ständig auf der Bühne ist. Schon bevor die Oper beginnt, sieht man sein Fell in einer Videoprojektion auf dem schwarzen Vorhang. Nach der Pause wird er beim Reißen eines Tieres im Video gezeigt. Der Choreograph Ivan Estegneev schlüpft selbst in die Rolle und tritt mit einer Kojotenmaske mal im Fellmantel, mal ohne Mantel in menschlicher Kleidung auf. In besonderer Beziehung steht er zu Claire, die sich teilweise auch ein Fell um den Hals legt, um ihre Verbundenheit zum Kojoten hervorzuheben. Wie der Kojote steht sie zwischen der Zivilisation und der Wildnis und sucht die Befreiung von äußeren Zwängen. Bei ihr sind es der Job und ihre Familie, die verhindern, dass sie ihrer wahren Bestimmung folgen kann. Mahler geht in ihrer Inszenierung einen Schritt weiter, indem der Kojote am Ende seine Tiermaske an Claire übergibt und sie sich gewissermaßen selbst in ein Tier verwandelt. Wohin sie in dieser Gestalt die Gruppe aber führen wird, bleibt offen.

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Howard (Heiko Trinsinger, stehend rechts) und Angela (Deirdre Angenent, stehend Mitte) bieten Claire (Betsy Horne, sitzend Mitte rechts) eine neue Familie.

Des Weiteren beschäftigt das Regie-Team, wie der quälende Brummton, der an drei Stellen in der Oper in die Musik eingewoben wird und nachvollziehbar macht, wieso er für die Betroffenen derart unangenehm ist, szenisch umgesetzt wird. Mahler fasst ihn mit ihrer Bühnenbildnerin Katrin Connan als tiefe Wut, die einen Menschen in den Wahnsinn treiben kann. Connan stellt diese Wut in riesigen Lettern des englischen Wortes "ANGER" auf die Bühne. Wenn der Vorhang sich öffnet, sieht man diese Buchstaben vor der Projektion eines wunderbaren Waldes, aus dem der Kojote hervorzutreten scheint. Doch zwischen Claire und der freien Natur, steht zunächst diese Wut in Form des Brummtons und verhindert ihre freie Entfaltung. Wenn sie sich allmählich von ihrer Familie löst, rücken die Buchstaben in den Hintergrund, um schließlich im Bühnenboden zu verschwinden. Doch ganz frei ist Claire auch am Ende nicht. So erscheint das Wort am Schluss in großen Lettern auf der Projektion im Hintergrund. Überhaupt sind die Videoprojektionen von Georg Lendorff großartig umgesetzt und fangen die unterschiedlichen Atmosphären des Stückes hervorragend ein. Wenn der Brummton im Orchester das erste Mal angedeutet wird, verzerrt sich der pittoreske Wald und löst sich in eine Art Schallwellen auf. Nach der Katastrophe im zweiten Akt bewegt sich ein riesiger Feuerball auf Claire und die Gruppe zu.

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Howard (Heiko Trinsinger, Mitte) umringt von seinen Anhängerinnen und Anhängern

Wie gefährlich der scheinbar ach so empathische "Erlöser" Howard ist, wird direkt von Beginn des Stückes an deutlich. In einem Prolog treten drei Mitglieder der Sekte vor den Vorhang und erzählen vor laufender Kamera, wie ihr Leben völlig aus den Fugen geraten ist. Dabei werden die Gesichter der drei Figuren schonungslos in enormer Größe auf den Vorhang projiziert, so dass keine Schwäche verborgen bleibt. Howard zwingt die Mitglieder der Sekte dazu, diese Aufnahmen zu machen, um sie später als Druckmittel verwenden zu können. Da verwundert es nicht, dass Dillon einen Zusammenbruch erleidet und in seiner Verzweiflung auf einen Mobilfunkturm schießt, um die Verbreitung dieser Videos zu verhindern. Der Pavillon, der aus dem Schnürboden auf die Bühne herabgelassen wird, scheint im ersten Moment eine Form von Schutz für die Sektenmitglieder zu bieten. Die durchsichtigen farbigen Fenster geben aber keine Möglichkeit, vor den anderen unbeobachtet zu bleiben.

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Claire (Betsy Horne, vorne rechts und in der Projektion) übernimmt die Führung (hinten links: Ivan Estegneev als Kojote, vorne links: Deirdre Angenent als Angela, hinten rechts: Heike Trinsinger als Howard).

Auch musikalisch gelingt es Mazzoli die gefährliche Faszination der Sekte einzufangen. So singt der Chor zunächst aus dem Publikum und lässt es gewissermaßen Teil des Geschehens werden, das sich auf der Bühne ereignet. Mit gehörigem Hokuspokus entwickelt Howard anschließend auf der Bühne eine Trost spendende Atmosphäre mit blauer Lichtpyramide und kleinen leuchtenden Kugeln, die die Sektenmitglieder zu nahezu hymnischer Musik andächtig halten oder in ruhigen fließenden Bewegungen schwingen. Diese Passagen stehen musikalisch in starkem Kontrast zu den Momenten, in denen der quälende Brummton Claire und den anderen, die darunter leiden, den Verstand raubt. Musikalisch bewegend wird auch die Eskalation im zweiten Akt umgesetzt, wenn die Sicherheitskräfte Dillon stoppen. Hier tritt eine Reporterin auf, die hautnah die Ereignisse einem nach Schlagzeilen gierenden Publikum präsentiert. Andrea Sanguineti arbeitet mit den Essener Philharmonikern die vielschichtigen Klangfarben von Mazzolis Musik eindrucksvoll heraus und hält das Orchester, den Chor und die Solistinnen und Solisten wunderbar zusammen. Der von Klaas-Jan de Groot einstudierte Opernchor des Aalto-Theaters leistet stimmlich und darstellerisch ebenfalls Gewaltiges und begeistert als leicht manipulierbare Masse.

Auch die Solistinnen und Solisten lassen keine Wünsche übrig. Da ist zunächst Betsy Horne als Claire Devon zu nennen, die zwar als leicht erkältet angesagt wird, was man in ihrer Interpretation der Partie aber nicht bemerkt. Überzeugend gestaltet sie die geplagte Frau, die auf der Suche nach ihrer inneren Ruhe ist, und punktet mit kraftvollen Höhen und leuchtendem Sopran. Heiko Trinsinger gibt einen nahezu diabolischen Howard Bard, der wie ein netter Onkel daherkommt, aber sich sofort absolut gnadenlos zeigt, wenn man sich nicht seinen Wünschen fügt oder für ihn überflüssig geworden ist. Das alles unterstreicht er musikalisch mit einem balsamischen Bariton, der blitzschnell in harte Töne umschlagen kann. Zu spüren bekommt das vor allem Deirdre Angenent als Angela, die sich ihm mit warmem Sopran ergibt und darunter leidet, von ihm schließlich für Claire fallengelassen zu werden. Aljoscha Lennert gestaltet die Partie von Claires Schüler Kyle mit jugendlichem Tenor. Karel Martin Ludvik arbeitet den Wahnsinn Dillons mit kraftvollem Bariton heraus. Mandla Mndebele zeichnet mit weicher Stimmführung die Verzweiflung von Claires Gatten Paul überzeugend heraus, wenn er versucht, seine Frau aus den Fängen der Sekte zu befreien. Lisa Wittig gibt mit frischem Sopran eine zunächst sehr aufmüpfige Tochter, die sich nach Liebe und Aufmerksamkeit sehnt. Die übrigen Partien sind ebenfalls gut besetzt, so dass es großen und verdienten Beifall für alle Beteiligten gibt.

FAZIT

Mazzoli präsentiert in ihrer Oper ein hochaktuelles und brisantes Thema, das von großer Relevanz für ein modernes Publikum ist, und bringt die Problematik musikalisch auf den Punkt. Die Inszenierung liefert ebenfalls einen guten Zugang zum Stück.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
*Andrea Sanguineti /
Wolfram-Maria Märtig

Inszenierung
Anna-Sophie Mahler

Bühne
Katrin Connan

Kostüme
Pasquale Martin

Licht
Paul Grilj

Video
Georg Lendorff

Choreinstudierung
Klaas-Jan de Groot

Choreographie
Ivan Estegneev

Dramaturgie
Savina Kationi

 

Essener Philharmoniker

Opernchor des Aalto-Theaters

Statisterie des Aalto-Theaters


Solistinnen und Solisten

*rezensierte Aufführung

Claire Devon
Betsy Horne

Paul Devon
Mandla Mndebele

Ashley Devon
Lisa Wittig

Kyle Harris
Aljoscha Lennert

Howard Bard
Heiko Trinsinger

Angela Rose
Deirdre Angenet

Thom
Tobias Greenhalgh

Dillon
Karel Martin Ludvik

Coyote
Ivan Estegneev

Sina
Iva Seidl

Emily
Laura Kriese

Hortense
Ks. Marie-Helen Joël

Danica
Ks. Christina Clark

Vince
Robin Grunwald

Bram
Michael Kunze

Jess
Uta Schwarzkopf /
Helga Wachter

Lee Ann
Stefanie Rodriguez /
Astrid Wittkop

Mrs. Moreno
Cassandra Doyle

Theresa Alvarez
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