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Der traurige Sieg der Vernunft
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Monika Rittershaus Alcinas verflossene Liebhaber sind blass geworden. Sie erscheinen wie halblebendige Möbelstücke im großbürgerlichen Salon der Zaubrerin, im besten Fall wie fast unsichtbares Dienstpersonal. Wobei es wohl eher der Verlust von Alcinas Liebe ist als ein böser Zauber, der sie in unscheinbare Gestalten verwandelt hat. Ob sie verstoßen wurden oder ob sie es waren, die der Beziehung ein Ende gesetzt haben, bleibt unklar, wie die Regie überhaupt vieles in der Schwebe hält. Auch Ruggiero, Alcinas aktueller Liebhaber, verliert an Farbe, wenn er sich von ihr abwendet und zu seiner Braut Bradamante zurückkehrt, die ihn in Männerkleidern zu retten versucht. Aber wovor muss man hier gerettet werden? Vielleicht vor den eigenen Sehnsüchten oder auch nur dem Eingeständnis, solche Sehnsüchte zu haben. Die Zauberinsel steht für einen Ort oder einen Zustand, der es erlaubt, zu sich selbst zu finden. Es bleibt offen, ob das ein Ort des Glücks oder der Dämonen (oder vielleicht beides) sein wird. ![]() Morgana (vorne links) begrüßt die Neuankömmlinge Bradamante (den sie für einen Mann hält und in den sie sich sofort verliebt) und Melisso. Alcina und Ruggiero liegen noch im Bett (hinten).
Dieses Zauberreich stellt keinen Gegenpol zur bürgerlichen Welt dar, und um den Gegensatz von bürgerlicher Moral und freier Liebe geht es der Regie von Johannes Erath schon gar nicht. Eher schon um Wahrhaftigkeit und Verstellung. Je näher man Alcina kommt, desto wahrer, unverstellter werden die Gefühle. An der Peripherie tragen die Menschen Kostüme und verstellen sich. Alcina ist, jedenfalls am Beginn der Oper, das Kraftzentrum. Sie setzt die farblichen Akzente in einer Welt, die in für Inszenierungen Johannes Eraths typischem Schwarzweiß gehalten ist (Ausstattung: Kaspar Glaner). Ihr gehören die Sympathien der Regie. Aber Rationalität und Aufklärung, verkörpert insbesondere durch Bradamantes Begleiter und Berater Melisso (der seine schwarze Kleidung nie ablegen wird), werden sich durchsetzen. Aus der selbstbewussten und sebstbestimmten jungen Frau wird zunehmend eine tragische Figur. Monika Buczkowska-Ward in der Titelpartie trägt die Inszenierung mit ihrer szenischen und vokalen Präsenz bravourös. Sie ist keine Diva, im Gegenteil. Kleine Gesten zeigen früh ihre Verletzlichket. Sie spielt die Rolle mit mädchenhaftem Charme und großer Natürlichkeit. Umso größer ist der Kontrast, wenn sie sich beim Verlust ihrer Macht das schwarze Kleid einer barocken Heroine überzieht wie einen Panzer. Mitunter forciert sie ihren Sopran im Forte (das betrifft die Mittelteile der Arien), aber die leisen Töne klingen betörend schön und füllen intensiv leuchtend den Raum. Magische Kräfte besitzt sie nicht; Ihr Zauber ist Wahrhaftigkeit. Und nicht zuletzt weil Händel ihr die allerschönsten Arien komponiert hat, können ihr eigentlich nur unmusikalische Barbaren widerstehen. ![]()
Zaubern möchte auch Alcinas Schwester Morgana, aber was sie beherrscht, das sind Zirkuskünste, Kunststückchen mit Showeffekt. Sie arbeitet mit Tricks und Verstellung, aber sie scheitert permanent. Die Regie findet ein poetisches Bild, wenn sie im kalten Licht der Scheinwerfer ernüchtert auf einem Trapez sitzt. Shelén Hughes' leuchtend klarer, beweglicher Sopran bringt ihr zu Recht viel Applaus ein. In der Liebe hilft er indes nicht weiter: Sie wird bei ihrem Oronte bleiben, auch er ein Kleinkünstler. Aber zu echten Gefühlen führt das nicht. Er gestaltet die Partie mit hellem, agilem Tenor. Den Ruggiero, Liebhaber Alcinas und Verlobter Bradamantes, singt der junge Elmar Hauser mit lyrisch timbriertem, geschmeidig geführtem Countertenor, der bei schnellen Koloraturen noch etwas wackelt, aber mit schönem Legato besticht. Katharina Magiera ist eine Bradamante mit faszinierend dunklem Timbre, Erik van Heyningen ein strenger, noch recht junger, präsenter Melisso. Die Partie des Knaben Oberto, der seinen Vater sucht (dieser Handlungsstrang ist gestrichen), ist auf eine Arie reduziert, die Clara Kim mit strahlend quirligem Sopran singt. ![]() Auch Alcinas Schwester Morgana und ihr eifersüchtiger Liebhaber Oronte haben Beziehungsprobleme. Links liegt Ruggiero, rechts sitzt ein Statist
Wenn Alcinas Zauber gebrochen wird, gibt es in dieser Inszenierung wenig Grund zur Freude. Das lieto fine, das von der Operntradition geforderte glückliche Ende, ist hier keines. Weil sich aber alles auf den Untergang ihres Reiches zu bewegt, ist Alcina in dieser Interpretation eine durch und durch melancholische Oper. Das hört man im filigranen Spiel des ausgezeichneten Frankfurter Opern- und Museumsorchesters unter der Leitung von Julia Jones. Die Dirigentin bevorzugt die leisen Töne, lässt die Musikerinnen und Musiker wie mit Goldgrund und Trauerrand gleichzeitig spielen. Das Orchester auf historischen Instrumenten besitzt einen verinnerlichten, transparenten Klang, ohne an Energie einzubüßen. Schroffe Effekte vermeidet Julia Jones. Der Chor kommt in einer Nummer vom Band, im Finale singt das Solistenensemble. Bei allem Maschinentheater, das die Regie hier und da auch bietet, bleibt diese Alcina musikalisch ein hochkonzentriertes Kammerspiel. ![]()
Es gibt also viel musikalisches Glück in dieser Produktion, und szenisch glänzt das Ensemble mit engagiertem Spiel. Wobei sich die Regie ein wenig verzettelt, anstatt sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Aber sie liefert eine ganze Reihe von eindrucksvollen Bildern. Auf die schwarzen Wände, die mit Alcinas Untergang zunehmend auseinanderfahren, werden ab und zu Videos projiziert (Bibi Abel) - so etwa, beinahe naturalistisch, das aufgewühlte Meer. In einer Szene wird ein Prospekt mit aufgemaltem Baum im Stile des Barocktheaters auf der Bühne platziert. Was zunächst wie eine Reminiszenz an das Maschinentheater der Händel-Zeit aussieht, dient kurz darauf als Projektionsfläche für eine Videosequenz mit dem Gesicht Morganas, das auf Stamm und Ästen aber nur fragmentiert erscheint und die Zerrissenheit der Figur zum Ausdruck bringt. Das sind große Momente, die stärker wiegen als manche kleinteilige Aktion. Das vieles in dieser Inszenierung rätselhaft bleibt, ist kein Fehler. Die Welt Alcinas gibt nicht alle Geheimnisse preis. Geht am Ende alles wieder von vorn los? So könnte man den Schluss, wenn das Orchester noch einmal den Einleitungsteil der Ouvertüre spielt, interpretieren. Aber das ist wohl nur Wunschdenken. Alcina singt, unbegleitet, den Beginn ihrer Schmerzensarie "Ah! Mio cor! Schernito sei!" ("Ach! Mein Herz! Du bist verschmäht!"), bis das Licht verlöscht. Die Vernunft mag gesiegt haben. Die Trauer über den Verlust dieses Zauberreichs hallt nach.
Viel barockes Glück: Das Regieteam um Johannes Erath findet große Bilder für eine musikalisch ausgezeichnete Alcina. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Regie
Bühne und Kostüme
Video
Licht
Chor
Dramaturgie
Solisten
Alcina
Ruggiero
Morgana
Bradamante
Oronte
Melisso
Oberto
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