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Die Demokratie schafft sich ab
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Barbara Aumüller Was, wenn das gerade befreite Volk gar keine Demokratie will, sondern sich einem Diktator an den Hals wirft? Diese Erfahrung macht Guercœur, der als Anführer im Freiheitskampf viel zu früh gestorben ist, aber aus der Ewigkeit auf die Erde zurückkehren darf. Dort muss er mitansehen, wie sein früherer Schüler und Anhänger Heurtal die Macht für sich beansprucht und das Volk mit markigen Versprechen im Griff hat. Und zu allem Überfluss hat dieser Heurtal ein Verhältnis mit Guercœurs Geliebter Giselle, die ihm doch ewige Treue geschworen hatte. Göttin Souffrance ("Leiden") hatte es vorausgesagt: Guercœur, dem im früheren Leben alles gelungen ist, wird bei seiner Wiederkehr auf die Erde die Schattenseiten des Daseins kennenlernen und demütig werden. Und genau so kommt es. Giselles Liebe kann er nicht erneut gewinnen, und das von Heurtal aufgestachelte Volk tötet ihn. Diesmal endgültig. ![]() Guercœur ist gestorben - und aus dem von Gattin Giselle betrauerten Leichnam erhebt sich die Seele, die darauf in der Ewigkeit darum bitten wird, auf die Erde zurückkehren zu dürfen.
Albéric Magnard komponierte seine Oper Guercœur zwischen 1897 und 1901. Vollständig uraufgeführt wurde sie erst nach seinem Tod 1931 und geriet dann für lange Zeit in Vergessenheit, bis sie 2019 in Osnabrück und 2024 in Strasbourg wiederentdeckt wurde - und jetzt in Frankfurt. Die spätromantische Tonsprache ist von Wagner beeinflusst, in ihrer Geschmeidigkeit aber in der französischen Musik verwurzelt. Der erste und der dritte Akt, die beide in der Ewigkeit jenseits von Zeit und Raum angesiedelt sind, besitzen oratorische Statik und erhalten durch ätherische Chöre aus der Ferne ihre eigene Klangsprache (Wagners Parsifal mag da Pate gestanden haben). Echte Operndramatik besitzt der Mittelakt mit Guercœurs ernüchternder Rückkehr ins Leben und den Konflikten im Privaten wie im Kampf um die gerade errungene und schnell preisgegebene Freiheit des Volkes. ![]()
Regisseur David Herrmann erzählt die Geschichte als eine Parabel von der Gefährdung unserer Demokratie. Guercœurs und Giselles Wohnhaus ist dem Bonner Kanzlerbungalow nachempfunden. Man sieht zu Beginn, wie Guercœur seinem Leichnam entsteigt. Wenn er in der Ewigkeit von den Göttinnen Bonté ("Güte"), Beauté ("Schönheit") und eben Souffrance - aus deren pastellfarbenen Kleidern man die Farben schwarz, rot und gold herauslesen kann - seine Rückkehr in die irdische Welt erbittet, zeigt Herrmann parallel dazu sein Staatsbegräbnis, bei dem der Verstorbene und auch die Göttinnen zwischen den Lebenden umherwandeln. Dazu gesellt sich auch noch Vérité ("Wahrheit"), die letztendlich die Entscheidung in Guercœurs Sinne trifft. ![]() Das Ende der Demokratie - Heurtal schwingt sich zum Diktator auf, Guercœur am Boden.
Diese Anordnung funktioniert verblüffend gut. Wenn man sich im zweiten Akt vorstellt, dass Guercœur nach einer längeren Abwesenheit (etwa nach einer langen Krankheit) ins Leben zurückkehrt, wird auch der Konflikt mit Giselle plausibel: Die hat ihn als Lichtgestalt mehr verehrt als geliebt und findet im zupackenden Heurtal das Liebesglück, das sie, ein spätes Eingeständnis, mit Guercœur nie hatte. Die politische Auseinandersetzung mit Heurtal verlegt Herrmann in ein Ambiente, das dem Tagungsraum des Weltsicherheitsrats nachempfunden ist. Die Parlamentarier und deren Mitarbeiter glauben Guercœur und seinen Visionen von Freiheit nicht mehr und nehmen sehenden Auges Unterdrückung und sogar Sklaverei in Kauf, solange das alles mit dem Versprechen nach mehr Wohlstand einhergeht. Mit dem erneuten Tod Guercœurs bricht das Gebäude und damit auch die Demokratie zusammen. Natürlich ist das in dieser Form ausgesprochen plakativ dargestellt, besitzt aber verstörende Aktualität - und verträgt sich durchaus mit der Musik. Guercœur gelangt durch seinen zweiten Tod in die Ewigkeit zurück als ein Geläuterter. Ist im Jenseits eben doch alles besser, wie Text und Musik es versprechen, zumal Vérité emphatisch eine glückliche Zukunft besingt, in der "die Vermischung von Sprachen und Kulturen […] Frieden bringen [wird]". Aber passiv darauf zu warten, das erscheint der Regie nicht als angemessene Lösung. In einer bösen Schlusspointe zeigt Herrmann die Ewigkeit als Dauerschleife der immer gleichen banalen Ereignisse. So wird das verklärte Finale mit dem Appell "füge Dich in Dein Schicksal" mit bitterer Ironie ad absurdum geführt. ![]()
Die hinreißend schöne, teils sanft einschmeichelnde, dann dramatisch aufbrausende Musik von Albéric Magnard ist allemal der Entdeckung wert. Dirigentin Marie Jacquot und das bestens aufgelegte Frankfurter Opern- und Museumsorchester treffen die verschiedenen Sphären ganz ausgezeichnet und gestalten auch die Übergänge dazwischen organisch. Der Chor, um die Herren des Extrachores verstärkt, betört mit schwebendem Klang in der Ewigkeit und trumpft mit kraftvollem Klang in der Rebellion gegen Guercœur auf (Einstudierung: Virginie Déjos). In der Titelpartie beeindruckt Domen Križaj mit großformatigem, elegant geführtem Bariton. Dem Mezzosopran von Claudia Mahnke als Giselle fehlt es im Piano in der Mittellage ein wenig an Substanz, aber die dramatischen Attacken haben Kraft. Der von AJ Glueckert tadellos mit tenoralem Glanz gesungene Heurtal ist hier nicht der viel jüngere Liebhaber, sondern ein Generationsgenosse Guercœurs. Anna Gabler gibt der Vérité jugendlich jubelnde Töne. Cecilia Hall (Bonté), Bianca Tognocchi (Beauté) und Judita Nagyová (Souffrance) ergänzen ein ausgezeichnetes Ensemble.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Regie
Bühne
Kostüme
Licht
Chor
Dramaturgie
Solisten
Guercœur
Giselle
Heurtal
Vérité
Bonté
Beauté
Souffrance
Schatten eines jungen Mädchens
Schatten einer Frau
Schatten eines Poeten
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