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O Du unselige, Tod bringende Weihnachtszeit
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Monika Rittershaus Die Katastrophe beginnt im Wohnzimmer. Man feiert Halloween in der geräumigen 60er-Jahre-Villa von Lord und Lady Macbeth. Und was die als Hexen verkleideten Kinder an Unsinn aufsagen, nimmt Macbeth, der gerade mit Banquo in Sportkleidung vom Tennis kommt, als wahrhaftige Prophezeiung - zumal, ein merkwürdiges zufälliges Zusammentreffen, just der erste Teil prompt in Erfüllung geht, nämlich die Erhebung zum Than von Cawdor. Und plötzlich erscheint ihm sogar die Königswürde als denkbar, nur einen Mord, einen Griff zum Küchenmesser entfernt. So wird der offensichtlich ungeheuer erfolgreiche und wohlhabende Geschäftsmann zum Akteur auf der großen Geschichtsbühne. So etwas soll vorkommen. Mordgedanken: Macbeth (hier: Nicholas Brownlee und Tamara Wilson)
Regisseur R. B. Schlather siedelt den Macbeth im Hier und Jetzt an und erzählt die Geschichte einigermaßen schnörkellos und ziemlich stringent. Die weiteren Hexenerscheinungen sind Einbildungen oder vielleicht auch Autosuggestionen eines Mannes, der plötzlich von der Idee der Macht besessen ist und gleichzeitig von Schuldgefühlen zerrissen wird. Das Bankett, bei dem ihm der Geist des ermordeten Königs erscheint, ist eine Weihnachtsfeier unterm Tannenbaum (Bühnenbild: Etienne Pluss). Die Regie braucht keine Geistererscheinung; subtile Wechsel der Beleuchtung und das angstverzerrte Gesicht Macbeth' reichen aus. Im vierten Akt sieht man die Schrecken des Krieges wie nebenbei auf dem Fernseher an der Wand (Video: Roland Horvath). Dabei bleibt der Blick der Regie auf die hier gezeigte Gesellschaft analytisch und mitleidslos. Auch an bessere Zeiten nach dem Tod des Tycoons mag man angesichts der Guerilla-Truppen, die das Haus am Ende anzünden, nicht glauben. Mitunter besitzt die Inszenierungen lakonischem Witz, etwa wenn auf der Weihnachtsfeier drei Tänzerinnen in knappen Röckchen die Stimmung, die durch die Wahnsinnsanfälle des Hausherrn getrübt ist, anheben sollen (Kostüme: Doey Lüthi, Choreographie: Gal Fefferman) oder die Lady im ausladenden Weihnachtsmann-, pardon: Weihnachtsfraukleid auftritt. Blutige Hände: Macbeth (im Bild: Nicholas Brownlee) und Lady Macbeth (Tamara Wilson)
Vor allem aber hört die Regie sehr genau auf die Musik. Mit dem ganz hervorragenden Frankfurter Opern- und Museumsorchester hebt Generalmusikdirektor Thomas Guggeis nicht die schrillen Exzesse der Partitur, sondern die dunklen, bedrohlichen Farben hervor. Die Dissonanzen sind geschärft, und vor allem in den leisen Passagen entsteht eine geradezu unheimliche Spannung. Guggeis lässt viel im Piano und Pianissimo spielen, lotet die Klangfarben genau aus (fabelhaft ist die unprätentiöse, oft fast fahle Soloklarinette) und gibt der Musik durch diese ungeheuer feine Nuancierung Kontur. Großartig singt der Chor, der seine Klangfarbe subtil der Situation anpasst (Einstudierung: Manuel Pujol) - und auch hier sind es die differenziert ausgestalteten leisen Töne, die den Unterschied ausmachen. Dem Wahnsinn verfallen: Lady Macbeth (Tamara Wilson)
Die Frankfurter Oper kann sich den Luxus erlauben, den Macbeth gleich zweifach mit Sängern aus dem hauseigenen Ensemble zu besetzen. In der hier besprochenen Aufführung steht Domen Križaj auf der Bühne. Er gestaltet die Partie mit vokal eindrucksvoller Statur, dabei nicht mit donnerndem Bass, sondern die Stimme immer gesanglich und nie forciert einsetzend. Er zeichnet das Portrait eines vorgeblich kühl abwägenden, letztlich überforderten Königsmörders. Ein Geschäftsmann, dem seine dunklen Praktiken über den Kopf wachsen. Tamara Wilson singt die Lady Macbeth mit recht hellem, geschmeidigem Sopran, der schöne lyrische Phrasen gestalten kann. Aber die Sängerin, die aktuell Mozart (Servilia in La Clemenza di Tito) wie Wagner (Brünnhilde, Elisabeth) singt, kann mühelos in die dramatischen Register wechseln, ohne dass die Stimme dadurch scharf klingt. In den großen Ensembleszenen, in denen Guggeis ein (nie lärmendes oder massiges) Fortissimo zulässt, schwebt ihr Sopran leuchtend über die Klangschichten und macht so auch hörbar, wer hier das Sagen hat. Das Ende naht: Macduff (im weißen Hemd: Matteo Lippi) und Chor
Verdis eigentümliche Dramaturgie lässt die weiteren Akteure früh sterben oder spät auftreten - aber auch da wird ausgezeichnet gesungen. Andreas Bauer Kanabas verleiht dem Banquo einen sonoren, würdevollen Bass von großer Statur, Matteo Lippi dem Macduff einen warm eingedunkelten, gleichzeitig glanzvollen Tenor. Kudaibergen Abildin ist ein schneidiger Malcolm, ein neuer König aus offensichtlich anderem Milieu. Szenisch dauerpräsent sind der elegante Diener (stimmlich sehr ordentlich: Pilgoo Kang) und die Kammerfrau der Lady (mit faszinierendem Timbre, das aufhorchen lässt: Karolina Bengtsson).
So großartig düster war Weihnachten nie: Mit diesem spannend inszenierten, vor allem aber musikalisch sehr genau durchgestalteten Macbeth gelingt der Frankfurter Oper ein großer Verdi-Abend. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Regie
Bühne
Kostüme
Choreographie
Video
Licht
Chor
Dramaturgie
Solisten
Macbeth
Banquo
Lady Macbeth
Macduff
Malcolm
Kammerfrau der Lady
Arzt
Diener / Mörder / Herold
König Duncan / 1. Erscheinung
Fleance / 3. Erscheinung
Tänzer*innen
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