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Blaubart 2.0

Tanzabend von Andrea Costanzo Martini in Zusammenarbeit mit der MiR Dance Company

Aufführungsdauer: ca. 1h 10' (keine Pause)

Uraufführung im Kleinen Haus im MiR am 1. März 2025
(rezensierte Aufführung: 6. März 2025)

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MiR Dance Company Gelsenkirchen
(Homepage)

Geheimnisse hinter Türen

Von Thomas Molke / Fotos:© Zoran Varga

Das Märchen von Blaubart hat, seit Charles Perrault es in seine Sammlung integriert hat, immer wieder auch das Musiktheater inspiriert. Am bekanntesten dürften heute die Versionen Herzog Blaubarts Burg von Béla Bartók und Jacques Offenbachs satirische Umdeutung in seiner Operette Barbe-Bleu sein. Im Bereich des Tanztheaters hat vor allem Pina Bauschs 1977 uraufgeführter Tanzabend Blaubart (Beim Anhören einer Tonbandaufnahme von Béla Bartóks Oper) Akzente gesetzt. Immerhin hat das Ensemble das Stück auch in den vergangenen Jahren immer wieder ins Repertoire aufgenommen. Am MiR hat sich nun der italienische Choreograph Andrea Costanzo Martini gemeinsam mit den Tänzerinnen und Tänzern der MiR Dance Company des Stoffes angenommen und einen Tanzabend unter dem Titel Blaubart 2.0 entwickelt, der mit "2.0" bereits andeutet, dass hier ein neuer und durchaus humorvoller Blick auf die Geschichte geworfen wird.

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Blaubart 1 (Inoru Toda, rechts) und Blaubart 2 (Joonatan Zaban, links)

Dabei beginnt der Abend relativ "klassisch". Wenn das Publikum den Saal des Kleinen Hauses betritt, sieht man einen einzelnen Tänzer (Inoru Toda), der an der Rückwand sitzt und an seinem blauen Outfit und dem Bart als Blaubart gedeutet werden kann. Die Rückwand besteht aus zahlreichen Türen. Dass sich hinter diesen Türen Geheimnisse verbergen, lässt sich ebenfalls vermuten, da aus einer Tür in der Mitte aus zwei Öffnungen zwei nackte Beine heraushängen, die der Tänzer zu liebkosen beginnt. Handelt es sich dabei um eine eingesperrte Gattin? Aus einer weiteren Öffnung in der Tür erscheint ein nackter Arm und ein weiteres Bein, die ebenfalls in Interaktion mit den anderen Körperteilen und dem Tänzer treten, bevor der Tänzer das Spiel beendet und die Luken schließt. Dann bewegt er sich nahezu liebevoll zu barocken Mandolinen-Klängen aus Johann Sebastian Bachs Sonate Nr. 2 a-Moll zu einem Mikrofonständer, der vorne an der Rampe steht und begrüßt das Publikum: "Ich freue mich, dass sie da sind".

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Übertriebenes Männlichkeitsgebaren (hier: Pablo Navarro Muñoz im Zentrum mit dem Ensemble)

Nach und nach erscheinen dann zu elektronischen Techno-Klängen aus den unterschiedlichen Türen weitere Tänzerinnen und Tänzer, die in ihrer Kostümierung zwar allesamt unterschiedliche Individuen darstellen, die dabei allerdings zwei Tatsachen einen. Sie alle haben einen Bart, und ihr Kostüm ist jeweils in Blautönen gehalten. So bewegen sich schließlich 12 Tänzerinnen und Tänzer als Blaubart über die Bühne und heben im synchronen Bewegungsapparat hervor, was Blaubart auszeichnet: einen Macho mit übergroßem Ego. Mit herrlicher Ironie spielen die Tänzerinnen und Tänzer mit selbstgefälligem Macho-Gebaren in Gestik und Mimik. Dabei treten sie nacheinander an das Mikrofon und begrüßen das Publikum. Man ist begeistert von der Energie, die sich von der Bühne ins Publikum überträgt.

Dann beginnt ein weiterer Tänzer (Urvil Shah) einen herrlich komödiantischen Dialog mit dem Publikum. Der Text läuft dabei vom Band ab, aber Shah gibt vor ihn live zu sprechen, betont dabei aber, dass vieles, was die Tänzerinnen und Tänzer präsentieren, Täuschung und Lüge sei. Diese Passage kommt ohne Musik aus. Hierbei wird von den übrigen Tänzerinnen und Tänzern der gesprochene Text mit einer Slapstick-Komik vertanzt. Im Folgenden wechseln sich nun Soli, kleine Gruppen und Ensembles ab und durchleuchten einzelne Aspekte des Märchens. Zunächst geht es um Geheimnisse, die jeder Mensch hat. Über Band sprechen die einzelnen Tänzerinnen und Tänzer "persönliche Geheimnisse" ein, die mal zum Schmunzeln sind, dann aber auch erschreckend sind, so dass man sie teilweise nicht gelüftet haben möchte, also versteht, wieso sie hinter einer Tür verschlossen werden. Ob das aber wirklich möglich ist, ist die nächste Frage, die gestellt wird. Dazu taucht man wieder in die Märchengeschichte ein. Ein Tänzer (Joonatan Zaban) lockt als grimmiger unsympathischer Blaubart eine Tänzerin (Zsófia Safranka-Peti) auf sein Schloss, wobei die Tänzerin optisch ja ebenfalls einen Blaubart darstellt, und gibt ihm / ihr den Schlüssel mit der Weisung, die Tür nicht zu öffnen.

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Schrecken hinter den Türen (vorne rechts: Ashley Affolter)

Da dies nicht möglich ist, kommt es zur Katastrophe und zum Mord. Da auch hier alle Tänzerinnen und Tänzer Blaubart darstellen, wird dieser Mord in Zweier- bzw. Dreiergruppen jeweils an einem Tänzer bzw. einer Tänzerin durchgeführt, der bzw. die dann hinter einer Tür im Hintergrund verstaut wird. Das ist zwar einerseits ein makabres Spiel, hat allerdings auch etwas Clowneskes und Satirisches, wenn der jeweilige Mörder das nächste Opfer wird. Nachdem sich hinter nahezu jeder Tür ein Opfer befindet, werden die Türen "aktiv". Man klopft nicht mehr an die Tür, sondern es klopft hinter der Tür. In nahezu bedrohlicher Art und Weise bewegen sich die Türen aus dem Hintergrund der Bühne als durchgängige Wand auf den letzten Tänzer zu, der nach der vorherigen Szene noch übrig geblieben ist und entwickeln ein Eigenleben. Sie öffnen sich und offenbaren dahinter eine Art Labyrinth. Einzelne Tänzer und Tänzerinnen laufen von einer Seite des Labyrinths zur anderen Seite und wechseln dabei unterwegs die Identitäten. Es kommt also niemals der Tänzer auf der anderen Seite an, der auf der einen Seite das Labyrinth betreten hat. Anschließend werden die Türelemente zu einer Art Haus zusammengesetzt. Man befindet sich also nun in Blaubarts Schloss und erhält durch Drehung der Wände einen Einblick in das gruselige Innere.

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Befreiung durch Lüftung der Geheimnisse (von links: Ashley Affolter und Zsófia Safranka-Peti)

Nach dieser Steigerung, die auch musikalisch sehr laut ist, kehrt wieder Ruhe ein. Auf der linken Seite sieht man drei einzelne Türelemente, die zu einer Art Treppe gelegt werden. Nun beginnen mehrere "Blaubärte" einen Blaubart (Marie-Louise Hertog) zu "studieren". Langsam und vorsichtig entkleiden sie Hertog, bis sie nur noch weiße Unterwäsche trägt, alles Blau also abgelegt hat. Wenn sie ihren Bart lösen, hat sie auch ihr letztes Merkmal als Blaubart verloren. Nun ist sie keine Täuschung mehr, sondern ganz sie selbst. Die Tänzerinnen und Tänzer beginnen nun mit unterschiedlichen Versionen des Märchens, korrigieren sich aber dabei ständig gegenseitig. Nach und nach legen sie alle ihre blaue Kostümierung ab und treten alle in weißer Unterwäsche auf. Die Geheimnisse sind nun offenbart und nicht mehr geheim, und alle erkennen: Damit lebt es sich besser. Das Publikum zeigt sich begeistert von der Energie und der Ausdruckskraft der Tänzerinnen und Tänzer und äußert dies mit großem Jubel.

FAZIT

Andrea Costanzo Martini hat mit der MiR Dance Company einen kurzweiligen, modernen Abend entwickelt, der thematisch begeistert und bei dem die Company ihre vielseitigen Talente zeigen kann.


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Produktionsteam

Choreographie, Bühne und Kostüme
Andrea Costanzo Martini

Bühne
Giuseppe Spota

Licht
Yoav Barel

Sound Design
Binyja (Benjamin Reches)

Ton
Fabian Halseband

Dramaturgie
Steven Markusfeld

 

Tänzerinnen und Tänzer

*rezensierte Aufführung

*Ashley Affolter
*Camilla Bizzi
*Marie-Louise Hertog
*Marta Llopis
*Alessio Monforte
Pablo Navarro Muñoz
*Douglas Oliveira
*Hilla Regev Yagorov
*Chiara Rontini
*Zsófia Safranka-Peti
*Urvil Shah
*Inoru Toda
Yordi Yasiel Perez Cardoso
*Joonatan Zaban

 


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