Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
|
|
Aufgepasst vor
Audrey II Von Thomas Molke / Fotos:© Pedro MalinowskiAller guten Dinge sind drei. Das könnte die Devise für die Eröffnungspremiere der Spielzeit am Musiktheater im Revier sein. Auf den Spielplan hat man ein Musical gestellt, das für Gelsenkirchen eine besondere Bedeutung haben mag: Der kleine Horrorladen. Bereits 1989 gab es hier die deutsche Erstaufführung des am 6. Mai 1982 am Orpheum Theatre in New York uraufgeführten Musicals, das schnell einen ähnlichen Kult-Status entwickelte wie die Rocky Horror Show. Während der Kooperation mit den Wuppertaler Bühnen als "Schiller-Theater" folgte dann 2000 eine weitere umjubelte Inszenierung, und nun eröffnet man die Spielzeit im Kleinen Haus mit dem Stück. Dass man bei einem solchen Publikumsrenner wie auch bei der Rocky Horror Show 2016 das Kleine Haus als Spielstätte wählt, mag den Grund haben, das Publikum näher ans Geschehen zu bringen. Um Karten sollte man sich jedenfalls frühzeitig kümmern, wenn man diese neue Inszenierung nicht versäumen will, weil natürlich viel weniger Plätze als im Großen Haus zur Verfügung stehen. Dass sich aus einem B-Movie aus dem Jahr 1960 unter dem Titel Little Shop of Horrors einmal ein derart erfolgreiches Musical entwickeln sollte, hatte wohl keiner gedacht. Mit einem Etat von knapp 30.000 Dollar produzierte Regisseur Roger Corman in wenigen Tagen den Schwarz-Weiß-Film über den leicht tollpatschigen Blumenladenmitarbeiter Seymour, der mit der Zucht einer seltsamen Pflanze nicht nur seinen Job im Blumenladen seines Chefs Mr. Mushnik rettet, sondern auch das Geschäft zu einer neuen Blüte bringt. Dass die Pflanze dafür Blut fordert und Seymour zwingt zu töten, nimmt der junge Mann dafür schweren Herzens in Kauf, bis er sich schließlich selbst der Pflanze opfert. Alan Menken und Howard Ashman formten daraus ein Musical, erklärten das Auftauchen der Pflanze als Alien-Invasion und ließen am Ende nicht nur Seymour sondern auch seinen Chef Mr. Mushnik und Seymours Freundin Audrey, nach die Pflanze benannt worden war, dem immer mächtiger und größer werdenden fleischfressenden Wesen zum Opfer fallen, bevor am Ende Ableger der Pflanze in alle Länder verschickt werden. Die Szene mit einem masochistischen Zahnarztpatienten, der im Film von dem damals noch unbekannten Jack Nicholson gespielt wurde, wurde nicht ins Musical übernommen. 1986 kam dann eine Musicalverfilmung in der Regie von Frank Oz heraus, bei der das tragische Ende abgeändert wurde. Seymour kann Audrey in letzter Sekunde vor der Pflanze retten und zerstört gemeinsam mit ihr deren Traum von der Weltherrschaft. Am Ende ziehen die beiden in ein Häuschen ins Grüne, wobei ein kleiner Ableger von Audrey II im Vorgarten andeutet, dass die Pflanze noch nicht vollständig besiegt ist. Seymour (Nikko Forteza, rechts) und Audrey (Tamara Köhn) präsentieren Mr. Mushnik (Klaus Brantzen, links) Audrey II. Das Regie-Team um Carsten Kirchmeier hält sich in Gelsenkirchen an die Musical-Fassung von 1982 und stellt einen Bezug zu dem Film von 1960 her. So sieht man im Bühnenbild von Beata Kornatowska eine riesige alte Filmrolle, die als Vorhang und teilweise auch als Rückwand fungiert und schräg über die Bühne verläuft. Auf der rechten und linken Seite dient sie bisweilen auch für Schattenspiele, die den Schwarz-Weiß-Charakter des ursprünglichen Films aufgreifen. In der Mitte lassen sich die Wände öffnen und zeigen Mr. Mushniks Blumenladen, der im Verlauf der Geschichte eine große Wandlung durchmacht. Sieht er zu Beginn absolut trostlos mit lauter mehr oder weniger verwelkten Blumen in der Auslage aus, beginnt er mit dem Erscheinen von Audrey II zu boomen. Sarah Schulze hat vier Pflanzen in unterschiedlicher Größe konstruiert, die als Puppen bespielt werden können. Die erste und kleinste Pflanze wird auf die Theke gestellt und streckt sich noch nahezu schüchtern nach den ersten Tropfen von Seymours Blut, nachdem er sich an einer Rose gestochen hat. Die zweite Pflanze wird von Seymour bedient, der sie im Arm mit einer Prothese trägt, während sein rechter Arm die Pflanze bewegt. Die dritte und vierte Pflanze beherrschen dann gewissermaßen den ganzen Laden von Mr. Mushnik und werden von einem Puppenspieler (Julius Wermuth) bespielt, während Dennis Legree ihr eine leicht unheimliche Stimme verleiht. Gestrandet im Nirgendwo: von links: Ronnette (Elena Otten), Crystal (Sonja Hebestadt) und Chiffon (Julia Heiser) Der Anfang der Inszenierung erinnert ein wenig an die Rocky Horror Show, die hier 2016 auf dem Spielplan stand. Während die Bühne noch dunkel ist, hört man ein Auto, das in strömendem Regen liegen bleibt. Diesem entsteigen allerdings nicht Brad und Janet, um ihm nahe gelegenen Schloss Hilfe zu suchen, sondern Crystal, Chiffon und Ronnette, die drei als Chor fungierenden Erzählerinnen, deren Namen an drei Girl Bands der 1960er erinnern und deren Frisuren mit den schwarzen hochtoupierten Haaren auch den jungen Damen der Bands nachempfunden sind. Mit Taschenlampe schleichen sie durch den Saal und suchen Schutz vor dem Regen, bis Crystal schließlich auf der Bühne über ein Buch stolpert. Dabei handelt es sich um das Script des Films bzw. Musicals. Die drei beginnen zu lesen, und die Geschichte nimmt ihren Lauf. Die Kleider der drei Mädchen, die sie unter ihren Mänteln tragen, greifen im Schnitt und in den Farben die Filmrolle wieder auf, was die Funktion des Damenchors im Stück unterstreicht. Wenn sie in andere Figuren schlüpfen, wie beispielsweise die drei Mädchen, die vor dem Laden herumlungern, ziehen sie jeweils einen Mantel über oder setzen einen Hut auf. Im zweiten Teil bedienen sie auch die Fangarme der Pflanze, in denen sich Audrey verheddert. Wenn sie am Ende dann die Ableger von der Pflanze nehmen, haben sie selbst schon Teile der Pflanze im Haar, während die Opfer der Pflanze als Teil der Wurzeln den Schlusssong anstimmen. Seymour (Nikko Forteza, rechts) landet unfreiwillig bei Orin (Daniel Jeroma, links) im Behandlungsstuhl (links: Chiffon (Julia Heiser), rechts: Ronnette (Elena Otten)). So erzählt Kirchmeier in einer ausgefeilten Personenregie die Geschichte kurzweilig und spannend und spielt auch teilweise mit den Mehrfachbesetzungen. Wenn Mr. Bernstein Seymour aufgrund des steigenden Erfolgs eine Fernsehshow anbietet und ein Agent ihn in seine Künstleragentur aufnehmen will, treten Klaus Brantzen und Daniel Jeroma, die kurz zuvor als Mr. Mushnik und sadistischer Zahnarzt Orin Scrivello an die Pflanze verfüttert worden sind, als blutüberströmte Zombies in Gestalt ihrer früheren Charaktere wieder auf, um Seymours schlechtes Gewissen zu unterstreichen. Nur bei Mrs. Luce, die Seymour als Coverfoto für das Magazin "Life" haben möchte, macht es eigentlich keinen Sinn, sie als Zombie von Audrey auftreten zu lassen, da Audrey zu diesem Zeitpunkt der Pflanze ja noch gar nicht zum Opfer gefallen ist. Vielleicht soll damit aber auch angedeutet werden, dass Seymour erkennt, wohin sein Spiel letztendlich führen wird und dass er handeln muss, um eine Katastrophe zu verhindern, auch wenn es zu diesem Zeitpunkt bereits zu spät ist. Seymour (Nikko Forteza) verfüttert den Zahnarzt an Audrey II (links: Ronnette (Elena Otten), rechts: Crystal (Sonja Hebestadt) und Chiffon (Julia Heiser)). Das Ensemble begeistert durch große Spielfreude. Nikko Forteza gibt einen herrlich tollpatschigen, dabei aber absolut liebenswerten Seymour, der sich nicht traut, Audrey seine Liebe zu gestehen, und der sich von den Verlockungen der Pflanze verführen lässt. Großartige Komik entwickelt er in der Szene in der Zahnarztpraxis, auch wenn dies wahrscheinlich nicht dazu beiträgt, die Angst vor einem Zahnarzt-Besuch zu verringern. Daniel Jeroma zeichnet die sadistischen Züge des Orin Scrivello mit herrlich übertriebenem Macho-Gehabe absolut glaubhaft, so dass man nicht das geringste Mitgefühl mit ihm hat, wenn er unter der Lachgasmaske sein Leben aushaucht. Wenn Forteza ihn dann hinter der Wand in einem Schattenspiel zerhackt und anschließend die Körperteile an die Pflanze verfüttert, hat das schon einen nahezu komischen Splatter-Charakter. Tamara Köhn spielt die Schwäche Audreys sehr einfühlsam und glaubhaft aus, so dass man großes Mitgefühl mit ihr entwickelt. Bei allem Kitsch und aller Naivität in ihrem Song "Im Grünen irgendwo" verleiht Köhn dem Lied in ihrer Interpretation eine Verletzlichkeit, die unter die Haut geht. Klaus Brantzen gibt einen egoistischen Mr. Mushnik, der Seymour für seinen eigenen Wohlstand nur benutzt. Mit herrlicher Komik gestaltet er das Duett mit Forteza, in dem Mr. Mushnik Seymour anbietet, ihn zu adoptieren und zum Partner im Geschäft zu machen. Sonja Hebestadt, Julia Heiser und Elena Otten runden als Crystal, Chiffon und Ronnette das Ensemble stimmgewaltig ab. Wolfgang Wilger steuert am Klavier und als musikalische Leitung aus dem Off mit der Band einen rockigen Sound auf den Punkt genau bei, so dass es für alle Beteiligten großen und verdienten Jubel am Ende gibt. FAZIT Frühzeitig Karten sichern für dieses Musical! Ein Besuch lohnt sich in jeder Hinsicht.
|
ProduktionsteamMusikalische Leitung und Klavier Inszenierung Bühne und Kostüme Puppenbau Choreographie Licht Ton Dramaturgie
Keyboard Gitarre Bass Schlagzeug
Solistinnen und Solisten*Premierenbesetzung
Seymour
Audrey / Mrs. Luce
Mr. Mushnik / Mr. Bernstein
Orin Scrivello / Penner / Kunde /
Crystal
Chiffon
Ronnette
Stimme Audrey II
Spiel Audrey II
|
© 2024 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de