Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musiktheater
Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum



Die Dreigroschenoper

Ein Stück mit Musik in einem Vorspiel und acht Bildern
Text von Bertolt Brecht unter Mitarbeit von Elisabeth Hauptmann
nach John Gays The Beggar 's Opera
Musik von Kurt Weill

in deutscher Sprache

Aufführungsdauer: ca. 2 h 35' (eine Pause)

Premiere im Großen Haus im MiR am 26. April 2025

Homepage

Musiktheater im Revier
(Homepage)

Von der Puppe zum Menschen

Von Thomas Molke / Fotos:© Pedro Malinowski

Von den Werken, die aus der Zusammenarbeit zwischen Bertolt Brecht und Kurt Weill entstanden, zählt Die Dreigroschenoper wohl zu den erfolgreichsten und am meisten gespielten Stücken, und dafür dürfte nicht nur die Moritat von Mackie Messer, "Und der Haifisch, der hat Zähne", verantwortlich sein, die unter anderem durch zahlreiche Pop-Größen in den unterschiedlichsten musikalischen Interpretationen sehr schnell ein Eigenleben führte. Mit mehr als 4000 Vorstellungen an mehr als 120 Theatern im In- und Ausland allein bis 1930 sorgte das Stück, das zwar den Titel "Oper" trägt, aber eigentlich sehr weit von einer Oper im eigentlichen Sinne entfernt ist, für ausverkaufte Häuser. Dabei soll Brecht von dem hohen Unterhaltungswert des Stückes gar nicht begeistert gewesen sein. Sein Ansinnen sei es eher gewesen, das Publikum mit der Kapitalismus- und Sozialkritik zum Denken anzuregen. So arbeitete er auch nach der Uraufführung weiter an dem Werk, ergänzte Texte und spitzte sie zu, veröffentlichte sogar sechs Jahre später den Dreigroschenroman, in dem er die Verflechtungen von Wirtschaft und Verbrechen noch unmissverständlicher aufzeigte.

Bild zum Vergrößern

Peachum (Klaus Brömmelmeier, links) und seine Frau Celia (Martin Homrich, rechts) wollen ihre Tochter Polly aus den Fängen von Mackie Messer befreien.

Dabei steht Brecht selbst den im Stück kritisierten "Ausbeutern" eigentlich in nichts nach. Denn eigentlich war es Brechts Geliebte Elisabeth Hauptmann, die Ende 1927 für ihn die 1728 in London uraufgeführte The Beggar's Opera von John Gay übersetzte, was für ihn zunächst nur eine unterhaltsame Entdeckung war. Als der Theaterdirektor Ernst Josef Aufricht Brecht um ein Werk zur Eröffnung des Theaters am Schiffbauerdamm 1928 bat, war es auch Hauptmann, die für knapp 80 Prozent des Textes des neuen Stückes, zu dem Kurt Weill Musik in den unterschiedlichsten musikalischen Stilen beisteuerte, verantwortlich gewesen sein soll, obwohl sie am Ende nur 12,5 Prozent der Tantiemen an dem Stück erhielt. Das entspricht schon sehr dem Gebaren des Bettlerkönigs Jonathan Jeremiah Peachum, der seine Bettlerbande schonungslos ausnutzt, um sich in Soho ein florierendes Geschäft aufzubauen. Doch auch Macheath, genannt Mackie Messer, mit dem sich Peachum einen unerbittlichen Kampf um die Vormachtstellung in Soho liefert, weist Parallelen zu Brecht auf, was den Umgang mit Frauen betrifft. So hatte Brecht bereits mit 26 Jahren drei Kinder von drei Frauen und weitere zahlreiche Affären. Auch das lieto fine, das in der Originalfassung von Gays Oper als Karikatur auf die Barockoper gedacht war, spielt in gewisser Weise mit Mackies Charme. Hier erlangt er kurz vor der Hinrichtung eine Begnadigung durch die Königin, die ihn obendrein in den Adelsstand erhebt.

Bild zum Vergrößern

Polly (Fayola Schönrock, vorne links) hat Mackie (Gloria Iberl-Thieme, vorne rechts) geheiratet (im Hintergrund von links: Maximilian Teschemacher als Matthias, Bele Kumberger als Jimmy und Daniel Jeroma als Jakob)

Das Stück, das eigentlich für singende Schauspielerinnen und Schauspieler konzipiert ist, wird in Gelsenkirchen teils mit Solistinnen und Solisten des klassischen Opernensembles und teils mit Vertreterinnen und Vertretern anderer Sparten besetzt. Das Regie-Team um Markus Bothe nutzt als weiteren Verfremdungseffekt das MiR Puppentheater, das seit einigen Spielzeiten eine erfolgreiche weitere Sparte in Gelsenkirchen darstellt. So werden die Figuren des Stückes allesamt als nahezu lebensgroße Klappmaulpuppen gedoppelt, die Peter Lutz entworfen hat. Dabei sehen sich die Gesichter dieser Puppen alle sehr ähnlich und sollen an Brechts Konterfei in unterschiedlichen Stationen seines Lebens erinnern. Unterscheidbar sind sie nur in den Kostümen von Justina Klimczyk, die recht klischeehaft gehalten sind. So tritt Mackie in einem schwarzen Ledermantel auf, der auch Markenzeichen von Brecht gewesen ist. Interessant ist in Bothes Inszenierung auch das Spiel mit den Geschlechtern. Während man die Besetzung von Peachums Gattin Celia mit einem Tenor bereits aus der letzten Produktion des Stückes 2009 im Kleinen Haus im MiR in der Inszenierung des Intendanten Michael Schulz kennt - damals spielte William Saetre diese Rolle -, geht Bothe noch einen Schritt weiter und besetzt die Partie des Mackie mit Gloria Iberl-Thieme und die Partie der Lucy Brown mit Daniel Jeroma, um zu untersuchen, ob die Manipulation durch die Macht auch geschlechterübergreifend funktioniert.

Zunächst tragen nur die Puppen die Kostüme der Figuren. Doch im Verlauf des Stückes "verschmelzen" die Spielerinnen und Spieler mit ihren Rollen und schlüpfen in ähnliche Kostüme, so dass sie am Ende auch ohne die Puppen in den Rollen auftreten. Die Bühne von Robert Schweer besteht aus einem riesigen quadratischen Podest, das über dem hochgefahrenen Orchestergraben aufgebaut ist und somit die Wand zum Publikum durchbricht. Dieses Podest ist mit schachbrettartigen Klappen versehen, in die die Puppen und Darstellerinnen und Darsteller ab- bzw. auftauchen können. Das 15-köpfige Ensemble der Neuen Philharmonie Westfalen ist auf einem Podest hinter dieser Bühne wie eine Art Salon-Orchester im Hintergrund positioniert. Als Moritatensänger tritt Gloria Iberl-Thieme mit der Mackie-Puppe für das Vorspiel zum ersten Akt in die Mitte dieses Podests und wird von den anderen Ensemble-Mitgliedern mit variablen Scheinwerfern angestrahlt. Während Iberl-Thieme nahezu flüsternd beginnt und einen Satz der Kapitalismuskritik aus dem späteren Teil des Stückes vorwegnimmt, liefert sie anschließend eine relativ klassische Moritat von Mackie Messer, während einzelne Darsteller jeweils mit dem variablen Scheinwerfer vortreten und sie bzw. die Puppe anstrahlen.

Auch den folgenden Monolog des Bettlerkönigs Peachum gestaltet Klaus Brömmelmeier mit der Puppe des Peachum als Dialog relativ verfremdet. Man hat das Gefühl, dass er sich mit der Puppe unterhält und die Puppe auf einzelne Aussagen von ihm reagiert. Gleiches gilt für den ersten Auftritt von Martin Homrich als leicht betrunkene Gattin Celia Peachum, die ihrem Mann gegenüber den charmanten Verehrer ihrer Tochter Polly zunächst verteidigt, bis er ihr klarmacht, dass es sich dabei um ihren Erzfeind Mackie Messer handelt. Erst in der folgenden Szene, der Hochzeit im Pferdestall, verschmelzen Fayola Schönrock als Polly und Iberl-Thieme allmählich mit ihren Rollen. Zunächst tragen nur die Puppen Pollys Hochzeitskleid und Mackies Ledermantel. Doch während der Feierlichkeiten ziehen auch Schönrock und Iberl-Thieme die gleichen Kostüme an, so dass sie im weiteren Verlauf auch ohne die Puppen in diesen Rollen erscheinen. Bei Mackies späteren Verhaftungen wird die Puppe Mackie als Gefangener teilweise auch vom Polizisten Smith geführt.

Bild zum Vergrößern

Bele Kumberger als Spelunken-Jenny

Während die unterschiedlichen Stimmfarben auch zur Verfremdung im Stück beitragen sollen, ist es dennoch schwierig, sich an den klassischen Opernstil in einigen Musiknummern zu gewöhnen. Das betrifft vor allem Bele Kumberger als Spelunken-Jenny beim "Salomon-Song". Während Kumberger im Sprechtext als herrlich berechnende Spelunken-Jenny begeistert, klingt ihr wunderschöner Sopran im Gesang leider zu lieblich für die Partie. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass man mit Lotte Lenya, der Urbesetzung der Spelunken-Jenny, die man auch von zahlreichen Einspielungen kennt, einen wesentlich raueren und schnodderigen Tonfall gewohnt ist, der besser zur Rolle passt. Bei Homrich als Celia Peachum fällt dies nicht so sehr ins Gewicht, da er als Tenor sowieso eine Männerstimme hat, die dem harschen Charakter entgegenkommt. Auch beim restlichen Ensemble gehen Darstellung und Gesang eine wunderbare Einheit ein. Herrliches komisches Potenzial entfachen Klaus Brömmelmeier als Peachum und Maximilian Teschemacher als Filch bzw. Polizist Smith. Die Szene, in der Peachum den sich über das Holzbein beschwerenden Bettler Filch entlässt, ist mit seinen Anspielungen auf moderne Gesprächskultur wirklich ganz große Schauspielkunst und entlarvt die modernen Techniken der manipulativen Gesprächsführung auf äußerst zynische Weise. Doch auch als leicht schusseliger Polizist Smith verfügt Teschemacher über herrliche Slapstick-Fähigkeiten.

Bild zum Vergrößern

Mackie (Gloria Iberl-Thieme, rechts) fordert von Tiger Brown (Sebastian Schiller, links) die Freilassung.

Fayola Schönrock spielt als Polly den Wandel vom verliebten naiven Mädchen hin zur kühl kalkulierenden Geschäftsfrau glaubhaft aus. Dennoch nimmt man ihr den "Barbara-Song", in dem sie ihrer Mutter in gewisser Weise erklärt, wieso sie ihr Herz an Mackie verloren hat, eher ab als den im Stall vorgetragenen Song der Seeräuber-Jenny. Iberl-Thieme spielt den Mackie mit all seinen Schattierungen aus, die auch nachvollziehbar machen, wieso er auf einige Menschen derart charismatisch wirkt. Daniel Jeroma liefert sich als Lucy Brown mit Schönrock ein großartiges Eifersuchts-Duett, wobei der angedeutete Schwangerschaftsbauch eine besondere Nuance besitzt, wenn man bedenkt, dass die Rolle von einem Mann gespielt wird. Große Komik entfaltet auch die Szene der beiden mit Kumberger, wenn sich die Frauen untereinander gegen Mackie solidarisieren und dementsprechend enttäuscht sind, dass er am Ende doch begnadigt wird. Sebastian Schiller gibt einen herrlich korrupten Polizeichef Tiger Brown, der hin- und hergerissen ist zwischen Loyalität zu Mackie und dem Zwang, für Recht und Ordnung zu sorgen. Dies alles verkörpert Schiller mit großartig komischem Potenzial.

Auch der von Alexander Eberle einstudierte Opernchor des MiR hat am Ende einen großartigen Auftritt, wenn er die Ankunft des königlichen Boten verkündet, der wie ein Deus ex machina Mackies Rettung verkündet. An der Koordination der hochzuhaltenden Schilder muss an einzelnen Stellen allerdings noch ein bisschen gearbeitet werden, da ein "Horch" falsch herum gehalten wurde und der "reitende" Bote am Anfang des Gesangs zu spät gezeigt wurde. Eine Prise Lokalkolorit durfte der Chor dann aber auch noch versprühen, wenn zwischen den Schildern "Make Soho Great Again" die Forderung "Make Schalke Great Again" zu lesen war. Lutz Rademacher führt die Neue Philharmonie Westfalen mit sicherer Hand durch die stilistisch sehr unterschiedliche Partitur, die unterschiedliche zeitgenössische Tanzstile mit choralartigen Harmonien und romantischem Kitsch kombiniert und rundet den Abend wunderbar ab, so dass es großen und verdienten Applaus für alle Beteiligten gibt.

FAZIT

Die Dopplung der Figuren mit den Puppen geht wunderbar auf und gibt dem Verfremdungseffekt des Stückes eine neue Farbe.


Ihre Meinung
Schreiben Sie uns einen Leserbrief
(Veröffentlichung vorbehalten)

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Lutz Rademacher

Inszenierung
Markus Bothe

Bühne
Robert Schweer

Puppen
Peter Lutz

Kostüme
Justina Klimczyk

Licht
Mario Turco

Ton
Fabian Halseband

Chor
Alexander Eberle

Dramaturgie
Anna-Maria Polke

 

Neue Philharmonie Westfalen

Opernchor des MiR

MiR Puppentheater

 

Solistinnen und Solisten

*Premierenbesetzung

Jonathan Jeremiah Peachum
Klaus Brömmelmeier

Celia Peachum
Martin Homrich

Polly Peachum
Fayola Schönrock

Macheath, genannt Mackie Messer
Gloria Iberl-Thieme

Tiger Brown, Polizeichef von London
Sebastian Schiller

Lucy Brown / Jakob / Walter / Bettler
Daniel Jeroma

Spelunken-Jenny / Ede / Jimmy
Bele Kumberger

Filch / Matthias / Smith
Maximilian Teschemacher



Weitere
Informationen

erhalten Sie vom
Musiktheater im Revier
(Homepage)



Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum
© 2025 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de

- Fine -