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Narren, nichts als Narren sind wir
Von Stefan Schmöe / Fotos von Isabel Machado Rios
"Die ganze Welt ist eine Bühne". Dieses Zitat könnte als Motto über der Inszenierung stehen. Dabei stammt es weder aus den Lustigen Weibern von Windsor noch aus Heinrich IV. oder Heinrich IV., den Dramen Shakespeares, die Arrigo Boito als Quellen für das Libretto zum Falstaff gedient haben (sondern aus Wie es Euch gefällt). Aber die Grenzen zwischen Theater und Welt sind an diesem Abend fließend. Immer wieder betreten Bühnentechnikerinnen und -techniker des Musiktheaters im Revier (MiR) gut sichtbar die Szene. Das Damenquartett der Geschichte - Mrs. Ford, deren Tochter Nanetta, Meg Page und Mrs. Quickley - sitzen zunächst im Zuschauerraum und treten von dort auf. Immer wieder mal schauen Personen auf der Bühne hinunter in den Orchestergraben, wenn von dort überraschende Töne erklingen. Aber auch im Stück spielt man sich permanent etwas vor. Falstaff mimt den verliebten Ritter, der gleich zwei Damen identische Liebesbriefe schreibt. Und Alice und Mag Page, die Adressatinnen, spielen mit und gehen zum Schein darauf ein. Im Finale spielen sie alle, tauschen die Kleider und die Identitäten. Und der sagenhaft dicke Bauch Falstaffs, von dem im Stück so oft die Rede ist, der ist ein Stoffbauch, den er sich umhängt und später verärgert wegwirft. ![]() Jungs gegen Mädchen? Unten planen (von links) Cajus, Ford, Pistola und Bardolfo eine Intrige; Mrs. Quickly, Nanetta, Mrs. Ford und Meg Page verfolgen eigene Pläne. Fenton (oben) interessiert sich eigentlich nur für Nanetta. In der Mitte auf dem Stuhl der heimliche Star der Inszenierung: Falstaffs (Stoff-)Bauch.
Regisseur Frank Hilbrich, der mit Beginn der kommenden Spielzeit die Intendanz am MiR übernehmen wird, vertraut dem Text und der Musik und inszeniert das Stück als temporeiche Komödie. Die Kostüme (Gabriele Rupprecht) verorten das Geschehen in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts, ohne sich allzu genau festzulegen. Die ein bisschen biedere, dabei nicht unsympathische Gesellschaft ist leicht überzeichnet, aber nicht zur Karikatur verzerrt. Bei allem mitunter auch derbem Spaß spürt man viel Empathie der Regie mit den Figuren. Der Zorn des eifersüchtigen Mr. Ford erscheint ebenso plausibel wie die Hoffnungen des hier gar nicht so alten, aber ziemlich spießig gezeichneten Dr. Cajus auf die junge Nanetta. Die Personenregie ist bis in kleine Gesten ausgefeilt. Das ungeheuer spielfreudige Ensemble setzt das ganz ausgezeichnet um. ![]()
Das einfache, aber effektvolle Bühnenbild (Volker Thiele) besteht aus vielen einfachen, dunklen Tischen. Die sind zunächst hochkant zu Wänden gestellt und deuten ein Restaurant, in dem Falstaff residiert, an und später das Anwesen der Ford. Im dritten Akt bilden sie, zum Rechteck zusammengestellt, eine Bühne auf der Bühne. Lebenskünstler Falstaff malt seine Weisheiten ("Wer braucht schon Regeln, wenn man Chaos haben kann?") auf große Tücher, die von der Decke hängen. Seine identischen Liebesbriefe hat er auch in diesem Format verfasst. Benedict Nelson verleiht diesem Lebenskünstler eine große Stimme und raumgreifende Bühnenpräsenz: Ein Bilderbuchfalstaff mit komischem Charme. Im Finale verkleidet er sich auf Alices Geheiß nicht als "schwarzer Jäger" mit Hirschgeweih, wie der Text das eigentlich vorsieht, sondern als - Schwein. Im Chor gibt es plötzlich viele Personen mit Fleischmesser und blutiger Schürze. So wird unvermittelt das Gewaltpotenzial hinter der Fassade sichtbar. Harmlos ist die Komödie keineswegs. Trotz der absurden Verkleidungen rutscht die Szene nicht in den Kitsch ab. Falstaff mit Schweinskopf - das Bild zeigt auch einen Menschen, dem gerade der Boden unter den Füßen weggezogen wird. ![]() So geht man nicht mit einem Ritter um: Falstaff und Bauch nach dem unfreiwilligen Bad in der Themse.
Solche durchaus heiklen Momente funktionieren auch deshalb, weil auf der musikalischen Seite fast alles stimmt. Simon Stricker als Mr. Ford singt seinen Zorn imposant donnernd, aber auch da klangschön, dem Publikum zu. Heejin Kim ist eine agile und quirlige, sehr souveräne Mrs. Ford. Der Stimme von Almuth Herbst als Mrs. Quickly fehlt es zwar an Fülle in der tiefen Lage für die von Verdi hinreißend witzig komponierte "Reverenza!"-Grußformel, die Sängerin gestaltet die Partie aber nuanciert aus. Constanze Jader gibt eine elegant-distanzierte Meg Page, Martin Homrich einen liebenswert-naiven Dr. Cajus. Mit lyrischem, in der Höhe ein wenig wackligem Tenor gestaltet Adam Temple-Smith den Fenton als beinahe schüchternen Liebhaber Nanettas, die Margot Genet mit anrührend mädchenhaftem Timbre singt. Benjamin Lee (Bardolfo) und Yevhen Rakhmanin (Pistola) sind stimmlich wie darstellerisch ein genau konturiertes Dienerpaar - keine versoffenen Trottel wie sonst meist, sondern geschickt taktierende Intriganten. Der Opernchor des MiR (Einstudierung: Alexander Eberle) glänzt mit schwebend leichtem Klang in der Feen-Szene und hoher Präzision im Finale. Und alle sind musikalisch wie szenisch genau auf einander abgestimmt. ![]()
Die sehr konzentrierte Neue Philharmonie Westfalen spielt unter der Leitung von Rasmus Baumann mit Leichtigkeit und viel Witz. Die Musik ist sehr genau durchgestaltet - da kann mitten im schönsten Piano plötzlich ein Fortissimo-Ton erschrecken (am Ende des zweiten Akts, wenn die Herren sich an das vermeintliche Versteck von Falstaff im Haus der Fords heranschleichen, wird dieser Effekt auch szenisch sehr schön ausgekostet). Vieles dirigiert Baumann im Stil einer Konversationskomödie, nah am Text und lebendig im Ausdruck. Aber er kostet auch die gesanglichen Phrasen aus. Die in weiten Teilen lyrische Stimmung der letzten Szene klingt zart und entrückt. Die große Schlussfuge mit der Botschaft "Wir alle sind Narren", frontal in den Zuschauerraum gesungen, besitzt Schärfe und Präzision. Das Premierenpublikum nahm's mit großem Jubel entgegen.
Unbedingt sehens- und hörenswert: Frank Hilbrich, Regisseur und designierter Intendant in Gelsenkirchen, stellt sich mit einer szenisch wie musikalisch mitreißenden Aufführung vor, vom Ensemble des MiR bravourös umgesetzt. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht
Choreinstudierung
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der Premiere
Sir John Falstaff
Ford
Fenton
Cajus
Bardolfo
Pistola
Alice Ford
Nannetta
Mrs. Quickly
Meg Page
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