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Das verträumte Mädchen von nebenan
Von Stefan Schmöe / Fotos von Pedro Malinowski
Jede Epoche hat ihre Bohème. Das behauptet jedenfalls das Programmheft. Wobei der in Puccinis Oper beschriebene Typus des mittellosen (Über-)Lebenskünstlers wohl doch ein Phänomen des bürgerlichen Zeitalters ist, mag man einwenden. Ein sympathischer Gegenentwurf zum wohlsituierten Spießbürger. Puccini, zu Beginn seiner Karriere selbst am Rande des Existenzminimums lebend, mag sich innerlich damit solidarisiert haben. Das Publikum liebt den tieftraurigen, gleichwohl sanft romantisierenden Blick in die Vergangenheit sowieso. Versuche, das Stück in die weitaus weniger romantische Gegenwart zu transportieren, scheitern zuverlässig an Puccinis traumhaft schönen Melodien. ![]()
An Sozialkritik ist daher auch Regisseurin Sandra Wissmann nichts gelegen. Sie verlegt die Handlung, die sich librettogemäß um 1830 herum ereignet, in die 1920er-Jahre, ohne dabei allzu genau zu werden. Was die Epoche ausmacht - Zwischenkriegszeit, Weltwirtschaftskrise, die sich abzeichnende Katastrophe des Zweiten Weltkriegs - davon spürt man so gut wie nichts. Natürlich funktioniert die Geschichte auch in diesem Umfeld, ist vielleicht auch mit dem Kontrast zwischen dem mondänen Pariser Leben und der Armut der Protagonisten aus heutiger Perspektive besser nachvollziehbar. Die Kostüme (Beata Kornatowska) sind dabei überwiegend zurückhaltend gestaltet und wirken oft historisch gar nicht so weit entfernt von unserer Zeit. Die Regie bleibt eng am Text, interpretiert nichts um, sondern erzählt ziemlich schnörkellos nach, was zu erzählen ist. Die Personenregie gibt sich solide, in den Nebenfiguren des Vermieters Benoît und Musettas ältlichem Liebhaber Alcindoro etwas angestrengt um Komik bemüht (Benedict Nelson, eigentlich für den Marcello vorgesehen und kurzerhand für Urban Malmberg eingesprungen, gibt beiden stimmlich wie szenisch trotzdem das angemessene Maß an Würde). ![]() Gehobene Stimmung im Café Momus: Am Tisch rechts sitzen (von links) Marcello, Rodolfo, Mimì, Schaunard und Colline.
Das nicht übermäßig attraktive Bühnenbild (Britta Tönne) zeigt eine puppenstubenhafte Mansardenwohnung, die auf einen Sockel aufgesetzt ist wie das Dach eines kleinen Hauses und auf die Drehbühne gestellt ist. Zwar lässt sich so bei offenem Vorhang durch eine halbe Drehung die ärmliche Studentenbude in das Café Momus verwandeln (das auch für das dritte Bild, eigentlich an der Zollschranke am Stadtrand angesiedelt, herhalten muss), aber die Bühne wird für den Auftritt des Chors dadurch ziemlich eng. Mit viel gutem Willen mag man symbolisch Vorder- und Rückseite des Großstadtlebens in diesem Modell erkennen, die weihnachtlich glänzende Fassade und die Not dahinter. Wirklich zwingend ist das nicht. Allzu realistisch will sich die Ausstattung dabei nicht geben und hält eine wohltuende Distanz zum reinen Ausstattungstheater, wirkt dadurch aber auch ein wenig unentschlossen. Aber die Inszenierung trägt das Stück zuverlässig. Einer Interpretation durch die Regie bedarf La Bohème ohnehin nicht. ![]()
Ganz im Sinne dieser letztlich "romantischen" Sicht auf die Bohème gestaltet Heejin Kim die Mimì als verträumtes junges Mädchen mit geradezu kindlicher Naivität. Die Stimme verfügt über ein schönes Piano und eine strahlende, leicht metallische Höhe. In der Mittellage fehlt es ein wenig an Farbe. Damit gestaltet sie eine sicher noch nicht völlig ausgereifte, aber doch sehr beeindruckende und anrührende Mimì. Khanyiso Gwenxane singt den Rodolfo mit warm timbriertem, höhensicherem Tenor, der kein allzu großes Volumen besitzt. Wenn der Sänger notgedrungen forciert, verliert die Stimme an Glanz und klingt ein wenig eindimensional. Darstellerisch wirkt er oft eine Spur zu unbeteiligt. Vokal wie szenisch sehr pointiert und mit durchaus großen Stimmen gestalten Simon Stricker den Marcello, Philipp Kranjc den Colline und Yancheng Chen den Schaunard. Margot Genet gibt die Musetta als aufgetakelte Diva (mit fürchterlicher Frisur), gesungen mit soubrettenhaft leichtem und hellem Sopran. ![]() Das Ende: Mimì stirbt an Rodolfos Seite
Giuliano Betta am Pult der insgesamt guten, in manchen Details ungenauen Neuen Philharmonie Westfalen dirigiert viele Details sorgfältig aus, neigt dadurch aber mitunter durch sehr kontrollierte Tempi zu einer gewissen Behäbigkeit. Auch wenn er durchaus schöne und großformatige Bögen dirigiert, dürfte die Musik hier und da ruhig im Tempo anziehen und an Dramatik zulegen. Puccinis raffinierte, beinahe impressionistische Klangfarben im dritten Bild werden wenig ausdifferenziert, die Kontraste bleiben mild. Chor und Kinderchor singen präzise und klangschön.
Das Musiktheater im Revier zeigt eine nicht unbedingt glanzvolle, aber angenehm unaufgeregte, durchweg aus dem eigenen Ensemble besetzte Bohème auf musikalisch ordentlichem Niveau. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Mitarbeit Kostüme
Licht
Choreinstudierung
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der Premiere
Rodolfo
Marcello
Mimi
Schaunard
Musetta
Colline
Benoit, Alcindoro
Parpignol
Sergeant bei der Zollwache / Zöllner
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