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Satyagraha

Oper in drei Akten
Libretto nach der Bhagavadgita von Philip Glass und Constance DeJong
Musik von Philip Glass


In Sanskrit mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h 30' (zwei Pausen)

Premiere an der Staatsoper Hannover am 6. September 2024


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Staatsoper Hannover
(Homepage)

In 65 Millionen Jahren geht alles wieder von vorn los

Von Stefan Schmöe / Fotos von Sandra Then

Gandhi muss weg. Meint Regisseur Daniel Kramer jedenfalls und lässt aus Unbehagen an der historischen Person die Hauptfigur der Oper kurzerhand gleich nach der ersten Szene erschießen. Vorbehalte gegen Gandhi sind nicht neu, angefangen bei dem offensichtlichen Spannungsfeld aus gelebter Askese und Selbststilisierung bis zu Hinweisen in jüngerer Zeit auf rassistische Äußerungen und sexuelle Übergriffigkeit (Gandhi soll junge Frauen gezwungen haben, neben ihm zu schlafen, um seine sexuelle Enthaltsamkeit zu beweisen). Gleichzeitig gibt es natürlich den Mythos Gandhi, der sich von der historischen Person gelöst hat. Dieser Mythos lebt auch auf der Bühne weiter (schon deshalb, weil es ja noch einiges zu singen gibt), in wechselnden Figuren. Klingt ein bisschen kompliziert? Ist es auch. Und natürlich sieht das Publikum in dem charismatischen glatzköpfigen Mann niemand anderen als Gandhi.

Vergrößerung in neuem Fenster Die Klimakatastrophe macht die Erde nahezu unbewohnbar. Vorn: Gandhi, der in dieser Inszenierung nur kurz Gandhi sein darf.

Die Oper von Philip Glass ist ja auch keineswegs ein musikalisches Biopic, sondern viel mehr eine Mischung aus Ritual und Ideendrama - nicht ohne Grund heißt das Werk Satyagraha und nicht etwa Gandhi. "Satyagraha" ist ein von Gandhi aus dem Sanskrit erdachtes Kunstwort, in etwa "Festhalten an der Wahrheit", das in seiner vielschichtigen Bedeutung die Prinzipien des gewaltfreien Widerstands zusammenfassen soll. Sehr vereinfacht gesagt, verbinden sich Gewaltlosigkeit und Leidensbereitschaft mit dem Ziel, die Rollen des Starken und des Schwachen, von Unterdrücker und Unterdrücktem, umzukehren. Gandhi entwickelte die Prinzipien in seiner Zeit als junger Anwalt in Südafrika, wo er sich nach eigenen Diskriminierungserfahrungen mehr und mehr als Kämpfer für die Rechte der indischen Minderheit engagierte. Glass orientiert sich in der Dramaturgie des Werkes an Ereignissen aus dieser Zeit, wobei historische Ereignisse und Personen in der Oper nicht mehr sind als Anlässe, über die großen Gedanken zu sinnieren. Parallel dazu ordnet Glass jedem der drei Akte eine spirituelle Leitfigur zu: Lew Tolstoi (dessen pazifistische Einstellung großen Einfluss auf Gandhi hatte) im ersten, Gandhis Zeitgenosse Rabindranath Tagore, Literatur- Nobelpreisträger 1913, im zweiten und Martin Luther King im dritten. Aus der Perspektive der Hauptfigur Gandhi spiegeln sich darin Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft von Satyagraha.

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Wir schreiben das Jahr 2048: Wer Geld hat, wandert aus - zum Mond oder zu anderen Planeten.

Kramer übernimmt davon in seiner Inszenierung gerade einmal die Aufteilung in drei Zeitblöcke. Den ersten Akt überschreibt er mit "Tod und Reinkarnation" und zeigt, abweichend von Glass' Dramaturgie, Tod und Leichenwaschung Gandhis, wobei Gott Krishna ein Baby als neuen Körper für Gandhis Seele aussucht, Babypuppe und Kinderwagen eingeschlossen - Kitsch lass' nach! denkt man sich (leider vergebens). Den zweiten Akt ("Widerstand") siedelt er im Jahr 2048 an. Nach der Klimakatastrophe ist die Erde nahezu unbewohnbar geworden, Trinkwasser ist ein rares Gut. Ein paar Superreiche fliehen auf den Mond, während die versklavte Masse verharren muss und zaghaft Widerstand entwickelt. In den albernen Kostümen (Shalva Nikvashvili) sieht das aus wie ein sehr, sehr schlechtes B-Science-Fiction-Movie (oder wie eine Persiflage des jungen Woody Allen im Stil von Everything You Always Wanted to Know About Sex* (*But Were Afraid to Ask). Die Konfrontation von mächtigen Reichen und unterdrückten Armen ist derart plump gezeichnet, dass dieser Akt ausgesprochen zäh wird. Der dritte Akt ("Zukunft") ist zweigeteilt; zunächst sieht man die Superreichen im Jahr 3048 auf dem Mond in Liegestühlen vor sich hinvegetieren, wobei Dr. med. Gandhi mit riesigen Spritzen gegen deren Verkrampfungen angeht. Der zweite Teil - in 65 Millionen Jahren - zeigt eine Erde, auf der (offenbar nach einer vollständigen Zerstörung allen existierenden Lebens) - neue Lebensformen entstanden sind: Zottige Wesen mit einem Auge wie aus Bilderbüchern für die Kleinsten.

Vergrößerung in neuem Fenster Wasser (im Video) ist eine wertvolle Ressource.

Allerlei Mumpitz also, der zum schnellen Vergessen der Inszenierung auffordert. Was an Satyagraha heute interessieren könnte, zeigen am besten die eingespielten großformatigen Videosequenzen (Chris Kondrek). Wassertropfen in Zeitlupe, der Blick aus dem All auf die Erde, Zellteilungen unter dem Mikroskop - das sind eindrucksvolle Bilder, die in ihrer Ruhe mit der unendlich geduldigen minimal music von Philip Glass korrespondieren. Versöhnlich stimmen auch die Anfangs- und Schlussszene, in der Gandhi im goldenen Licht auf einem Podest vom Bühnenhimmel ein- bzw. entschwebt. Hier findet Kramer einen Stil, der das Werk ernst nimmt und ihm gerecht wird - nicht zuletzt dem rituellen Charakter des Werkes, das ja praktisch keine musikalische Entwicklung zeigt, sondern eine blockhafte Szene neben die nächste setzt.

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im Jahr 3048 ist das Leben auf dem Mond nur noch mit starken Medikamenten zu ertragen.

Der indisch-australische Tenor Shanul Sharma verleiht der Figur des Gandhi großes Charisma, auch dann, wenn er nur "einer aus der Menge" sein soll - vom Publikum aus identifiziert man ihn auch dann sofort als Gandhi, egal wie viele Pirouetten die Regie darum herum dreht. Die leicht baritonal eingefärbte Stimme besitzt ein unopernhaft leichtes, beinahe ätherisches Timbre, das die Figur mit einer geheimnisvollen Aura umgibt, und das ist vielleicht das Überzeugendste an diesem Abend. Die anderen Sängerinnen und Sänger, durchweg sehr ordentlich, bleiben demgegenüber zweitrangig, und Sharma unterstreicht diese Rangordnung mit großer, einnehmender Geste. Unter der Leitung von Masaru Kumakura spielt das Niedersächsische Staatsorchester Hannover in einem durchaus romantischen Gestus, der Glass' Motive in der Dauerwiederholungsschleife gern als lyrische Kantilenen interpretiert. Der Chor (Einstudierung: Lorenzo Da Rio) singt klangprächtig und mit großem Vibrato wie in der italienischen romantischen Oper, ist dabei rhythmisch nicht immer sehr präzise und oft nicht genau mit dem Orchester zusammen. Solange man die Musik als flirrende Klangfläche auffasst, stört das nicht allzu sehr. Ob man der minimal music mit dieser Art der Weichzeichnung wirklich gerecht wird oder eine sprödere, rhythmisch härtere Interpretation dem ganz eigenen Charakter dieser Musik nicht eher gerecht wird, bleibt eine Streitfrage. So oder so: Die Musik von Philip Glass nimmt gefangen. Und sie widersetzt sich einer Vereinnahmung durch den gedanklichen Überbau der Inszenierung.


FAZIT

Regisseur Daniel Kramer verramscht weite Teile von Satyagraha als durchgeknallte Science-Fiction-Saga in albernen Kostümen unter Wert. Die Musik von Philip Glass wirkt trotzdem, nicht zuletzt Dank des beeindruckenden Hauptdarstellers Shanul Sharma.




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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Masaru Kumakura

Inszenierung
Daniel Kramer

Bühne
Justin Nardella

Kostüme
Shalva Nikvashvili

Licht
Andreas Schmidt

Video
Chris Kondek

Chor
Lorenzo Da Rio

Dramaturgie
Sophia Gustorff


Chor der
Staatsoper Hannover

Statisterie der
Staatsoper Hannover

Niedersächsisches Staatsorchester Hannover


Solisten

* Besetzung der Premiere

Gandhi
Shanul Sharma

Miss Schlesen
Meredith Wohlgemuth

Mrs. Naidoo
Ketevan Chuntishvili

Kasturbai
Beatriz Miranda

Mr. Kallenbach
Lluís Calvet i Pey

Parsi Rustomji
Markus Suihkonen

Mrs. Alexander
Ruzana Grigorian / Freya Müller

Arjuna
Darwin Prakash

Krishna
Markus Suihkonen



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