!
![]() ![]() |
Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
![]() ![]() ![]() ![]() |
|
Miteinander reden, um das Unfassbare verstehen zu können
Von Stefan Schmöe / Fotos von Volker Beushausen
Am 19. August 2014 wurde der amerikanische Journalist James Foley von Terroristen des „Islamischen Staats“ ermordet. Das Video, das ihn kurz vor seiner Enthauptung im orangefarbenen Hemd kniend neben einem vermummten, mit einem erhobenen Messer bewaffneten Mann und später als Leiche zeigt, wurde auf verschiedenen Kanälen als „Nachricht an Amerika“ veröffentlicht und ging um die Welt. Foley hatte fast zwei Jahre in Geiselhaft der Terroristen verbracht; die amerikanische Regierung unter Barack Obama hatte - anders als andere Staaten - kategorisch eine Lösegeldzahlung abgelehnt. Am 24. Januar 2018 wurde der britische Staatsbürger Alexanda Kotey, der als Erwachsener zum Islam konvertiert war, als Mitglied einer vierköpfigen Terrorzelle verhaftet, später in den USA der Ermordung Foleys angeklagt und nach einem Geständnis verurteilt. Als Auflage für eine lebenslange Haft anstelle der Todesstrafe erklärte Kotey sich bereit, Gespräche mit Angehörigen der Opfer zu führen. Im Oktober 2021 traf sich Diane Foley (als einzige Vertreterin von Angehörigen der Opfer) mit Kotey, teilweise in Anwesenheit des Schriftstellers Colum McCann. Eine Zusammenfassung dieser Gespräche veröffentlichte McCann in Buchform unter dem Titel American Mother. Im Dezember 2024 erschien die deutsche Übersetzung. ![]()
Als die britische, in Berlin lebende Komponistin Charotte Bray (*1982) vom Theater Hagen die Anfrage zur Komposition einer Oper bekam, schlug sie diesen Stoff vor - ohne von der Buchveröffentlichung zu wissen. McColum selbst verfasste das Libretto, das die Thematik geschickt auf rund 85 Minuten Spieldauer reduziert und neben Diane Foley und Alexanda Kotey drei weitere Figuren hinzufügt: Einen Gefängniswärter („prison guard“), der mit seiner unverhohlenen Abscheu gegen Kotey einen inhaltlichen Kontrapunkt setzt; den ermordeten James Foley, der in den Gesprächen immer mehr an Präsenz gewinnt; und schließlich die Mutter des Mörders, die zum Sinnbild für Mütter schlechthin werden. Im Operntext geht es nicht darum, die Fakten aufzuarbeiten, sondern um die Möglichkeit eines Verstehens, im utopischsten Fall der Versöhnung. Koteys Taten werden nicht gerechtfertigt, aber aus dem seelenlosen Monster (das der Gefängniswärter in ihm sieht) wird ein Mensch mit Biographie und mit Idealen. Kotey hat das Leid erlebt, das syrischen Kindern durch Drohnenangriffe angetan wurde. Sein Handeln wird dadurch nicht relativiert, aber die Oper transportiert die große Botschaft, im anderen den Menschen zu sehen. ![]() Erste Begegnung: Alexanda Kotey und Diane Foley
Die Musik beginnt mit einem vorsichtigen Tasten; aus einem Ton entwickelt sich durch kleine Verschiebungen einer Instrumentalstimme eine dissonante Reibung bis hin zu clusterartigen Strukturen, auf verschiedene Stufen des Tonraums verteilt. Vor dem Hintergrund dieser flächigen Struktur des Orchesterparts entwickeln die Gesangsstimmen stärker melodisch geprägte Linien individueller Ausprägung. Die Musik entwickelt einen beklemmenden Sog und folgt psychologisch genau in sieben Szenen dem Spannungsaufbau und -Abfall der Handlung. Der Vergleich mit Jake Heggies ziemlich erfolgreicher Oper Dead Man Walking, die ebenfalls Gespräche mit einem verurteilten Mörder um die Frage des „Warum?“ in den Mittelpunkt stellt, liegt nahe. Während Heggie als Form effektvoll die konventionelle Nummernoper mit Arien und Ensembles gewählt hat und darin unterschiedliche Positionen zur Todesstrafe diskursartig gegenüberstellt, bleibt Charlotte Bray musikalisch moderner, was vor allem heißt: weniger eingängig. Die Spannung erwächst aus der Ungewissheit der Situation, dem Ringen um richtige Worte und Gesten, das vorsichtige Verschieben von Positionen, ohne die eigenen Überzeugungen aufzugeben. Das spiegelt sich in Charlotte Brays Partitur musikalisch zwingend. Ungeachtet des humanitären Appells bleibt ein gewisses Maß an Fassungslosigkeit über die Vorgänge zurück - eine Unschärfe, die das Werk vor Banalisierung wie vor falschem Pathos schützt. Wenn sich der Mörder und die Mutter des Opfers am Ende der Oper nach langem Zögern dazu durchringen, sich die Hände geben, ist viel erreicht. ![]()
Regisseur Travis Preston tut gut daran, nichts zusätzlich interpretieren oder in andere Kontexte setzen zu wollen, sondern präzise Bilder für die Handlung zu finden. Durch einen breiten Steg über den Orchestergraben führt er das Geschehen nah an das Publikum heran, belässt es ansonsten bei unverzichtbaren Requisiten wie Tisch und Stühlen, die im schwarzen leeren Raum stehen (Bühne und Kostüme: Christopher Barreca) und die Deutung nicht auf ein historisches Ereignis verengen. Sparsam eingesetzte Videosequenzen (Ruey Horng Sun) zeigen eine zerstörte Stadt oder eine Feuersbrunst - aber nicht das Hinrichtungsvideo. Wenn James Foley erscheint, sieht man ihn zunächst kniend im orangenen Kittel wie in den Aufnahmen vor seinem Tod (aber ohne Mörder). Dazu wird er auf einem Podest vom Schnürboden herabgelassen. Mit jedem Auftritt kommt er der Bühne und damit dem Geschehen etwas näher, gewinnt an Präsenz und Persönlichkeit. Aus dem Bild des Ermordeten wird immer stärker das Portrait des Journalisten, der sich couragiert für die Opfer des Krieges eingesetzt und von diesen erzählt hat. Der Gefängniswärter trägt eine originale US-Polizeiuniform. So setzt die Inszenierung einerseits auf historische Genauigkeit, wo es nötig ist, und auf eine Abstrahierung im Sinne einer Verallgemeinerung und Überhöhung. Bestechend ist die Präzision in der Personenführung, die oft auf kleine Gesten setzt - ein Zögern, ein kurzes Innehalten, Momente der Verunsicherung, aus denen immense Spannung und psychologische Glaubwürdigkeit erwächst. ![]() Kotey, umgeben von James Foley, seiner eigenen Mutter und dem Gefängniswärter
Die amerikanische Mezzosopranistin Katharine Goeldner in der Rolle der Diane Foley ist mit ihrer grandiosen sängerischen wie darstellerischen Leistung eine ideale Besetzung. Die raumfüllende, ganz leicht dunkel grundierte Stimme ist von großer Durchschlagskraft und porträtiert die Figur als eine selbstbewusste, gleichzeitig zweifelnde, sehr mutige und ungemein eindrucksvolle Frau. Ihrer gewaltigen Partie steht der auf vergleichsweise wenige, recht kurze Phrasen reduzierte Part des Mörder Kotey gegenüber - Timothy Conner gibt ihn mit leicht dumpf klingendem Bariton, der ausgezeichnet die anfänglich große emotionale Distanz zum Ausdruck bringt, und spielt ihn mit abweisender Präsenz, hinter der sich große Emotionen verbergen. Roman Payer ist mit geschmeidigem Tenor ein schwärmerisch idealistischer James Foley, Angela Davis in ihrem kurzen Auftritt am Ende der Oper eine anrührende Mutter Koteys. Dong-Won Seo besticht mit großem Bariton als Prison Guard. Der Chor, der keine unmittelbare Funktion für die Handlung hat, sondern in Anlehnung an den Chor der antiken Tragödie das Geschehen kommentiert und einzelne Sätze der Akteure wiederholt, singt mit homogenem, liedhaft klarem Klang. Unter der Leitung von Joseph Trafton spielt das Philharmonische Orchester Hagen gerade in den leisen Passagen mit großer Intensität.
Einer der spannendsten Theaterabende der Saison: Zum Ende der Intendanz von Francis Hüser präsentiert das chronisch unterfinanzierte Theater Hagen eine überaus beeindruckende Uraufführung. American Mother hat nicht nur der gesellschaftspolitischen Relevanz wegen das Potenzial, auch an anderen Bühnen gespielt zu werden. Die Hagener Produktion setzt szenisch wie musikalisch hohe Maßstäbe. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Kostüme
Videodesign
Licht
Chor
Dramaturgie
Statisterie des Theaters Hagen Chor des Theaters Hagen Philharmonisches Orchester HagenSolisten
Diane Foley
Alexanda Kotey
James Foley
Mrs. Kotey
Prison Guard
|
© 2025 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de