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Berühmter Klassiker zur Spielzeiteröffnung Von Thomas Molke / Fotos: © Volker Beushausen
Die Opernbühnen in NRW scheinen zum Spielzeitbeginn auf große Publikumsrenner zu setzen. Während im Aalto Theater Essen die Saison mit Mozarts Zauberflöte eröffnet worden ist und die Oper Dortmund mit La traviata begonnen hat, hat man sich in Hagen entschieden, Bizets Carmen auf den Spielplan zu stellen, die ebenfalls zu den weltweit am meisten gespielten Opern zählt, auch wenn der Erfolg des Werkes sich nicht direkt bei der Uraufführung am 3. März 1875 einstellte und Bizet, der drei Monate später im Alter von nur 36 Jahren starb, ihn nicht mehr erleben konnte. Ein Grund mag neben der für die damalige Zeit schockierenden und ungewöhnlichen Handlung gewesen sein, dass das tragische Schicksal der Titelheldin nicht zu den Konventionen einer Opéra-comique passte. In diesem Genre setzte man mit einer Abwechslung von Dialogen und gesungenen Passagen auf Stücke mit glücklichem Ende. Erst als Ernest Guiraud für die zweite Aufführungsserie in Wien die gesprochenen Dialoge durch Rezitative ersetzte, erreichte das Werk eine Popularität, die bis heute anhält. Micaëla (Dorothea Brandt) bringt José (Jongwoo Kim) Nachrichten von seiner Mutter. In Hagen hat man sich allerdings entschieden, die ursprüngliche Dialogfassung zu zeigen, die erst ab Mitte des letzten Jahrhunderts wieder vermehrt gespielt worden ist, weil in kaum einem anderen Werk der Gesang so im Bezug zur Handlung und im Kontrast zum gesprochenen Text steht wie in Bizets Oper. So antwortet Carmen beispielsweise in der Verführungsszene im ersten Akt, wenn José sie ins Gefängnis bringen soll, auf seine Aufforderung, nicht zu sprechen, dass sie ja nicht mit ihm rede, sondern nur für sich allein singe. Gleiches gilt in der Szene, in der Zuniga sie für ihr Handeln zur Rechenschaft ziehen will und sie ihm keine Antwort gibt, sondern nur eine Melodie anstimmt, die man durchaus als Provokation auffassen kann. Das Regie-Team um Derek Gimpel setzt auf einen eher abstrakten Ansatz, der sich auf die vier Hauptfiguren konzentriert, und karikiert das angebliche Lokalkolorit in den Kostümen von Erika Landertinger So scheint man für den Kinderchor und den Opern- und Extrachor im vierten Bild vor der Stierkampfarena alles aus dem Kostümfundus zusammengesammelt zu haben, was in irgendeiner Form eine Assoziation zu Spanien ermöglicht. Die Orangenverkäuferin tritt dabei als riesige Orange auf, und auch eine riesige Zigarette läuft über die Bühne. Ähnlich verhält es sich auch mit den pseudo-volkstümlichen Melodien von Bizet. So bezeichnet Dramaturg Thomas Rufin die berühmte Habanera als das "wohl berühmteste Plagiat der Operngeschichte", die nicht auf eine traditionelle spanische Melodie zurückgehe, sondern ihre Wurzeln in Kuba habe und eine Kopie von Sebastián de Yradiers "El arreglito" sei. Carmen (Melissa Zgouridi, rechts) und die Schmuggler (vorne von links: Frasquita (Ofeliya Pogosyan), Mercédès (Luzia Tietze), Remendado (Robin Grunwald) und Dancaïro (Oleh Lebedyev), hinten der Chor) Britta Lammers hat einen halbrunden abgeschlossenen Raum als Bühnenbild entworfen, der die Figuren in ihrer Welt gewissermaßen einschließt. Die einzelnen Elemente der Rückwand werden in wechselnden Farben angestrahlt, vermitteln mal eine erdige, fast warme Atmosphäre und wirken dann wiederum grau und kalt. Die Zigarettenfabrik im ersten Bild erinnert an eine hohe Gefängnismauer mit Stacheldrahtzaun. Interessant ist hierbei die Personenregie Gimpels, der die Soldaten und Arbeiterinnen in der Fabrik zunächst nicht zusammenkommen lässt. Die Pause der Arbeiterinnen findet hinter dieser Mauer statt, die durch Einsatz der Drehbühne mal den Blick auf die Arbeiterinnen, mal den Blick auf die Soldaten und dann auf beide in getrennten Lagern freigibt. Erst wenn Carmen auftritt, gelingt es ihr, diese Mauer zu durchbrechen und José zu verführen. Wieso Micaëla mit einem Fahrrad auf der Suche nach ihrem Jugendfreund José erscheint, erschließt sich nicht wirklich, stört allerdings auch nicht weiter. Für das zweite Bild verwandelt sich die Bühne dann in die Kneipe von Lillas Pastia, in der Carmen gemeinsam mit ihren Freundinnen Frasquita und Mercédès feiert. Ein Türrahmen auf der linken Bühnenseite deutet den Eingang an, durch den die Figuren auch mit Rückstau auf- und abtreten, auch wenn es neben dieser Tür theoretisch kürzere Wege gäbe, die Bühne zu verlassen. Wieso auf der rechten Seite aufgestapelte Möbel stehen, bleibt unklar. Carmen (Melissa Zgouridi, Mitte) und das Volk (Chor) feiern Escamillo (Insu Hwang, Mitte). Für das dritte Bild hat Lammers zwei abstrakte Hügel errichtet, über die die Schmuggler ihre Ware transportieren. Dass sich zum Intermezzo nach der Pause kurz der Vorhang öffnet, eine Feuerstelle zwischen diesen beiden Hügeln zeigt und dann wieder schließt, damit die Feuerstelle entfernt werden kann, erscheint unnötig. Für die Melodie hätte der Blick auf die beiden Hügel durchaus gereicht, und man hätte direkt in den Zug der Schmuggler übergehen können. Unklar bleibt auch, wieso die beiden Hügel im Verlauf des dritten Bildes gedreht werden und damit das Publikum der Illusion der Berge berauben, da man jetzt nur noch ein kahles Treppengestell sieht. Interessant wird die Szene beim Kartenlegen inszeniert. Nachdem Carmen hier mehrmals den Tod gezogen hat, kehren Frasquita und Mercédès mit José zurück, so dass er Zeuge von Carmens bevorstehendem Schicksal wird. Das vierte Bild zeigt dann vor der Stierkampfarena zunächst eine hochgestellte Wand, die sich in ein breites Ehebett verwandelt. Hier findet die letzte Begegnung zwischen Carmen und José statt. Interessant ist, dass Carmen, die sich vorher stets durch feuerrote Kleidung vom restlichen Ensemble abgehoben hat, das rote Kleid nun ablegt und in unschuldigem, reinem Weiß erscheint. Nachdem José sie erstochen hat, sind nur seine Hände blutig, während Carmen sich am Ende in strahlendem Lichtschein wie ein Engel wieder erhebt. Ende einer Beziehung: Carmen (Melissa Zgouridi) und José (Jongwoo Kim) Joseph Trafton setzt mit dem Philharmonischen Orchester Hagen Bizets berühmte Melodien sehr schmissig um und findet für die melancholischen Passagen sehr zarte Ansätze. Besonders bewegend gelingt ihm das Todes-Motiv und das Intermezzo nach der Pause. Für die Titelpartie hat man mit Melissa Zgouridi eine hervorragende Besetzung. Mit sattem, dunklem Mezzosopran gestaltet sie eine Carmen, die jede Menge Feuer besitzt und die Männerherzen höher schlagen lässt. Sehr verführerisch setzt sie die berühmte Habanera an und zeigt sich auch mit den Kastagnetten im zweiten Bild absolut souverän, wenn sie José in der Kneipe von Lillas Pastia zu verführen versucht. Umso verletzter wirkt sie, wenn José ihre Avancen wegen des Zapfenstreichs zurückweist. Bewegend gestaltet sie auch die Szene beim Kartenlegen und die finale Auseinandersetzung mit José im vierten Bild. Jongwoo Kim kehrt als José nach Hagen zurück und stattet die Partie mit kraftvollem Tenor aus, der die Unbeherrschtheit der Figur unterstreicht, auch wenn er das berühmte "La fleur que tu m'avais jeté" mit weichem lyrischem Schmelz ansetzt. Dorothea Brandt gestaltet die Partie der Micaëla mit strahlendem Sopran und punktet sowohl im Duett mit Kim im ersten Bild als auch in ihrer großen Arie im dritten Bild. Die Partie des Toreros Escamillo ist mit Ensemble-Mitglied Insu Hwang besetzt, der optisch einen überzeugenden Stierkämpfer mit großem Macho-Gehabe gibt und dies mit virilem Bariton unterstreicht. In der Mittellage und den tiefen Tönen klingt er absolut kraftvoll, nur bei den Höhen muss er bisweilen ein wenig kämpfen, was seiner Figur dann ein wenig die Autorität nimmt. Dong-Won Seo punktet als Zuniga mit profundem Bass und spielt wunderbar seine Abhängigkeit von Carmen aus. Ofeliya Pogosyan und Luzia Tietze setzen als Frasquita und Mercédès vor allem im Kartenterzett musikalische Akzente und überzeugen genauso wie Robin Grunwald und Oleh Lebedyev als Remendado und Dancaïro durch große Spielfreude. Der von Julian Wolf einstudierte Chor des Theaters Hagen punktet in den Massenszenen durch fulminanten Klang und große Homogenität, und auch der von Caroline Piffka einstudierte Kinderchor überzeugt durch große Spielfreude. So gibt es für alle Beteiligten großen Applaus. Schade ist nur, dass in der zweiten Aufführung einige Plätze frei geblieben sind. Vielleicht lag es an den spätsommerlichen Temperaturen, die die Menschen lieber nach draußen als ins Theater gelockt haben. Die Produktion hätte jedenfalls ein volleres Haus verdient.
FAZIT Dem Theater Hagen gelingt eine rundum gelungene Produktion von Bizets Meisterwerk, die sich einerseits wunderbar als Einstiegsoper eignet, andererseits auch regelmäßigen Besucherinnen und Besuchern beste Unterhaltung auf gutem Niveau bietet. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne Kostüme
Licht Chor Kinderchor Dramaturgie
Chor und Extrachor Kinderchor des Theaters Hagen Philharmonisches Orchester Hagen Statisterie Theater Hagen Solistinnen und Solisten*rezensierte Aufführung Carmen Don José Escamillo Micaëla Zuniga Frasquita Mercédès Remendado Dancaïro
Moralès Lillas Pastia
Orangenverkäuferin
Andres
Zigeuner
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