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Monumentale Verdi-Oper als Schachpartie Von Thomas Molke / Fotos: © Matthias Jung
Auch wenn Verdis Vertonung von Friedrich Schillers Drama Don Karlos, Infant von Spanien zu den populärsten Opern des großen italienischen Komponisten zählt, wird das Stück meistens nur in einer der italienischen Fassungen unter dem Titel Don Carlo gespielt. Die ursprüngliche "Urfassung", die Verdi 1865 als Grand opéra mit großer Balletteinlage für die Pariser Opéra begann und 1867 zur Uraufführung brachte, ist eher selten auf den Spielplänen zu erleben. Dass diese Fassung inklusive Balletteinlage an einem Wochenende gleich an zwei deutschen Bühnen Premiere feierte, ist schon etwas Besonderes. Nach der Oper Kiel (siehe auch unsere Rezension) folgte einen Tag später das Theater Hagen, und hier hat man sogar einige Passagen wieder eingefügt, die bereits vor der Uraufführung 1867 aus zeitlichen Gründen gestrichen worden waren, damit das Pariser Publikum noch die letzten Züge in die Vororte bekommen konnte. In Hagen beginnt man einfach bereits um 15.00 Uhr, so dass dies hier kein Argument ist, und im Vergleich zu Kiel ist die Aufführung mit den Ergänzungen rund 20 Minuten länger. Carlos (Kazuki Yoshida) und Elisabeth (Caterina Meldolesi) lieben einander. Länge hat aber in diesem Fall keineswegs etwas mit Langeweile oder Langatmigkeit zu tun, denn die fünfaktige französische Fassung ist dramaturgisch und inhaltlich wesentlich schlüssiger als die gängigere vieraktige Mailänder Fassung von 1884, in der beispielsweise der komplette erste Akt gestrichen ist. Anders als in Schillers Drama wird im sogenannten Fontainebleau-Akt die Vorgeschichte erzählt, die Verdis Librettist Joseph Méry dem Drama Philippe II. von Eugène Cormont entnommen hat und die Don Carlos' Verhalten in den folgenden Akten wesentlich nachvollziehbarer machen. Hier trifft Carlos im Wald von Fontainebleau auf seine designierte zukünftige Braut Elisabeth und schwebt in einem großartigen Duett im siebten Himmel der Liebe, bis Philipp verkünden lässt, dass er selbst Elisabeth heiraten will und sie diesem Wunsch auf Drängen des Volkes, das sich nach jahrelangem Krieg sehnlich den Frieden wünscht, nachgibt. Während Verdi diesen Akt in der Modena-Fassung von 1886 wieder aufgenommen hat, weist die französische Fassung aber auch noch andere Änderungen zu den häufiger zu erlebenden italienischen Versionen auf. So wird in Hagen beispielsweise gezeigt, wie Eboli den Brief an Carlos schreibt, der ihn zu einem Rendezvous im Schlossgarten lockt. Die Beziehung zwischen Elisabeth und Eboli ist bei aller Rivalität inniger, so dass Verdi ihnen kurz vor dem endgültigen Bruch im vierten Akt noch ein kurzes Duett gönnt, in dem sie sich in gewisser Weise nahe stehen. Auch ist es hier nicht Elisabeth, die nach Ebolis Geständnis das Kreuz von ihr zurückfordert und ihr die Wahl zwischen Exil und Kloster lässt, sondern ein Diener, in der Hagener Inszenierung Graf Lerma. Nach Posas Tod folgt in der französischen Fassung noch eine Klagearie Philipps, die Verdi später für das "Lacrimosa" in seinem Requiem überarbeitet hat. So gibt es in dieser Fassung selbst für Kenner des Werkes musikalisch und szenisch noch einiges zu entdecken. Carlos (Kazuki Yoshida, vorne) und Elisabeth (Caterina Meldolesi) fliehen vom Schachbrett (hinten links: Dong-Won Seo als Großinquisitor und Renatus Mészár als Philipp). Das Regie-Team um den Intendanten Francis Hüsers deutet Verdis monumentale Oper als metaphorisches Schachspiel, bei dem sich mit Philipp und dem Großinquisitor zwei Könige gegenüberstehen. Die Zuordnung Schwarz und Weiß hat hierbei keinen Bezug zu Gut und Böse, vielmehr ist die Zuordnung eher der weltlichen oder der klerikalen Macht geschuldet. Den Mönch, der häufig als Stimme des verstorbenen Kaisers Karl V. interpretiert wird, und den Großinquisitor verschmelzt Hüsers zu einer Figur, was im Großen und Ganzen funktioniert, da beide für die kirchliche Macht stehen und bis zum Ende auch nicht gemeinsam auftreten. Der Schluss gestaltet sich allerdings bei dieser Lesart als problematisch, weil Dong-Won Seo als Großinquisitor nun auch die Stimme Karls V. verkörpert. Ist es hier auf einmal der Großinquisitor selbst, der Carlos Schutz vor Philipp im Kloster bietet? Aber auch das Ende gestaltet Hüsers in seiner Inszenierung freier und lässt Carlos gemeinsam mit Elisabeth fliehen, während Philipp und der Großinquisitor erstarrt zurückbleiben. Philipp (Renatus Mészár, links) macht Posa (Insu Hwang, Mitte) zu seinem Vertrauten (im Hintergrund: Anton Kuzenok als Graf Lerma). Bühnenbildner Mathis Neidhardt hat ein riesiges leicht angeschrägtes Schachbrett entworfen, das als Spielfläche für alle fünf Akte dient. Hier bewegen sich die Charaktere mal wie Schachfiguren wie in einem richtigen Spiel und brechen an anderen Stellen vollständig aus dem Spiel aus. Im Hintergrund sieht man hohe Wände, die an den Escorial erinnern. Katharina Weissenborn kleidet die Figuren als Schachfiguren in Schwarz und Weiß ein, wobei an der Kopfbedeckung die jeweilige Schachfigur zu erkennen ist. Der Infant Carlos ist hier zunächst der weiße Läufer, der die Seiten wechselt, wenn er gegen seinen Vater beim Autodafé rebelliert und die Freiheit für Flandern einfordert. Posa tritt als schwarzer Läufer auf und tauscht mit Carlos den Mantel und den Kopfschmuck, wenn er zum Vertrauten des Königs avanciert und Carlos Posas Rolle als Verfechter der Freiheit übernimmt. Eboli ist die schwarze Königin, die zwar genauso wenig wie Posa auf der Seite der Kirche steht, deren Macht aber ebenfalls nicht unterschätzt werden darf. Elisabeth wird in die Rolle der weißen Königin erst durch die Heirat mit Philipp gezwungen. Vorher begegnet sie Carlos im Fontainebleau-Akt ohne Schachkostüm. Wenn sie am Ende mit Carlos flieht, haben beide das Schachkostüm abgelegt. Auch dem Grafen Lerma, der mit dem Herold zu einer Rolle zusammengeführt wird, und Elisabeths Pagen Thibault wird eine Schachfigur zugeordnet, die zu der jeweiligen Figur passt. Thibault ist ein weißer Springer, Lerma ein weißer Turm. Wieso der Chor und Extrachor jedoch nicht einheitlich als Bauern der Schachpartie auftreten, bleibt unklar. Zwar hätten dann in den Szenen, in denen die Figuren sich wirklich im Schachspiel gegenüberstehen, einzelne Figuren gefehlt, aber so fragt man sich, wieso man teilweise drei weiße Springer auf dem Spielfeld hat. Während in Kiel bei der Balletteinlage "La Pérégrina" im dritten Akt ein eigenes Tanzensemble eine pantomimische Geschichte erzählt, lässt Hüsers hier die Sängerinnen und Sänger selbst pantomimisch agieren und übertitelt die Szene mit einer großen Tafel "Wenn die Schachspielenden schlafen: Das Ballett der Königin!" Hier nehmen zunächst Elisabeth, Eboli und Thibault, der in der Inszenierung ebenfalls als Frau gedeutet wird, wie zum Sonnenbaden auf großen Handtüchern auf dem Schachbrett Platz. Carlos, Posa und Philipp kommen dazu, und es kommt zum Paartanz mit Bäumchen-wechsel-dich-Spiel. Sinn macht das eigentlich nicht, außer dass dabei vielleicht noch einmal die Charaktereigenschaften der Figuren hervortreten. Jedenfalls wird nachvollziehbar, wieso man diese Balletteinlage, die ja lediglich der Konvention der Grand opéra geschuldet war, in der Regel bei einer modernen Inszenierung weglässt, auch wenn hier musikalisch interessant die unterschiedlichen Motive der Oper verwoben werden. Prinzessin Eboli (Almerija Delic) "tröstet" Philipp (Renatus Mészár). Dass ein kleines Haus wie Hagen ein solches Stück mit knapp fünf Stunden Spielzeit und äußerst fordernden Partien stemmen kann, ist eine großartige Leistung, auch wenn es dafür natürlich einige Gäste braucht. Für die Titelpartie hat man Kazuki Yoshida verpflichtet, der den Carlos bereits in Kaiserslautern gesungen hat, dort allerdings in der italienischen Fassung. Yoshida hat im ersten Akt noch leichte Schwierigkeiten in den Höhen, was aber vielleicht einer gewissen Premierennervosität geschuldet ist, gewinnt im weiteren Verlauf jedoch an Souveränität und begeistert mit sauber angesetzten Spitzentönen. Das Leiden des jungen Infanten verkörpert er absolut glaubhaft, und auch die Liebe zu seiner Stiefmutter nimmt man ihm in jedem Moment ab. Als Elisabeth punktet Caterina Meldolesi mit vollem Sopran und strahlenden Höhen. Ein musikalischer Glanzpunkt ist ihre große Arie im fünften Akt, doch auch in den Duetten mit Yoshida begeistert sie durch bewegende Innigkeit und zarte Stimmführung. Man glaubt ihr, wie ernst sie die gesellschaftlichen Pflichten einer Königin nimmt und wie sehr sie dabei ihre eigentlichen Gefühle unterdrückt. Als Philipp setzt der Bass Renatus Mészár Akzente und begeistert durch profunde Tiefen. Seine berühmte Arie im vierten Akt, "Elle ne m'aime pas", ist ein weiterer Glanzpunkt des Abends, auch wenn hier der italienische Text besser auf die Melodie passen würde, was aber vielleicht der Gewohnheit geschuldet ist. Almerija Delic glänzt als intrigante Prinzessin Eboli mit dramatischem Mezzosopran und leidenschaftlichem Spiel. Schon in der Schleier-Arie im zweiten Akt spielt sie süffisant mit den Koloraturen, erwartet wie ein verliebtes Mädchen Carlos im Garten zum Rendezvous und mutiert zur rachsüchtigen Furie, wenn sie erkennt, dass seine Liebe der Königin gilt. In Philipps großer Arie punktet sie durch intensive Darstellung, wenn sie enttäuscht aus Philipps Bett schleicht und wieder ihr Schachkostüm anlegt. Großartig gelingt ihr die berühmte Arie "Ô don fatal et détesté", in der sie beschließt, Carlos zu befreien. Nach dem Befreiungsakt bleibt sie auch noch einen Moment im Rampenlicht stehen. Posa (Insu Hwang, rechts) opfert sich für seinen Freund Carlos (Kazuki Yoshida, links). Die übrigen Partien sind mit Ensemble-Mitgliedern besetzt. Insu Hwang gibt ein großartiges Rollen-Debüt als Marquis Posa und überzeugt mit kraftvollem Bariton. Das Freundschafts-Duett mit Yoshida darf als weiterer musikalischer Höhepunkt bezeichnet werden, und auch im Duett mit Philipp, in dem er Gedankenfreiheit einfordert, glänzt Hwang mit stimmlicher Autorität. Unter die Haut geht seine große Sterbeszene im vierten Akt. Hier ist er ganz der gebrochene Held. Dong-Won Seo legt den Großinquisitor und den Mönch mit schwarzem Bass an, der farblich wunderbar zu seinem Kostüm passt. Das Duett mit Philipp wird dann als richtiges Schachspiel inszeniert und bildet in der Interpretation von Seo und Mészár einen weiteren musikalischen Höhepunkt. Ofeliya Pogosyan und Anton Kuzenok runden das Ensemble in den kleineren Partien als Thibault und Graf Lerma bzw. Herold wunderbar ab. Auch der von Julian Wolf einstudierte und um den Extrachor erweiterte Chor des Theaters Hagen leistet an diesem Abend Gewaltiges, was sich vor allem im Autodafé zeigt. Kisun Kim präsentiert eine herrlich klare Stimme aus der Höhe und auch die flandrischen Deputierten, die sich am Ende gegenseitig mit Augenbinde abstechen müssen, lassen stimmlich keine Wünsche offen. Natürlich ist der Abend auch musikalisch Chefsache, und so führt GMD Joseph Trafton das Philharmonische Orchester klanggewaltig durch die Partitur. Manchmal hat man fast den Eindruck, dass der Graben ein bisschen zu klein für die Opulenz der Musik ist. So gibt es am Ende einhelligen Jubel für die musikalische Leistung des Abends, wobei einige Teile des Publikums mit Hüsers' Interpretation nicht ganz zufrieden sind. FAZIT
Das Theater Hagen beweist einmal mehr, dass es auch monumentale große Oper
klanggewaltig auf die Bühne bringen kann. Diesen nahezu kompletten Don Carlos
sollte man sich nicht entgehen lassen, zumal es nicht allzu häufig dazu
Gelegenheit gibt (13.04.2025, 11.05.2025, 19.06.2025 und 13.07.2025 jeweils um
15.00 Uhr) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne Kostüme
Choreographische Mitarbeit
Licht Chor Dramaturgie
Philharmonisches Orchester Hagen Chor des Theaters Hagen Extrachor des Theaters Hagen Solistinnen und Solisten*Premierenbesetzung Don Carlos Elisabeth de Valois Philipp II. Rodrigo Posa Prinzessin Eboli Großinquisitor / Ein Mönch Thibault Graf von Lerma / Herold Stimme aus der Höhe Flandrische Deputierte Anführer der Arbeiter Sologeige
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