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Variation der Begegnungen Von Thomas Molke / Fotos: © Oliver Look
Im ersten Tanzabend der Spielzeit widmet sich der Chefchoreograph der Tanzsparte in Hagen, Francesco Nappa, zwischenmenschlichen Interaktionen. Dazu hat er eine Choreographin und einen Choreographen eingeladen, die gemeinsam mit ihm in drei Kreationen sehr unterschiedliche Annäherungen an dieses Thema wählen. Dabei eint die drei, dass der Weg für alle zu irgendeinem Zeitpunkt über das Nederlands Dans Theater geführt hat. Nappa und Lukáš Timulak waren dort unter anderem als Solotänzer engagiert, bevor Timulak auch Choreographien für das Nederlands Dans Theater kreiert hat. Emilie Leriche war für die Compagnie nach ihrer aktiven Karriere als Tänzerin ebenfalls als Choreographin tätig. In Hagen widmen sich die drei formal nun sehr unterschiedlich den verschiedenen Beziehungsgeflechten zwischen Menschen. Den Anfang macht Nappa mit der Uraufführung seiner gut 15 Minuten dauernden Kreation Les Amants voilés. Der Titel nimmt Bezug auf das berühmte surrealistische Gemälde Les Amants des belgischen Malers René Magritte aus dem Jahr 1928, das zwei Menschen bei dem Versuch sich zu küssen zeigt, wobei ihre Gesichter jeweils mit einem Laken verhüllt sind. Nappa spürt in dem von ihm kreierten Duett in zwei Teilen zwei Liebenden nach, die sich trotz ihrer Nähe nie ganz berühren können, da sie durch eine für sie nicht sichtbare, aber dennoch spürbare Barriere daran gehindert werden. Als Musik hat Nappa eigene Klangräume komponiert und wählt außerdem den Ungarischen Tanz Nr. 17 f-Moll von Johannes Brahms und zwei Titel des russischen Komponisten Lew Alexandrowitsch Schurbin, der in der Kurzform auch Ljova genannt wird. Das Brahms-Stück ist für Violine und Klavier von Fritz Kreisler arrangiert und soll durch die Dualität der Instrumente für den Mann und die Frau in Nappas Choreographie stehen. Versuch einer Annäherung: Antoine Luc Koutchouk Charbonneau und Hannah Law in Les Amants voilés Der Anfang zeigt in einer Schwarz-Weiß-Videoeinspielung einen Mann, der in wilden Bewegungen Farbe aus einem Topf auf eine ihn umgebende Leinwand verteilt. Dies soll wohl eine Anspielung auf den US-amerikanischen Maler Jackson Pollock sein, der mit dieser Methode die Stilrichtung des Action Painting begründet hat. Aus diesen scheinbar wahllos verteilten Farbklecksen bilden sich hinter der Leinwand auf der Bühne eine Tänzerin und Tänzer heraus, die auf einer beeindruckend angestrahlten Bühne zunächst in ihren hautengen Kostümen nur Farbe darzustellen scheinen, bevor sie sich in tanzende Wesen verwandeln. In einem abstrakt gehaltenen Pas de deux suchen sie einen Weg zur Vereinigung, wobei jede Geste und jeder Schritt gebrochen ist und die beiden nicht wirklich zusammenführt. Dann wird die Bühne verdunkelt. Die beiden streifen das hautenge Farbkostüm ab und "verwandeln" sich in einen Mann und eine Frau, die nun den vorherigen Versuch weiter fortsetzen. Auch hierfür haben Nappa und Martin Gehrke eine spannende Lichtgestaltung gewählt. Zahlreiche Lichtkreise auf der Bühne wirken wie Augen, die auf die beiden gerichtet sind. Am Ende legen sich die beiden ein Tuch über den Kopf und nehmen die Pose ein, die man von Magrittes Gemälde kennt. Hannah Law und Antoine Luc Koutchouk Charbonneau begeistern in diesem relativ kurzen Teil durch eine betörende abstrakte Ästhetik. Ensemble in The Longlongneverending Auch bei der zweiten Choreographie vor der Pause handelt es sich um eine Uraufführung. Unter dem Titel The Longlongneverending erzählt Emilie Leriche eine ganze Reihe von Geschichten, die den Menschen auf einem langen niemals endenden Weg heraus aus der Einsamkeit zeigen. Dafür deutet sie als Raum ein U-Bahn-Abteil an. Man sieht zu Beginn einen einzelnen Mann, der allein in diesem Abteil sitzt und zu leicht melancholischer Jazz-Musik von The Caretaker eine geeignete, bequeme Position sucht. Das gelingt ihm jedoch nicht, weil er wohl eigentlich eher auf der Suche nach Gesellschaft ist. Nach und nach kommen nun Menschen in dieses Abteil, und versuchen, zu einer Variation von Martha Argerich über Beethovens "Bei Männern, welche Liebe fühlen" mit dem Mann oder untereinander in Kontakt zu treten. Diese Versuche werden immer wieder abrupt unterbrochen, so dass man beinahe an Stopp-Tanzen erinnert wird. Im weiteren Verlauf entwickelt sich unter den Figuren allerdings doch ein Zusammenspiel. Die Tänzerinnen und Tänzer laufen aufeinander zu. Die Frauen springen den Männern auf den Rücken, und zu gemächlichen Jazz-Rhythmen wird sehr synchron getanzt. Kurz vor Ende hat sich dann die Situation im U-Bahn-Abteil gedreht, und alle unterhalten sich ausgelassen und freudig miteinander, bevor am Ende die melancholische Einsamkeit mit einer weiteren Jazz-Melodie von The Caretaker wieder aufgenommen wird. Ein bisschen erinnern diese Szenen mit der Musikauswahl an den Stil von Pina Bausch. Rivalität unter Frauen in Masculine / Feminine: von links: Yu-Hsuan (Mia) Hsu, Maria Sayrach Baró und Ruxandra Martina Nach der Pause gibt es dann Masculine / Feminine, das der slowakische Choreograph Lukáš Timulak 2011 für das Nederlands Dans Theater kreiert hat. Auf sehr humorvolle Weise spielt er darin mit Geschlechter-Klischees, die Peter Bilak, mit dem Timulak seit vielen Jahren zusammenarbeitet, in "zwei Büchern" mit jeweils "vier Kapiteln" zusammengestellt hat und die zwischen der Musik von Herby Flowers & Barry Morgan bzw. Masakazu Ito von Harvey L. Gold in englischer Sprache eingespielt werden. Bilak hat dafür einen klinisch weißen Bühnenraum entworfen, der mit leichten Erhebungen in den Wänden einen Wohnraum andeutet, in dem sich Mann und Frau in unterschiedlichen Situationen begegnen. Das Buch 1 widmet sich in vier Kapiteln der Frau und spielt mit klassischen Klischees, die derart überzeichnet werden, dass es schon wieder lustig ist. Zunächst tritt Yu-Hsuan (Mia) Hsu als Organisationstalent auf, die alles im Haushalt quasi gleichzeitig meistert, während ein Mann schon überfordert sei, wenn er sich rasiere und gleichzeitig Radio hören wolle. Hannah Law bedient dann anschließend das Klischee, dass eine Frau ja wesentlich mehr Wörter pro Tag zur Verfügung habe als ein Mann und damit nach einem arbeitsreichen Tag die Wörter noch nicht aufgebraucht seien. Ruxandra Martina gibt dann die permanent nörgelnde Gattin, die im letzten Kapitel das Problem hat, auf zwei weitere Frauen im gleichen Kleid zu treffen, was dann zwischen den Frauen eine große Rivalität auslöst. Masculine / Feminine (Buch 2): Die Schwiegermutter (Egan Inguanez, Mitte) steht immer zwischen Mann (Antoine Luc Koutchouk Charbonneau) und Frau (Stefano Milione, rechts). Das alles wird von den Tänzerinnen mit viel Humor und ausdrucksstarken Bewegungen umgesetzt. Interessant ist, dass in den Frauensequenzen im "ersten Buch" nur Tänzerinnen auftreten, also auch der Mann in der zweiten Szene von einer Frau getanzt wird. Wenn dann im "zweiten Buch" die Männerklischees aufs Korn genommen werden, werden auch die unliebsame Schwiegermutter und die Gattin von einem Mann getanzt. Natürlich kommen die Männer in ihren Szenen auch nicht besser weg als die Frauen zuvor. Wieso der Abend im Titel die Männer zuerst nennt, obwohl erst die Frauen im Stück behandelt werden, ist auch interessant. Vielleicht liegt es daran, dass Timulak und Bilak in dem Stück trotz allem eine recht männliche Sicht auf die Klischees entworfen haben. Das Publikum hat jedenfalls seinen Spaß und spendet am Ende für diese humorvolle Abrechnung großen, verdienten Applaus. FAZIT Nappa, Leriche und Timulak werfen in einem absolut kurzweiligen und unterhaltsamen Tanzabend sehr unterschiedliche Blicke auf menschliche Interaktionen. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
ProduktionsteamLes Amants voilés
Konzept, Choreographie und Raum
Kostüme
Licht Video
Künstlerische Mitarbeit Tänzerinnen und Tänzer *rezensierte Aufführung
*Hanna Law
The Longlongneverending
Choreographie, Raum und Kostüme Licht Tänzerinnen und Tänzer Matteo Castelletta
Masculine / Feminine
Choreographie
Konzept und Bühne Kostüme Licht Anfertigung der Kostüme Tänzerinnen und Tänzer in der
Reihenfolge der Auftritte
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