![]() ![]() |
Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
![]() ![]() ![]() ![]() |
|
Tanz auf dem Vulkan Von Thomas Molke / Fotos: © Leszek Januszewski
In der Spielzeit 2007/2008 präsentierte der damalige Ballettdirektor Ricardo Fernando unter dem Titel Rituale einen dreiteiligen Ballettabend, in dem er unter anderem Strawinskys Le Sacre du printemps mit Debussys Prélude à l'après-midi d'un faune kombinierte. Nun hat sich der zum Ende der Spielzeit scheidende Ballettchef Francesco Nappa entschieden, diese beiden Stücke mit Saties Parade zu einem dreiteiligen Ballettabend zusammenzuführen. Es mag Zufall sein, dass fast 20 Jahre später erneut die Wahl auf Strawinskys Meisterwerk und Debussys Faune gefallen ist. Einen engeren Zusammenhang gibt es zwischen den beiden Stücken nämlich eigentlich nicht, wenn man davon absieht, dass beide an einem 29. Mai vom legendären Ballets Russes in Paris in einer Choreographie von Vaclav Nijinsky uraufgeführt wurden und beim Publikum auf heftige Kritik stießen. Für die Choreographie Prélude à l'après-midi d'un faune hat Nappa Maša Kolar eingeladen, die ihre Kreation, die sie für das Rijeka Ballett in Kreation entwickelt hat, nun mit der Tanzsparte in Hagen erarbeitet und mit einer Neukreation zu Erik Saties Parade zum ersten Teil des Tanzabends vor der Pause formt. Die Nymphe (Hannah Law) und der Faun (Matteo Castelletta) Claude Debussys sinfonische Dichtung Prélude à l'après-midi d'un faune basiert auf dem gleichnamigen Gedicht von Stéphane Mallarmé und fängt als eines der Hauptwerke des französischen Impressionismus die verschiedenen Stimmungen ein, zwischen denen sich das mythologische Waldwesen bewegt. Im Tanz ist er gefangen zwischen dem Apollinischen und dem Dionysischen und gibt sich einem Höhepunkt der Lust hin, zu dem sein Tagtraum ihn führt, nachdem ihn die Verfolgung der furchtsamen Nymphen und scheuen Najaden ermüdet hat. Kolar verankert das Fabelwesen in der zeitgenössischen Realität. Sie betrachtet ihn als ein selbstverliebtes, introspektives Wesen, das den Kontakt zur Außenwelt meidet. Petra Pavičić hat für die ansonsten leere Bühne, die mit einem großartigen Lichtspiel von Martin Gehrke ausgeleuchtet wird, einen riesigen Ring konstruiert, in dem sich Matteo Castelletta als Faun mit großartiger Akrobatik bewegt. Nur selten verlässt er das Innere des Rings, rollt darin in verschiedene Richtungen über die Bühne, spielt mit dem Ring und zieht sich endgültig darin zurück, wenn Hannah Law als Nymphe auftaucht, die an dem Faun ein gewisses Interesse zeigt. Da er sich aber ihrem Werben verweigert, rollt sie ihn samt seinem Ring schließlich von der Bühne. Das Besondere an diesem Abend ist, dass alle drei Teile live vom Philharmonischen Orchester Hagen unter der Leitung von Joseph Trafton begleitet werden und damit wesentlich frischer klingen, als wenn die Musik vom Band eingespielt wird. Da der erforderliche Orchester-Apparat für die beiden weiteren Teile allerdings zu groß ist, sitzt das Orchester nicht im Graben, sondern ist auf der Hinterbühne positioniert und wird von den Tänzerinnen und Tänzern durch einen schwarzen Vorhang abgetrennt, da die Lichteffekte auf der Bühne verpuffen würden, wenn im Hintergrund das Orchester zu sehen wäre. Für Trafton ist es eine riesige Herausforderung das Spiel des Orchesters genau mit den Tänzerinnen und Tänzern abzustimmen, die er aufgrund des Vorhangs ja nicht sehen kann. Er meistert diese Aufgabe jedoch mit Bravour, so dass man zu Recht sagen kann, dass Musik und Tanz hier eine großartige Einheit eingehen. Streit in der Parade: Ensemble Das rund 10-minütige Stück Debussys geht nahtlos in Parade von Erik Satie über, das Kolar neu für die Compagnie Hagen kreiert hat. Satie komponierte das Werk 1917 und spiegelt darin die unsicheren und verheerenden Ereignisse des Ersten Weltkriegs wider, auch wenn der eigentliche Inhalt nichts mit dem Krieg zu tun hat. Erzählt wird eigentlich die Geschichte einer Zirkustruppe, die Publikum anlocken will und deshalb am Eingang mit zahlreichen Attraktionen kräftig die Werbetrommel rührt. Doch das Publikum bleibt aus. Vielleicht sind es die beunruhigenden Geräusche, die Satie in die an sich fröhliche Musik immer wieder einbaut. So hört man plötzlich völlig unvermittelt das Heulen von Sirenen, und das Schlagwerk erinnert an Kanonenschüsse. So lassen sich die vorbeieilenden Passanten nicht von der Faszination des Zirkus einfangen. Kolar erzählt in ihrer Choreographie mit acht Tänzerinnen und Tänzern eine ganz andere Geschichte. Alle treten in einem einheitlichen blauen Anzug auf, der sie wie Politikerinnen und Politiker erscheinen lässt. Der Ring aus dem ersten Teil wird nun in größerer Form zu einer Art Verhandlungstisch, an dem die Tänzerinnen und Tänzer Platz nehmen und heftig streiten. Dabei nehmen sie auch den Ring auseinander, suchen Halt auf den Einzelteilen, die aber durch ständige Bewegung nicht zur Ruhe kommen, bis sie den Ring am Ende wieder notdürftig zusammensetzen. Die eigentlichen Probleme sind damit allerdings nicht gelöst. Der Stamm (Ensemble) hat ein neues Opfer (Evan Inguanez, Mitte) auserwählt. Kann man bereits diesen Teil in gewisser Weise als einen Tanz auf dem Vulkan deuten, wird dieses Bild nach der Pause in Nappas Choreographie von Sacre optisch noch deutlicher. Er lässt seine Kreation in einem Vulkankrater spielen. Da er in Neapel aufgewachsen ist, hat ihn das Bild des nahe gelegenen Vesuv genauso geprägt wie seine Faszination für Strawinskys Komposition. Dennoch hat er sich viele Jahre einer eigenen Choreographie des Werkes verweigert, um sich nun schließlich doch noch mit diesem Stück auseinanderzusetzen. Für ihn spielt der Zyklus des Lebens darin eine große Rolle. So beginnt seine Kreation mit einem dargebrachten Opfer. Eine junge Tänzerin liegt in der Mitte der Bühne, und im Bühnenlicht regnet sanfte Asche auf sie herab, was wohl als die Nachwirkungen eines Vulkanausbruchs gedeutet werden kann. Die übrigen Tänzerinnen und Tänzer tragen das Opfer beiseite, und beginnen ihr Leben neu, finden dabei in intensiven Bewegungen zueinander und wiegen sich erneut in Sicherheit. Doch der Vulkan schläft nur und wird neue Zerstörung bringen. Ein weiteres Opfer muss her, um den ausbrechenden Vulkan zu besänftigen. Der Auserwählte (Evan Inguanez) wird geopfert. Dieses Mal ist es ein männlicher Tänzer (Evan Inguanez), was man in den Choreographien dieses Stückes äußerst selten sieht, da man das Opfer in der Regel mit einer jungen Frau verbindet. Nappa bezeichnet ihn im Programmheft auch nicht als Opfer, sondern als den "Auserwählten", der sich mehr oder weniger freiwillig in sein Schicksal fügt. Wie freiwillig das allerdings wirklich ist, lässt sich diskutieren. Er wird von den anderen zunächst geherzt und liebkost, weil er diese Bürde auf sich nimmt. Am Ende weiß man eigentlich nicht so ganz genau, ob es der Vulkan ist, der ihn ergreift, oder die Menschen. Der Stamm bestreicht ihn mit roter Farbe. Das wird alles sehr intensiv von der Compagnie umgesetzt, und Strawinskys Musik in der hervorragenden Interpretation des Philharmonischen Orchesters Hagen unter der Leitung von Trafton leistet das Übrige. Christian Held greift im Bühnenbild die Ringform aus den ersten beiden Teilen des Abends vor der Pause in abgewandelter Form wieder auf. Dieses Mal ist es allerdings der Krater eines Vulkans, der durch Einsatz der Drehbühne fast ein Eigenleben erhält. Die Compagnie und das Orchester werden mit frenetischem Applaus gefeiert. FAZIT Eine Neukreation von Strawinskys Meisterwerk ist immer interessant. In Hagen wird die Choreographie zu einem ganz besonderen Erlebnis. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
ProduktionsteamMusikalische Leitung
Licht Philharmonisches Orchester Hagen Prélude à l'après-midi d'un faune
Choreographie
Bühne und Kostüme Dramaturgie Tänzerinnen und Tänzer *rezensierte Aufführung
*Matteo Castelletta
Parade
Choreographie
Bühne
Kostüme Dramaturgie Tänzerinnen und Tänzer *rezensierte Aufführung *Pietro Coda
Le Sacre du printemps
Konzept und Choreographie
Bühne Kostüme Künstlerische Mitarbeit und
Tänzerinnen und Tänzer *rezensierte Aufführung Der Auserwählte Der Stamm
(Homepage) |
© 2025 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de