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Dragqueen als nicht standesgemäße Operettendiva
Von Thomas Molke /
Fotos: © Tim Müller
Oscar Straus zählt mit Franz Lehár und Emmerich Kálmán zum "Dreigestirn der sogenannten silbernen Operettenära". Dass seine Werke heute auf den Spielplänen nicht mehr so präsent sind wie einige Stücke Lehárs oder Kálmáns, mag mehrere Gründe haben. Zum einen unterlagen seine Operetten wie die Werke anderer jüdischer Komponisten mit dem Erstarken der Nationalsozialisten vielerorts einem Aufführungsverbot und konnten auch nach dem Zweiten Weltkrieg ihre ursprüngliche Popularität nicht zurückgewinnen. Zum anderen war der Humor in seinen Stücken sehr auf die Entstehungszeit zugeschnitten. Am bekanntesten dürften im deutschsprachigen Raum noch Die lustigen Nibelungen und Ein Walzertraum sein. Nachdem man am Theater für Niedersachsen 2022 bereits mit Die Perlen der Cleopatra versucht hat, Straus' weiteres Operettenschaffen wieder mehr Aufmerksamkeit zu verleihen, widmet man sich nun einer weiteren größtenteils vergessenen Perle: Hochzeit in Hollywood. Mit der am 21. Dezember 1928 im Johann-Strauß-Theater in Wien uraufgeführten Operette konnte Straus immerhin einen so großen Erfolg verbuchen, dass es als erstes europäisches Bühnenwerk von Hollywood für den noch in den Kinderschuhen steckenden Tonfilm erworben und 1929 unter dem Titel Married in Hollywood verfilmt wurde. Mizzi (Loreley Rivers) fühlt sich von Felix (Julian Rohde) verraten. Mit der Geschichte um die Operettendiva Mizzi, die für den Fürstensohn Felix nicht standesgemäß ist und durch eine Intrige des Fürsten ihre Wirkungsstätte in Wien verlässt, um in den Vereinigten Staaten Amerikas Karriere zu machen, hat Straus wohl auch einige biographische Erlebnisse verarbeitet. Er selbst wurde von seiner Familie enterbt, als er die seiner Familie nicht genehme Helene Neumann heiratete, und musste sich fortan als Kapellmeister verdingen. Auch die Erfahrungen, die der nach einem politischen Umsturz in die USA auswandernden Felix machen muss, dürften dem Komponisten nicht ganz unbekannt gewesen sein. Auf einer Konzerttournee, die Straus 1926 durch die Vereinigten Staaten machte, musste er die Erfahrung machen, dass es nicht einfach war im "Land der unbegrenzten Möglichkeiten" Geld zu verdienen. So mag der unsympathische Mr. Widdels, der mit verkrachten europäischen Prominenten einen florierenden Leihhandel führt, eine bitterböse Abrechnung dafür sein, dass während Straus' Zeit in den USA zunächst kein Operettenprojekt realisiert werden konnte und das einzige Lied, das für eine von ihm angeregte Verfilmung von Schnitzlers Der Reigen entstand, ohne sein Wissen einfach für ein anderes Projekt verwendet wurde. Die Trennung von Mizzi und Felix durch eine Intrige und die glückliche Wiedervereinigung am Ende ist allerdings reine Operettenseligkeit ohne biographische Züge. Neue Karriere in Hollywood: Mizzi (Loreley Rivers) heißt jetzt Marylou. Aus heutiger Sicht ist eine nicht standesgemäße Verbindung zwischen einem Bühnenstar und einem Fürstensohn natürlich nicht mehr zeitgemäß, vielmehr an der Tagesordnung der Boulevard-Presse. Von daher hat das Regie-Team um Oliver Graf, das auch schon für Straus' letzte Operette, Die Perlen der Cleopatra, in Hildesheim verantwortlich zeichnete, eine Übertragung gesucht, die auch in der Gegenwart noch einen vergleichbaren Zündstoff liefert, und die Partie der Mizzi mit der Dragqueen Loreley Rivers besetzt. Aus dem Fürsten wird ein Präsident, der eine Liaison seines Sohns mit einer Dragqueen aus politischen Gründen nicht dulden kann. Das geht inhaltlich sehr gut auf, weil man so die Grundidee der Geschichte nachvollziehbar in die Gegenwart übertragen kann, auch wenn die Geschichte weiterhin in den ausgehenden 1920er Jahren in einem "sündigen" Etablissement Berlins spielt, das stark an die Fernsehserie Babylon Berlin und das Musical Cabaret erinnert. Musikalisch führt es allerdings zu einigen Problemen, da die Partie der Mizzi nun einmal für einen Operetten-Sopran komponiert ist und Rivers kein Countertenor oder Sopranist wie Samuel Mariño oder Bruno de Sá ist, der diese Stimmlage wahrscheinlich singen könnte. So bleibt Rivers nichts anderes übrig, als die Passagen entweder im Sprechgesang zu deklamieren oder mit einer Falsett-Stimme anzusetzen, die im Vergleich zur restlichen Darstellung verstellt und nicht authentisch klingt. So geht ein Großteil der Walzerseligkeit verloren, da Mizzi leider auch musikalisch die zentrale Partie des Stückes ist. Neele Kramer als Conférencier Doch sieht man von diesem Manko ab, ist Rivers eine Diva erster Klasse und beherrscht mit Grandezza und szenischer Präsenz absolut stilvoll und elegant die Bühne. Daran hat natürlich auch Sebastian Ellrich einen nicht unbedeutenden Anteil, der für Rivers grandiose Kostüme entworfen hat. Mit mondäner, wechselnder Haartracht schimmert sie mal in goldenem Kleid und posiert als amerikanische Freiheitsstatue, erinnert mit weißblonden Haaren in weißem langem Gewand an Marilyn Monroe und macht auch in schwarzen Strapsen eine gute Figur. Neu eingeführt wird die Partie des Conférenciers, der ein wenig im Stil von Cabaret durch die Geschichte führt. Neele Kramer begeistert hier im glitzernden Kostüm mit leicht anzüglichem Wortwitz und laszivem Spiel. Vor einem golden glitzernden Fadenvorhang präsentiert sie den Schlager "Ein Tag wie Gold", den man wie einige Auszüge aus Straus' Walzertraum in das Stück eingefügt hat. Des Weiteren übernimmt sie auch die Rolle des Halsabschneiders Mr. Widdels, was eine weitere geschlechtsübergreifende Darstellung ist. Die Zigarre, die Kramer als Conférencier raucht, mag eine Anspielung auf den Komponisten sein, der mit dieser als Markenzeichen teilweise sogar dirigiert haben soll. Der Milliardär Teddy Vandermeere (Andrey Andreychik) liegt Bessie (Sonja Isabel Reuter) zu Füßen (rechts: Opernchor). Das Bühnenbild, für das ebenfalls Ellrich verantwortlich zeichnet, unterstreicht den Revue-Charakter, mit dem die Geschichte erzählt wird. Eine aus dem Schnürboden herabhängende riesige Champagnerflasche steht genauso für die Zügellosigkeit der Zeit wie die überdimensionalen dunklen Kirschen mit den langen Stielen, die als Sitzgelegenheit dienen. Ein riesiges Champagner-Glas beherrscht nicht nur die Bühne, sondern wird auch von Mizzi und später Bessie bespielt, wenn sie sich in waghalsiger Akrobatik an einem Seil in das Glas heben lassen bzw. aus dem Glas wieder herabschweben. Der Sinn einer riesigen Gabel erschließt sich nicht wirklich, sorgt allerdings für einige Komik, wenn Mizzi nicht die Gelegenheit hat, auf Augenhöhe mit dem Staatssekretär dort Platz zu nehmen. Auf den Faden-Vorhang wird ein bezauberndes Revue-Bild projiziert, das Skandale, Liebe und Drama verspricht. In diesem Ambiente entfaltet das komplette Ensemble große Spielfreude. Julian Rohde gibt den Fürstensohn Felix, der für seine Liebe zu Mizzi sein bisheriges Leben aufzugeben bereit ist, mit tenoraler Leidenschaft, so dass Rivers als Mizzi wirklich kämpfen muss, um ihm böse sein zu können. Großes komisches Potenzial entfalten auch Sonja Isabel Reuter als Bessie und Andrey Andreychik in der Doppelrolle als Präsident und Teddy Vandermeere, auch wenn die Liebesbekundungen des liebeskranken Milliardärs an Bessie ein wenig in Klamauk abdriften. Eddie Mofokeng mimt den von Mizzi abgewiesenen Nino Namara mit herrlich selbstverliebter Arroganz. Große Wandlungsfähigkeit beweist auch Jan Kämmerer, der vom eiskalten Staatssekretär, der die Intrige einfädelt, zu einem verschrobenen Professor mutiert, der Vandermeere in die Geheimnisse der Liebe einweihen will. Als absolut überforderter und schwitzender Filmregisseur, der im letzten Akt in Hollywood Mizzis Leben verfilmen will, punktet er ebenfalls durch großartige Komik. Große Spielfreude zeigen auch die Showgirls und Showboys und der von Achim Falkenhausen einstudierte Opernchor. Leider gehen in manchen Nummern einzelne Sätze der Chormitglieder unter, wenn sie nicht durch ein Mikroport verstärkt sind. Florian Ziemen stellt mit der TfN-Philharmonie leidenschaftlich unter Beweis, dass Straus' Werke mehr Aufmerksamkeit verdient haben, als ihnen bis jetzt zuteil wird. So gibt es für alle Beteiligten großen und verdienten Applaus. FAZIT Durch die Besetzung der Operettendiva mit einer Dragqueen gelingt es Oliver Graf in seiner Inszenierung, den Grundkonflikt der Geschichte auch in der heutigen Zeit noch nachvollziehbar zu machen. Das Ensemble setzt die Idee mit großer Spielfreude um.
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ProduktionsteamMusikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Kostüme
Choreographie
Chor
Dramaturgie
TfN-Philharmonie Opernchor des TfN
Solistinnen und Solisten *Premierenbesetzung Mizzi, später Mizz Marylou Felix Garderobiere / Bessie Der Präsident / Teddy Vandermeere Mr. Widdels / Conférencier Nino Namara Staatssekretär / Professor Crook / Theaterregisseur Inspizientin Darsteller des Präsidenten Darsteller des Staatssekretärs 1. Mädchen 2. Mädchen 3. Mädchen Showgirls / Showboys
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