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Weiblich und unbeschreiblichVon Stefan Schmöe / Fotos von Matthias Jung
"Darf ich in Ihrem Operettenstaat um Asyl bitten?" Der Operettenstaat ist das Land Silistrien, um dessen Gunst - oder genauer: um einen exklusiven Handelsvertrag - sowohl Ungarn als die Türkei buhlen und ihre Botschafter zwecks Verhandlungen an den Hof von Fürstin Petra schicken. Pikanterweise ist dieser Botschafter im Falle der Türkei eine Botschafterin, also weiblich, was genregemäß alle Taktiken über den Haufen wirft. Der ungarische Gesandte, Graf Tököli, setzt auf seine vermeintlich unwiderstehliche und mit einem kräftigen Schuss Chauvinismus gepaarte Männlichkeit. Sein Gegenüber, die Türkin Dschilli Bey, geht ungleich raffinierter vor, weil sie nicht auf klischeehafte Weiblichkeit, sondern (so jedenfalls in der Inszenierung von Christian von Götz) auf ein laszives Spiel mit den Geschlechterrollen setzt. Sie ist eben eine Frau von Format, und das heißt in diesem Werk aus dem Jahr 1927: ziemlich emanzipiert. Und ja, natürlich verlieben sich am Ende Tököli und Dschilli Bay. Angesichts des romantischen Happy Ends, bei dem sich der geläuterte Macho plötzlich auch in Frauenkleidern durchaus wohlfühlt, kann der Ungar die diplomatische Niederlage auf dem Feld der Wirtschaftspolitik leicht verschmerzen. ![]() Kein Zweifel: Annette Dasch ist eine Frau von Format
Der Operettenstaat, der so viel meist amüsanten und manchmal auch hintersinnigen Blödsinn zulässt, ist die Welt des Theaters. Jedenfalls findet man hier ein, wie man so schön neudeutsch sagt, genderfluides Rollenverständnis, anders als gegenwärtig in den realen Staaten Ungarn und Türkei. Da bedarf es keiner weiteren Aktualisierung; es reicht, die Namen dieser Länder am Ende auf der Bühne auszusprechen. Wobei es noch ein paar Seitenhiebe gibt: Alle, alle wollen ins utopische Traumland Silistrien flüchten, nicht nur aus Ungarn oder der Türkei, sondern auch aus - Sachsen. Wer sich an Korruption und Günstlingswirtschaft stört, bleibt vielleicht lieber daheim: "Sowat jitt et in Kölle nit", ruft der frisch ernannte Generalkonsul Zuntz dazwischen, der sich seinen illustren Titel mit den Einnahmen aus zwei gutgehenden Kölner Nachtclubs erkauft hat. Soso. Stefan Sevenich spielt die süffisant selbstbewusste Nebenfigur, die für rheinisches Lokalkolorit zuständig ist, in bester Volksschauspielermanier mit Anklängen an den unvergesslichen Willy Millowitsch. ![]() Der ungarische Gesandte Graf Tököli buhlt um Fürstin Petra von Silistrien (oder wenigstens um deren Unterschrift unter einen exklusiven Handelsvertrag mit seinem Land)
Uraufgeführt wurde Eine Frau von Format 1927 am Berliner Theater des Westens mit großem Erfolg. Überhaupt war Komponist Michael Krasznay-Krausz (1897 - 1940) in den 1920er-Jahren ziemlich populär und seine Operetten wurden auf dem ganzen Kontinent gespielt. Mit Hitlers Machtergreifung ging die Karriere des Komponisten jüdischer Abstammung schnell zu Ende - und seine Werke gerieten in Vergessenheit (über die Rekonstruktion der Partitur hätte man aus dem Programmheft gerne mehr erfahren). Regisseur Christian von Götz und Dramaturgin Svenja Gottsmann haben eine neue, ziemlich witzige, oft frivole, vor allem aber lustvoll mit dem klischeegesättigten Operettengenre spielende Textfassung erstellt, der ein paar Straffungen hier und da noch guttäten. Dabei werden manche Geschlechterrollen kräftig durcheinandergewirbelt. Aus dem Haushofmeister Baron Manulescu wird eine Baronin, die von einem Bariton gesungen wird (Tobias Hieronimi spielt die Partie als leicht schrille Drag Queen); der silistrische Kanzler Negrutzky erscheint mit altmodisch verzwirbeltem Schnurrbart als Mann, wird aber von einer Frau dargestellt (Dalia Schaechter singt und spielt mit feinen Zwischentönen). Und wenn der zuverlässig singende Chor allerlei silistrische Handarbeiten präsentiert, dann sind es hier die Männer, die häkelnd oder stickend ihre Produkte präsentieren. ![]() Tür auf, Tür zu: der Komödienmechanismus funktioniert gut im Bühnenbild von Dieter Richter. Der Schriftzug "unbeschreiblich weiblich" über der Szenerie zitiert einen Song von Nina Hagen.
Regelmäßig treten die Figuren aus ihren Rollen heraus und kommentieren das Geschehen. Etwa die Sache mit den in der Operette unvermeidlichen Akzenten. "Ich komme ja gar nicht aus Ungarn, sondern aus Sachsen", erzählt der junge Spieltenor Richard Glöckner (im Erzgebirge geboren) und wechselt unvermittelt vom artifiziellen pseudo-ungarischen Akzent ins (natürlich übertrieben dargebotene) Idiom seiner Heimat. Er legt den ungarischen Leibhusar Báron Pista mit einer gelungen Mischung aus Dienstbeflissenheit und Travestie an, wenn er im Dienste einer ziemlich netten Intrige mit Dschilli Bey die Kleidung tauscht. Lya, charmantes und liebestolles Töchterchen des Kölner Generalkonsuls, verliebt sich so und so in ihn (Giulia Montanari singt sie mit blitzsauberem Sopran). Eingebettet ist das Ganze in eine temporeiche Revue ohne Leerlauf, die viel vom Flair der 1920er-Jahre aufbietet und keinen Moment vergisst, das hier alles nur Theater ist. Dieter Richter hat als Bühnenbild einen halbzylinderförmigen Bau über zwei Etagen entworfen, der oben einen Ballsaal andeutet, unten mit vielen in die Jahre gekommenen Türen zwischen Wänden aus billigem Holzfurnier aber auch verdeutlicht, das die goldenen Zwanzigerjahre eben auch eine Traumwelt waren. Die Kostüme von Sarah Mittenbühler versprühen pure Opulenz. Die Inszenierung will große Show bieten - und das gelingt ihr auch, nicht zuletzt mit Hilfe eines flotten Tanzensembles. Über die eine oder andere flache Pointe hört man dabei gern hinweg. ![]() Happy End: Dschilli Bey und Tököli (hier im gelben Kleid) finden, wie sich das in der Operette gehört, zueinander.
Und dann ist da natürlich der unbestrittene Star der Aufführung, und das ist Annette Dasch als Dschilli Bey. Zwar sucht sie stimmlich vor allem im ersten Teil des Abends nach dem richtigen Operettenton, da bleibt ihr Timbre oft allzu opernhaft lyrisch und eine Spur zu brav, doch ihre Bühnenpräsenz ist umwerfend. Ihren Widersacher Tököli spielt sie derart an die Wand, dass einem Darsteller Wolfgang Stefan Schwaiger leidtun kann - der neigt zwar dazu, seinen Bariton zu forcieren, kann aber mit großer Stimme punkten. Aber bei aller Eleganz bleibt er der Partie die Arroganz und die überzogene Männlichkeit schuldig, derer es bedürfte, um es mit Annette Dasch im Kampf der Geschlechter aufzunehmen. Zwischen diesen beiden sich beständig umkreisenden Hauptfiguren bleibt Claudia Rohrbach als Fürstin Petra ziemlich blass, was von der Regie vielleicht ein wenig zu sehr so gedacht ist. Am Pult des souverän die verschiedenen Stilebenen bedienenden Gürzenich-Orchesters steht Adam Benzwi, der auch für die musikalischen Arrangements zuständig ist und die Partitur von der Tanzmusik der 1920er-Jahre aus angeht. Das Orchester spielt schlank und flexibel und darf immer wieder den manchmal "dreckigen" Klang einer Tanzkapelle annehmen. Den umfangreichen Klavierpart übernimmt Benzwi selbst. Dabei steht der Instrumentalpart ganz im Dienste der Bühne. Sollte jemand glauben, die Operette sei eine altmodische und behäbige Gattung, muss er hier schnell umdenken. Die Musik von Michael Krasznay-Krausz präsentiert eine Reihe von flotten und spritzigen, manchmal ziemlich frechen Chansons, die viel Freude bereiten.
So frech, frivol und temporeich kennt man Operette sonst nur von Barrie Kosky und der Komischen Oper Berlin: Mit Annette Dasch in Hochform und einem durch und durch "spielwütigen" Ensemble (das Adjektiv verwendet der Regisseur im Programmheft) bietet Eine Frau von Format ein tolles Revue-Spektakel. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Choreographie
Licht
Chor
Dramaturgie
Solisten
Dschilli Bey
Géza, Graf von Tököli
Petra, Fürstin von Silistrien
Negrutzky, Kanzler
Baronin Manulescu
Báron Pista
Generalkonsul Zuntz
Lya, seine Tochter
Kapitän Penesch
Tänzer
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