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Weltuntergangsdrama in großen TönenVon Stefan Schmöe / Fotos von Matthias Jung
Elektra muss ein Schock gewesen sein bei der Uraufführung 1909. Zwei Jahre, bevor Strawinskys Le Sacre du Printemps den vielleicht größten Skandal der Musikgeschichte auslöste, stürzte die Oper in ihrer "entfesselten kakophonen Gewalt" auf den Hörer ein, so schreibt Regisseur Roland Schwab im Programmheft. Gut, das hat man schon oft gelesen. In dieser mitreißenden Kölner Produktion bekommt man eine Ahnung davon, was das Werk seinerzeit ausgelöst haben mag. Mit dem phänomenal genauen und hochkonzentrierten Kölner Gürzenich Orchester dirigiert Felix Bender, Generalmusikdirektor in Ulm, eine geschärfte, die radikale Modernität der Partitur hervorhebende Elektra, die Lichtjahre von der nachfolgenden Rosenkavalier-Süße entfernt ist. Elektra und Chrysothemis (hier: Astrid Kessler)
Dabei ist es gar nicht so sehr die Lautstärke des Riesenorchesters, das im Köln-Deutzer Staatenhaus links neben der Bühne in eindrucksvoller Größe postiert ist, die für den großen Effekt sorgt. Den gibt es auch, aber Bender setzt die Fortissimo-Ausbrüche klug und sparsam ein. Es sind die vielen leisen Stellen, die das Grauen vermitteln. Selten hat man eine so transparente, subtil durchgestaltete Elektra gehört, bei der immer wieder Nebenstimmen aufklingen, die sonst im Gesamtklang untergehen. Bender macht aus den komplizierten akustischen Bedingungen dieser alten Messehalle nicht nur das Beste, er macht, wie man so schön sagt, aus der Not eine Tugend. Weil das Orchester weit weg von den Sängerinnen und Sängern platziert ist, bleibt die vokale Präsenz auch im instrumentalen Furor erhalten. Aber Bender weiß genau, wann er die Lautstärke zurücknehmen muss. Diese zweite Aufführung ist zwischen Orchester und Gesangsstimmen hervorragend ausbalanciert. Der Orchesterklang passt sich den Sängern an und bleibt doch eigenständig. Elektra und Klytämnestra
Es steht aber auch ein ausgezeichnetes Ensemble auf der Bühne. Allison Oakes singt eine strahlende, expressive Elektra, die sich völlig verausgabt und doch scheinbar mühelos diese Monsterpartie bewältigt. Die Stimme klingt strahlend und trompetenhaft direkt. Hier geht es um alles. Und dann betritt Magdalena Hinterdobler (für die erkrankte Astrid Kessler eingesprungen) die Bühne, und ihre Chrysothemis bricht wie eine Naturgewalt über das Geschehen herein, jugendlich leuchtend und mit höchster Intensität. Während Elektra für das Prinzip Vernichtung steht, propagiert Chrysothemis in dieser Inszenierung musikalisch wie szenisch den Überlebenswillen, und dieser Gegensatz gibt der Produktion die entscheidende dramatische Spannung. Bei so stimmstarken Töchtern hat es die sehr gute, keineswegs keifende und genau phrasierende Klytämnestra von Lioba Braun schwer, sich zu profilieren. Die Herren bleiben, das ist im Werk bereits angelegt, Randerscheinungen: Insik Choi singt einen sonoren, etwas braven Orest, Martin Koch einen scharf pointierten Aegisth. Elektra und Orest
Die Inszenierung von Roland Schwab setzt auf die musikalische Kraft des Werkes. Bühnenbildner Piero Vinciguerra hat als Spielraum eine schmucklose graue Säulenhalle entworfen, die gleichermaßen antike Formelemente abstrahiert wie die Architektur des Staatenhauses mit seinen quadratischen Säulen aufgreift. Elektra trägt ein schwarzes Kleid mit einem etwas verunglückten Blitz darauf, Chrysothemis ein durchscheinend beigefarbenes Kleid wie einen eingedunkelten Brautschleier, Klytämnestra erscheint in giftigem Rot mit langer Schleppe und librettogetreu schwer mit Schmuck behangen (Kostüme: Gabriele Rupprecht). Mägde und Hauspersonal lassen an fremdartige Tiere denken und könnten einem Science Fiction-Film entsprungen sein. Schwab verzichtet auf eine örtliche oder zeitliche Fixierung. Seine Erzählung spielt jederzeit und überall. Erst wenn Elektra im Finale mit einem Benzinkanister alles in Brand setzt, ist man eindeutig in der Gegenwart angekommen. Düsteres Finale: Elektra, gefesselt. Im Hintergrund Chrysothemis
Das Regieteam unterstreicht die Musik mit großen Bildern. An den Säulen verstärken Leuchtstoffröhren den künstlichen Charakter des Raumes und verbreiten kaltes Licht. Durch die raffinierte Beleuchtung (Licht: Andreas Grüter) wird die düstere Atmosphäre noch verstärkt. Mit dem Auftritt des Orest schieben sich langsam zwei riesige Lichtpfeile von den beiden Seiten horizontal in die Bühne. Im Gegensatz zu solcher Abstraktion kann Schwab aber auch sehr konkret werden. Wenn Orest seine Mutter Klytämnestra tötet, werden deren Todesschreie, per Lautsprecher verstärkt, über die Musik gelegt. Orest schneidet sich danach die Kehle durch. Schwab inszeniert eine Spirale des Grauens, die für niemanden einen Ausweg lässt. Elektra will keine Rache, sondern die totale Zerstörung. Auch Chrysothemis wird dem Feuer, das man wohl als Weltenbrand verstehen darf, nicht entkommen. 1909 mag das eine Ahnung der kommenden Kriegskatastrophe gewesen sein. Insofern liefert diese Interpretation eine beklemmende und zutiefst pessimistische Deutung der Oper für unsere Tage.
Musikalisch eine herausragende Elektra, bei der Roland Schwabs düstere Inszenierung die Musik mit starken Bildern verstärkt. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht
Chor
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der rezensierten Aufführung
Klytämnestra
Elektra
Chrysothemis
Aegisth
Orest
Der Pfleger des Orest
Die Vertraute
Die Schleppträgerin
Ein junger Diener
Ein alter Diener
Die Aufseherin
Erste Magd
Zweite Magd
Dritte Magd
Vierte Magd
Fünfte Magd
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