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The Wreckers

Lyrisches Drama in drei Akten
Libretto
von
Henry B. Brewster
Musik von Ethel Smyth


in englischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2 h 45' (eine Pause)

Premiere im Badischen Staatstheater am 29. September 2024
(rezensierte Aufführung: 03.10.2024)

 
 

 
Badisches Staatstheater Karlsruhe
(Homepage)

Eine selbstbestimmte, couragierte Heldin 

Von Christoph Wurzel / Fotos: © Felix Grünschloß

Diese Oper ist eine wahre Entdeckung. Orchester- oder Kammermusikkompositionen von Ethel Smyth stehen seit der längst fälligen Öffnung der Klassikszene für Komponistinnen ab und zu einmal auf den Konzert- oder Radioprogrammen, ihre Opern machen sich aber hierzulande äußerst rar. The Wreckers war zwar beim Musikfest Berlin vor zwei Jahren in einer Produktion aus Glyndebourne konzertant zu hören, allerdings in der französischen Erstfassung, die recht früh von der Komponistin verworfen worden war. 1909 hatte Thomas Beecham in London die endgültige englische Fassung uraufgeführt, doch auch diese wurde dort seit 85 Jahren nicht mehr gespielt. Großes Verdienst gebührt daher dem neuen Intendanten in Karlsruhe Christian Firmbach dafür, die Oper in ihrer Originalfassung erstmals in Deutschland dem Publikum vorzustellen.

Deutlich wurde: Dies ist ein außerordentlich kraftvolles und überraschend modernes Werk. Kein Wunder, denn die 1858 in London geborene Komponistin war eine für ihre Zeit ungewöhnliche Frau. Als Jugendliche bereits musste sie die Erlaubnis zum Musikstudium gegen ihren Vater mit einem Hungerstreik erzwingen; das akademische Studium in Leipzig warf sie wegen zu niedrigen Niveaus hin und nahm sich eine Privatlehrerin; als schließlich die Uraufführung der deutschen Fassung dieser Oper unter dem Titel Strandrecht in Leipzig nur mit unautorisierten Strichen stattfand, entwendete die Komponistin kurzerhand die Noten von den Pulten und verhinderte so weitere Aufführungen. Im nachviktorianischen London schloss sich die offen bisexuell Lebende der Suffragetten-Bewegung an und wurde wegen Sachbeschädigung im Zuge von Demonstrationen zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Dennoch: Ethel Smyth erhielt zahlreiche Auszeichnungen und wurde von George V. sogar zur Dame Commander of the British Empire geadelt - eindeutig eine Anerkennung ihrer Kunst. Ihre Werke, die zu ihren Lebzeiten auch teilweise unter eigener Leitung viel gespielt wurden, gerieten nach ihrem Tod 1944 in Vergessenheit. Es wurde nun Zeit für eine Smyth-Renaissance.

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Die Gemeinschaft der Strandräuber betet für neue Beute (Chor und Ensemble)

Anders als bei den zumeist unterlegen Frauenfiguren der Opern des 19. Jahrhunderts haben wir es hier mit einer selbstbestimmten, entschlossen handelnden Heldin zu tun. Eigentlich könnte die Oper auch ihren Namen tragen: Thirza. Der Titel The Wreckers aber bezeichnet eine Gemeinschaft von Fischern in einem verarmten Dorf an der Küste von Cornwall, die gestrandete Schiffe ausrauben und auch vor der Ermordung der eventuell überlebenden Schiffbrüchigen nicht zurückschrecken. Im Gegenteil - der Pfarrer des Ortes, Thirzas Mann Pescoe, rechtfertigt dieses Handeln mit der Religion. Mark, einer der Fischer, entzündet heimlich Feuersignale, um vorbeifahrende Schiffe vor den Klippen zu warnen. Er und Thirza sind ein Liebespaar und gewillt, sich gemeinsam gegen die brutale Praxis des Strandraubs zu stellen. Nach einigen Verwicklungen stellen sich beide dem wütenden Mob der Dorfbewohner und nehmen den für sie befreienden Tod in den Fluten des Meeres an.

Richard Wagners Tristan und Isolde hat hier zweifellos Pate gestanden, auch dieser Tod ist in gewissem Sinn ein Liebestod, zugleich aber wirft er die Frage nach der Legitimität des Rechts auf. Thirza und Mark sind gerade in ihrer verbotenen Liebe und ihrem widerständigen Handeln die wahrhaft Legitimierten dieser Gemeinschaft, diejenigen, die sich im Recht glauben dagegen, handeln archaisch.

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Ann-Beth Solvang als Thirza

Deutlich macht das die Komponistin in ihrer höchst differenzierten Musik. Wir erleben im 1. Akt die räuberische Dorfgemeinschaft im aggressiven Fortissimo des Chores, das nur vom weichen Choralgesang unterbrochen wird, wenn die Leute um bessere Beute beten. Ansonsten herrscht musikalisch wie szenisch die Atmosphäre manifester Gewalt, die vom Orchester mit harten Klängen in zumeist düsteren Farben und schnellen, fast atemlosen Tempi untermauert wird. Bereits zur Ouvertüre zeigt die Regie die Gewalt in aller Brutalität, die von dieser Gemeinschaft ausgeht. Beim ersten Auftreten Thirzas, die im langen weißen Kleid von den durchweg dunkel bis schwarz gekleideten Dörflern absticht, wird die Musik weicher und schlägt liebliche Töne an. Es erklingt zum ersten Mal ein schlichtes volkstümliches Motiv, das später zum melodischen Liebesthema des Paares wird. Ann-Beth Solvang verkörpert diese Figur mit berührender Ausstrahlung, mit einer Mezzostimme, die zugleich Wärme und Entschlossenheit ausstrahlt und auch in der Höhe große Kraft entfaltet.

Keith Warner, dessen lang gehegter Wunsch es nach eigenen Aussagen war, diese Oper inszenieren zu können, hat diese Atmosphäre in bedrückender Finsternis auf die Bühne gebracht. Der Bühnenraum ist einheitlich für alle drei Akte eine große Kammer, abgeschottet nach außen durch dicke Isoliertüren. Dort hinein kommt man nur mit Gasmasken, weil, wie Warner unterstellt, draußen die Luft nicht mehr zum Atmen reicht. Warner nimmt damit einen Zustand vorweg, der in der Zukunft einmal das Resultat von Umweltzerstörung und Klimawandel sein wird. Er sagt: We are the Wreckers - wir alle beuten die Umwelt aus. Doch dominant wird dieser Gedanke nicht. Der Regisseur hat ihn glücklicherweise nicht als Konzept dem Werk übergestülpt. Im Gegenteil, er erzählt die Geschichte außerordentlich schlüssig, pointiert, packend und genau am Text entlang.

Passend sind die Kostüme gewählt (Julia Müer und Verena Polkowski) - ein Sammelsurium von zerschlissenen Altkleidern, entsprechend der Herkunft aus dem Beutegut der Strandräuber. Zugleich charakterisieren sie die Figuren deutlich. Thirzas Gegenspielerin Avis wirkt wie eine Rockerlady. Sie ist in Mark verliebt, übergriffig versucht sie ihn zu gewinnen - viel massiver, als die Anspielung in der Musik auf Carmens Habanera andeutet. Scharf schneidet dabei die Stimme von Ralitsa Ralinova und spitz wie das Messer, mit dem sie Mark zu Leibe rückt.

Im starken Kontrast sind auch die beiden männlichen Hauptfiguren gezeichnet. Dem autoritär-doktrinären Pfarrer (Kihoon Yoon mit rabenschwarzem Bass) steht der lyrisch schwärmerische Mark gegenüber. Brett Sprague singt diese Tenorpartie mit großer Emphase, stimmlich raumgreifend und mit beweglich leichter Höhe, ein Muster jugendlichen Elans.

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Ralitsa Ralinova (Mitte, mit Ensemble) als Avis, wie diese einen Schiffbrüchigen malträtiert.

Die ausgefeilte Personenführung der Regie schafft für alle Protagonisten ein Höchstmaß an Bühnenpräsenz, was die Dramatik der Handlung unterstreicht. Einen lyrischen Ruhepol bildet der zweite Akt mit der Begegnung des Liebespaars, wenn es sich gegenseitiger Liebe versichert und Fluchtpläne aus seiner unglücklichen Situation plant. In großen von oben heruntergelassenen Kisten erscheinen als projizierte Phantasiebilder seine Träume und Ängste - aber eben nur als Vorstellung, nicht als Realität. Ein Entkommen aus dieser hermetisch geschlossenen Welt voller Zwang und Unrecht wird es für das Paar nicht geben.

Wenn Thirza und Mark sich am Schluss des dritten Aktes dazu bekennen, die "Verräter" in dieser verschworenen Gesellschaft eigenen Rechts zu sein und zum Tod in den Wogen des Meeres verurteilt werden, dann findet die Regie dafür eine fast poetische, ja ihren Tod verklärende Lösung. Schwebend werden sie vom Wasser, das als Wellen auf hochgezogene Tücher projiziert wird, mild und friedvoll aufgenommen.

Die Badische Staatskapelle gab ihr Bestes, um die außergewöhnlich reichen Klangfarben der Partitur zum Klingen zu bringen. GMD Georg Fritzsch strukturierte die Musik plastisch, gab Dramatik und Lyrik gleichermaßen den Raum. Besonders kam so die Qualität der Musik auch im Zwischenspiel vor dem dritten Akt zum Ausdruck, wo die Komponistin ein atmosphärisch dichtes Stimmungsbild der Klippen von Cornwall malt. Benjamin Britten war bei einer Aufführung der Oper in Covent Garden zugegen. Von dieser Musik dürfte er sich für Peter Grimes inspiriert haben.

Vom rauschenden Beifall am Schluss gebührte dem Chor des Badischen Staatstheaters ein großer Anteil. Er trug wesentlich zur dramatischen Spannung dieses Abends bei. Gleichermaßen gilt dies für alle weiteren Sängerinnen und Sänger, sämtlich natürlich Debütanten in ihren Rollen, die mit großem Engagement diese Produktion mittrugen.

FAZIT

Ein starkes, komplexes, interessantes Musikdrama, eine packende Inszenierung, hoch expressive Musik, die großartig gespielt und gesungen wurde. Alles in allem ein erfolgreicher, furioser Auftakt der neuen Intendanz


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Georg Fritzsch

Regie
Keith Warner

Mitarbeit Regie
Katharina Kastening

Bühne
Thilo Steffens

Kostüme
Julia Müer
Verena Polkowski

Licht
Stefan Woinke

Chor
Ulrich Wagner

Dramaturgie
Stephanie Twiehaus

 

Badische Staatskapelle

Badischer Staatsopernchor und
Extrachor

Statisterie des Badischen
Staatstheaters


Solistinnen und Solisten

*rezensierte Aufführung

Thirza
*Ann-Beth Solvang /
Dorothea Spilger

Mark
Brett Sprague

Avis
*Ralitsa Ralinova /
Martha Eason

Jack
Florence Losseau

Pasco
*Kihoon Yoon /
Konstantin Gorny

Tallan
Klaus Schneider

Laurence
*Oğulcan Yilmaz /
Armin Kolarczyk

Harvey
Liangliang Zhao

 


Weitere
Informationen

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Badischen Staatstheater Karlsruhe
(Homepage)



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