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Herren im Bad und andere Peinlichkeiten
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Olaf Struck
Kiel hat einen neuen Generalmusikdirektor. Gabriel Feltz ist zum Saisonbeginn vom Theater Dortmund, das 2023 bei den OPER! AWARDS immerhin zum Opernhaus des Jahres gekürt worden ist, an die Förde gewechselt. Immerhin Landeshauptstadttheater. Da startet er standesgemäß mit dem Rosenkavalier, einem klassischen Generalmusikdirektorenstück. Feltz hat viel Erfahrung mit diesem Werk, was man nicht zuletzt an der entspannten Gelassenheit hört, mit der er viele Passagen dirigiert. Der Orchestersatz klingt transparent und leicht. Der Schluss des ersten Aktes mit dem Monolog der Marschallin und deren Reflexionen über die Zeit sei seine Lieblingsstelle, bekennt er im Programmheft. Er dirigiert sie mit Delikatesse, wie auch bei der Überreichung der silbernen Rose oder dem Finale des dritten Aktes. Wobei mitunter ein wenig die Verbindung mit den Gesangsstimmen fehlt und ein Phrasieren entlang des Textes, oder auch das variable Anziehen des Tempos (oder das Nachlassen), wenn die Situation es verlangt. Vor lauter orchestraler Schönheit kann der Konversationston auch schon einmal verloren gehen. Das Vorspiel zum ersten Akt gerät ein wenig zu statisch, dafür huscht das Vorspiel zum dritten Akt wunderbar gespenstisch leicht vorbei. Das Kieler Orchester folgt seinem neuen Chef mit großer Zuverlässigkeit. Nach der Liebesnacht im überdimensionalen Bett: Die Marschallin und Octavian
Dabei muss Feltz in der hier besprochenen Aufführung gleich drei Hauptrollen als Folge der Erkältungswelle kurzfristig umbesetzen. Anstelle von Clara Fréjacques singt Hanna Larissa Naujoks einen leidenschaftlichen Octavian von hoher Intensität. Für Jörg Sabrowski steht Karsten Schröter als Baron Ochs auf der Bühne. Er gestaltet die Partie stimmlich solide und verfügt auch über die ganz tiefen Töne. Möglicherweise hat ihm die Regie jeglichen Wiener Charme untersagt, den man jedenfalls vergebens sucht. Giorgos Kanaris singt an Stelle von Samuel Chan den Faninal mit trompetenhaft strahlendem Bariton im Dauerforte - ein wenig mehr Differenzierung täte dieser Figur gut. Alle drei fügen sich gut in den musikalischen Fluss ein. Zur Stammbesetzung gehört Agnieszka Hauzer, die als Marschallin vor allem in der hohen Lage imponiert. Die Leichtigkeit und Sicherheit, mit der sie sich in ihrem Monolog bei den Worten "und in dem 'Wie' da liegt der ganze Unterschied" in die Höhe aufschwingt, ist beeindruckend. In der Mittellage dürfte die Stimme für die Partie größer sein, und es fehlt ein wenig das "aristokratische" Moment, das diese letzte Vertreterin des Hochadels von den anderen Protagonisten abhebt. Mit schönen Spitzentönen im Pianissimo kann auch Xenia Cumento als Sophie glänzen, aber insgesamt klingt ihr Sopran zu klein und im Konversationstonfall oft angestrengt. Aus dem ansonsten durchwachsenen Ensemble ragt Tatia Jibladze als zupackend singende Intrigantin Annina heraus. Überreichung der silbernen Rose. Octavian (hier: Clara Fréjacques, links) trägt übrigens keinen verwaschenen Anzug in Batik-Optik, sondern fein ziseliertes Dekor mit asiatischer Motivik wie im Bühnenbild des ersten Aktes - was man nur in den ersten Reihen des Parketts erkennt.
Dass diese Annina als Mann auftritt, im Aussehen ihrem Partner Valzacchi ganz gleich (Schmierenkomödianten mit exzentrischen Schnurrbärten), gehört zu einer ganzen Reihe von Regieeinfällen, die einzelne Handlungsmomente umdeuten, aber letztendlich belanglos bleiben. Dem in den hierarchischen Beziehungen feinsinnig austarierten Personenkosmos von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal wird die grobe Regie von Sam Brown in der Ausstattung von Stuart Nunn dabei nicht annähernd gerecht. Brown und Nunn überzeichnen und vergrößern, was in der Oper subtil angedeutet wird. Aus dem Medaillon mit Portrait des Grafen Octavian, dem jungen Liebhaber der Marschallin und späteren "Rosenkavalier", wird, bezeichnend für das Vorgehen der Regie, ein großformatiges Ölgemälde. Das Bett, in dem die beiden zum Vorspiel eine Liebesnacht verbringen, füllt, ins Riesenhafte vergrößert, im ersten Aufzug die gesamte Bühne aus (in den personenreichen Szenen müssen eben alle in dieses Bett klettern). Dabei gelingt dieser erste Akt noch halbwegs schlüssig, auch wenn die Protagonisten neben (oder in) dem riesigen Möbelstück oft recht verloren wirken. Asiatisches Dekor in zarten blauen und weißen Tönen und ein Hauch von Rokoko liefern einen halbwegs konventionellen Rahmen. Die schnoddrigen Kostüme zwischen Boulevardtheater (Octavian in der Verkleidung als vermeintliches Dienstmädchen Mariandl, der Baron Ochs mit karottenfarbener Perücke) und Gegenwartsstück (die Marschallin mit allzu lässig gebundener Krawatte) sollen dem Stück wohl zeitlose Bedeutung sichern. Ein Bild, das viel über die Ästhetik des zweiten Aktes erzählt. Ensemble.
Zum Desaster wird der zweite Aufzug, der aus dem Stadtpalais Faninals in dessen Garten mit labyrinthisch zugeschnittenen Hecken verlegt wird (was mangels verfügbaren Platzes fast jede sinnvolle szenische Aktion unterbindet). Der Regisseur zeigt Faninal als neureichen Emporkömmling ohne jeden Sinn für Stil und Geschmack. Das gelingt. Nur blöd, dass sich diese Geschmacklosigkeit gleichzeitig über die komplette Regie legt. Brown möchte nach dem melancholischen Schluss des ersten Aufzugs jetzt die Komödie hervorheben, verwechselt diese aber mit dem derben Schwank, für den Faninal, Ochs und der Notar sogar kurz in den winzigen Swimming Pool - wohl doch eher ein warmes Sitzbad - klettern. Von Sophies Brautkleid angefangen (das sie an diesem Verlobungstag sicher nicht trägt) bis zu Ochs' Verletzung durch einen Pieks mit der silbernen Rose stimmt nichts mehr. Es fehlt entschieden an Empathie mit den auftretenden Personen. Und über allem wacht im Bühnenhintergrund die Marschallin - wobei man den Eindruck gewinnt, dass sie gar nicht hinsehen mag und lieber fassungslos zur Seite schaut. Recht hat sie. Bereit zum großen Schlussterzett im Stundenhotel: Sophie, Octavian und die Marschallin.
Im dritten Aufzug ersetzt ein schäbiges Stundenhotel das im Libretto vorgesehene Vorstadtgasthaus. Auch damit gelingt es nicht, die gefürchteten Untiefen dieses letzten Akts zu umgehen. Erst am Ende, wenn die Kulisse sich öffnet und Octavian, Sophie und die Marschallin im leeren Raum stehen, gewinnt die Regie für einen kurzen Moment an Größe. Zuvor hat Gabriel Feltz das Schlussterzett in sehr getragenem Tempo dirigiert (was die Sängerinnen an die stimmlichen Grenzen führt). Zu den Schlusstakten, in denen eigentlich der Diener Mohammed Sophies verlorenes Taschentuch sucht und Strauss nach dem großen Entsagungsfinale den Schwenk zurück zur Komödie komponiert hat, steht die Marschallin allein auf der Bühne. Ob sie in Gedanken schon bei ihrer nächsten Liebschaft ist? Nein, das wollen wir gar nicht wissen. Gabriel Feltz hätte szenisch einen stärkeren Einstand verdient. Andererseits ist er, was den Rosenkavalier betrifft, aus Dortmund ja auch nichts Gutes gewohnt, wie man hier nachlesen kann.
Vom Charme der Oper lässt die grobe Regie nicht viel übrig: Zum Amtsantritt von Gabriel Feltz gibt es einen schön dirigierten, ganz ordentlich gesungenen, szenisch aber zwischen Klamauk und Banalität verlorenen Rosenkavalier. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht
Chor
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der rezensierten Aufführung
Feldmarschallin Fürstin Werdenberg
Baron Ochs auf Lerchenau
Octavian
Herr von Faninal
Sophie
Jungfer Marianne Leitmetzerin
Valzacchi
Annina
Ein Sänger
Ein Polizeikommissar
Ein Notar
Ein Wirt
Haushofmeister bei der Marschallin /
Ein Tierhändler
Eine Modistin
Ein Hausknecht
Sechs(!) adelige Waisen
Vier Lakaien
Vier Kellner
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