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Die Sache mit der Treue
Von Thomas Molke / Fotos: © Matthias Stutte Wie wäre wohl die Karriere von Paul Abraham verlaufen, wenn die Nationalsozialisten nicht 1933 die Macht ergriffen hätten? Der ungarisch-jüdische Komponist, den Franz Lehár zu Beginn seiner rasanten Karriere liebevoll als "Kronprinzen der Operette" bezeichnet hatte, stand 1932 auf dem Zenit seiner Karriere und beherrschte mit Kassenschlagern wie Die Blume von Hawaii, Viktoria und ihr Husar und Ball im Savoy die Bühnen der Weimarer Republik. Doch das änderte sich schlagartig. Für die "reichsdeutschen" Theater war eine derart "klanggewordene Entartung", wie Abrahams Werke in Reclams Operettenführer von 1939 bezeichnet wurden, nicht tragbar. So verschwanden die Stücke sang- und klanglos von den Bühnen. Abraham ging ins Exil, erst nach Wien und nach der Annexion Österreichs an das Deutsche Reich in die USA, wo er nicht an seine früheren Erfolge anknüpfen konnte. In Folge einer verschleppten Syphilis erkrankte er schließlich an Schizophrenie und wurde in eine Nervenheilanstalt eingeliefert. Als er 1956 von schwerer Krankheit gezeichnet nach Hamburg zurückkehrte, war in Deutschland eine neue Zeit angebrochen, die ihm seinen ehemaligen Ruhm nicht zurückbringen konnte. Erst der Australier Barrie Kosky brachte als Intendant der Komischen Oper Berlin 2013 den bis dahin in Vergessenheit geratenen Ball im Savoy wieder auf die Bühne und legte mit dieser umjubelten Produktion den Grundstein dafür, dass die "Jazzoperette" eine Wiederentdeckung erlebte, der zahlreiche weitere Produktionen folgten. Roland Hüve inszenierte ein Jahr später in Hagen eine Fassung mit eigens angefertigten Dialogen, die nun auch für die Produktion am Theater Krefeld-Mönchengladbach verwendet wird. Daisy Darlington (Susanne Seefing) will als Jazz-Komponistin Karriere machen. Was die Handlung betrifft, bedient das Werk die Themen der klassischen Operette um amouröse Verwicklungen, zeigt sich in den verwendeten Melodien und unterschiedlichen Rhythmen allerdings wesentlich variationsreicher als beispielsweise Johann Strauß, Emmerich Kálmán oder Franz Lehár. Der Adelige Aristide de Faublas kehrt mit seiner frisch angetrauten Ehefrau nach einjährigen Flitterwochen in seine Villa nach Nizza zurück. Doch schon am ersten Abend will er sie allein lassen, um auf dem Ball im Hotel Savoy seine ehemalige Geliebte Tangolita zu treffen, der er einst einen Scheck ausgestellt hatte, mit dem er ihr ein Rendezvous garantierte. Sein Freund Mustapha Bei, Attaché der türkischen Botschaft, schlägt ihm vor, seiner Gattin zu erzählen, dass er auf dem Ball den erfolgreichen Komponisten José Pasodoble treffen wolle. Dabei weiß er allerdings nicht, dass sich hinter dem unbekannten Komponisten Madeleines Kusine Daisy Darlington aus Amerika verbirgt, die unter dem Pseudonym Karriere als Jazzkomponistin machen möchte. So beschließt Madeleine, ebenfalls zum Ball im Savoy zu gehen und ihrem Gatten eine Lektion zu erteilen. Sie zieht sich mit dem erstbesten Mann, dem Anwaltsgehilfen Célestin Formant in ein Separée zurück, um Revanche für den Betrug ihres Gatten zu üben. Es kommt zum Eklat. Aristide verlangt die Scheidung. Aber Daisy gelingt es schließlich, die beiden wieder zu versöhnen, und angelt sich selbst als "siebte" und hoffentlich letzte Gattin den von ihr begehrten Mustapha Bei. Happy End für Madeleine (Gabriela Kuhn) und Aristide (Andrea Matthias Pagani) Das Regie-Team um Frank Matthus bleibt dem nostalgischen Charme des Stückes treu und versucht nicht, das Werk durch einen neumodischen Anstrich zu verfremden. So werden Madeleine und Aristide während des Vorspiels in zeitgemäßen Kostümen (Heiko Mönnich) in einem riesigen Bett durch den noch größtenteils geschlossenen Vorhang gefahren, um nach der Rückkehr aus ihren Flitterwochen ihre große Liebe zu besingen und sich ewige Treue zu schwören. Das Bühnenbild, für das ebenfalls Mönnich verantwortlich zeichnet, ist recht flexibel gehalten und ermöglicht eine schnelle Verwandlung von Aristides Villa in Nizza in einen mondänen Saal im Savoy. Zwei Treppen auf der rechten und linken Seite führen im ersten Akt in eine obere Etage des Hauses, während sie im Savoy zu einer großen Showtreppe zusammengeführt werden. Riesige silberne Säulen lassen sich flexibel im Raum verschieben, um den Raum zu variieren. Ein halbrunder Bogen im Hintergrund deutet die Weite von Aristides Villa an. Für den Ball trennt ein weiterer Vorhang den vorderen Teil ab, während die Buchstaben "SAVOY" in geschwungener Form aus dem Schnürboden herabhängen. Madeleine (Gabriela Kuhn) will ihren Gatten mit Célestin (Bjorn Geudens) betrügen. Für die beiden Separées, in denen sich Aristide mit Tangolita auf der rechten Seite und Madeleine mit Célestin auf der linken Seite treffen, werden zwei überdimensionale hochhackige Damenschuhe verwendet, in denen Madeleine und Tangolita Platz nehmen und mehr schlecht als recht versuchen, die Männer zu verführen. Während Tangolita schweren Herzens erkennen muss, dass Aristide gedanklich nur bei seiner Gattin ist, bemüht sich Madeleine ernsthaft um den Ehebruch, scheitert aber kläglich, was einerseits an ihren Gefühlen für Aristide, andererseits aber auch an der herrlichen Unbeholfenheit Célestins liegt. Bjorn Geudens und Gabriela Kuhn entfachen hier als Célestin und Madeleine eine großartige Slapstick-Komik. Daisy (Susanne Seefing) verdreht Mustapha (Markus Heinrich) den Kopf. Musikalisch begeistert das Stück durch zahlreiche eingängige Melodien, die die Vielfalt von Abrahams Kompositionsstil deutlich machen. Da ist zum einen die großartige Tanznummer "Känguruh" zu nennen, mit der Daisy einen neuen Tanzstil aus den USA vorstellt. Ralph Frey hat hierfür eine spritzige Choreographie erarbeitet, die vom Ballettensemble gemeinsam mit Susanne Seefing als Daisy wunderbar umgesetzt wird. Da lässt sich gut nachvollziehen, dass diese freche, selbstbewusste Amerikanerin das Herz des Mustapha Bei höher schlagen lässt. Markus Heinrich legt den türkischen Attaché mit großartiger Komik an und begeistert mit Seefing bei dem großartigen Duett zwischen Daisy und Mustapha "Oh, Mister Brown!", bei dem die beiden sich erstmals näher kommen. Eingängig ist auch der Foxtrott "Es ist so schön, am Abend bummeln zu gehen", bei dem das Publikum auf den Sitzen regelrecht mitschwingt. Eine weitere komische Nummer ist der Foxtrott im dritten Akt "Kommen Sie mit mir nach Belutschistan", in dem Mustapha Madeleine zu überreden versucht, mit ihm nach Afghanistan zu gehen, wenn sie ihren Mann verlassen wolle. Ein weiterer Höhepunkt ist sein Lied "Wenn wir Türken küssen...", das er mit seinen sechs Ex-Frauen singt. Auch hier achtet die Inszenierung auf eine Vielfalt der Kulturen und gibt den sechs Ex-Frauen mit unterschiedlichen Nationalitäten und Dialekten jeweils einen kurzen Moment zu glänzen.
Kejti Karaj glänzt als Tangolita mit laszivem Mezzosopran
und macht deutlich, wieso sich Aristide das Rendezvous mit dieser Dame
eigentlich nicht entgehen lassen will. Bei der großen Tangonummer "Man nennt
mich nur La bella Tangolita" macht sie auch tänzerisch mit dem Ballett eine sehr
gute Figur. Andrea Matthias Pagani will sich zwar als Aristide immer
irgendwelche Freiheiten nehmen, bleibt musikalisch in den komponierten Nummern
aber im Vergleich zu den anderen Partien eher ein wenig langweilig. So sind die
klassischen Nummern "Toujours l'amour" und "Bist du mir treu?" zwar mit weichem
Tenor von ihm klangschön umgesetzt, geben der Figur aber weit weniger Spielraum
als den anderen Charakteren. Gabriela Kuhn hat als Madeleine da wesentlich mehr
szenisches Entwicklungspotenzial. Sie darf in anderen musikalischen Nummern aus
der Rolle der braven, treuen Ehefrau durchaus ausbrechen und zeigt in den beiden
Chansons auch eine gewisse Verbitterung, die von Kuhn bewegend umgesetzt wird.
Herrliche Komik entfacht auch Frank Valentin als leicht tölpelhafter Diener
Archibald. Als gute Entscheidung erweist es sich, die Solistinnen und Solisten
beim Gesang durch Mikroports zu verstärken, auch wenn die Tonabmischung
stellenweise noch verbesserungswürdig ist. So kann auf eine Übertitelung während
der Songs verzichtet werden. Sebastian Engel führt die Niederrheinischen
Sinfoniker schwungvoll und mit der erforderlichen Leichtigkeit durch die von
Henning Hagedorn und Matthias Grimminger rekonstruierte Partitur, so dass man
beschwingt den Saal verlässt.
FAZIT
Paul Abrahams Jazzoperette bietet Operettenseligkeit vom Feinsten mit großem
musikalischem Abwechslungsreichtum. Das Regie-Team geht absolut liebevoll mit
der Vorlage um.
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ProduktionsteamMusikalische Leitung Inszenierung
Bühne und Kostüme
Choreographie
Choreinstudierung
Dramaturgie
Niederrheinische Sinfoniker Opernchor des Theaters
Solistinnen und Solisten
Marquis Aristide de Faublas
Madeleine de Faublas, seine Frau
Daisy Darlington, Jazzkomponistin
Mustapha Bei, Attaché bei der
Tangolita, eine argentinische Tänzerin
Archibald
Pomerol
Célestin Formant
René / Radioansager
Maurice
Paulette
Lilly
Hermence
Die sechs geschiedenen Frauen des
Ballettensemble
Extra-Tanzensemble
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