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Religion und Fanatismus
Von Thomas Molke / Fotos: © Matthias Stutte Nicht nur bei Georg Friedrich Händel, der sich nach dem nachlassenden Interesse an seinen Opern in London das Oratorium zu neuem Glanz führte, sind neben den diversen Händel-Festspielen auch die Musiktheaterbühnen mittlerweile dazu übergangen, Oratorien szenisch auf die Bühne zu bringen. Auch bei Felix Mendelssohn Bartholdys Elias, das als sein bekanntestes Werk mit Gesang zählt, hat das Regietheater mittlerweile entdeckt, wie viel szenisches Potenzial in dieser Gattung steckt. Schon der ehemalige Intendant der Oper Dortmund, Jens-Daniel Herzog, hat 2012 zu belegen versucht, dass Elias eigentlich die große Oper sei, die Mendelssohn Bartholdy zeit seines Lebens habe komponieren wollen (siehe auch unsere Rezension). Nun widmet sich am Theater Krefeld Mönchengladbach Kobie van Rensburg, der mit seinen Video-Installationen ein gern gesehener Gast hier ist und bereits mehrfach mit dem Publikumspreis "Theater-Oscar" der Rheinischen Post für die beste Musiktheaterinszenierung ausgezeichnet worden ist, diesem Stoff. Bereits am Landestheater Niederbayern und in Bad Lauchstädt im Rahmen der Händel-Festspiele hat er mit Inszenierungen der beiden Händel-Oratorien Il trionfo del Tempo e del Disinganno und La Resurrezione bewiesen, dass man mit dem richtigen Konzept einen spannenden Opernabend daraus formen kann. Und auch bei Elias gelingt es ihm, mit kleinen Eingriffen in den Text zu zeigen, wie schmal der Grat von religiöser Überzeugung zu Fanatismus sein kann. Elias (Rafael Bruck, Mitte rechts) macht die Königin (Eva Maria Günschmann) und den König (Arthur Meunier, Mitte links) für die Dürrekatastrophe verantwortlich. Dabei bleibt van Rensburg sehr nah an der erzählten Geschichte um den Propheten Elias, der sich gegen den Baalskult auflehnt und das Volk zum Glauben an den einzig wahren Gott hinführen will, verlegt die Handlung allerdings in die fiktive Stadt Zion in die US-amerikanischen Südstaaten der 1930er Jahre, als die historische "Dust-Bowl"-Klimakatastrophe wütete. Dabei handelte es sich um eine von den Menschen verursachte Jahrhundertdürre, die durch den Abbau der ursprünglichen Vegetation riesige Flächen des Ackerlandes austrocknen ließ und das Land mit Staub überzog, der in dramatischen Stürmen ganze Bundesstaaten bedeckte. Auch im Oratorium ist der Ausgangspunkt der Geschichte eine extreme Wasserknappheit, die dem Volk die Lebensgrundlage nimmt. Elias gibt in einer Video-Projektion, die dem Oratorium vorangestellt ist, der ZION WATER COMPANY die Schuld an der Katastrophe und klagt König Ahab und die Königin Isebel als korrupt an, weil sie das Großkapital unterstützen. Dafür wird musikalisch das Rezitativ "Siehe, siehe, ich stehe vor der Tür" aus Johann Sebastian Bachs Kantate BWV 61 vorangestellt. Während der folgenden Ouvertüre organisiert er dann mit seiner Gemeinde Proteste, die in Gewalt enden, bei der Elias durch einen Streifschuss am Kopf getroffen wird. Elias überlebt das Attentat und trägt fortan eine Binde um den Kopf, die die Frage aufkommen lässt, welchen psychischen Schaden er durch diese Verletzung genommen hat. Währenddessen kämpft die Gemeinde weiter und zündet eine Sprengladung am Wasserreservoir. Elias (Rafael Bruck, Mitte) ist bereit, seine Ziele auch mit Gewalt durchzusetzen (rechts: die Witwe (Sofia Poulopoulou) mit dem Knaben (hier: Mona Adriana Dima), links: der Diakon (Jeconiah Retulla)). Aber auch dieser Versuch ist nicht von Erfolg gekrönt, und das Wasser versickert im Boden. Van Rensburg führt nun zwei Heilsarmeeschwestern und einen Diakon für die im Oratorium nicht näher bezeichneten Solo-Partien ein, die das Volk nicht nur mit einer Suppenküche versorgen, sondern gemeinsam mit Elias' Freund Obadjah versuchen, die Gemeinde zu beruhigen und für ihre Zwecke zu manipulieren. Doch es gelingt ihnen nicht, das Volk zu beruhigen. Im Krankenhaus erreicht Elias mittlerweile die Nachricht, dass er von den Behörden gesucht werde und aus der Stadt fliehen müsse. So macht er sich auf den Weg und begegnet der Witwe, deren Sohn er wieder zum Leben erweckt. Wie schon in der Inszenierung in Dortmund wertet auch van Rensburg die Rolle der Witwe und des Knaben auf, indem sie Elias auf seinem weiteren Weg als Anhänger begleiten und die Witwe so musikalische Passagen übernimmt, die Mendelssohn Bartholdy eigentlich nicht für sie komponiert hat. Während die Witwe und Elias bei van Rensburg ein Paar werden, soll der Knabe als Heilsbringer Elias' eingeschlagenen Weg fortsetzen. Aber er ist nicht bereit, in Elias' Fußstapfen zu treten und einen Weg, der von Gewalt gezeichnet ist, fortzusetzen. Mit Maschinengewehr in den Projektionen und auf der Bühne zeigt van Rensburg, dass Elias in seinem Fanatismus eigentlich auch ein Terrorist ist, der glaubt, das Recht zu haben, alle anderen Glaubensrichtungen gewaltsam auslöschen zu können. So lässt er den Jungen am Ende des ersten Teils mit einem Sprechtext die Gewalt unterbrechen: "Aufhören, warum muss es immer so viel Gewalt geben?" Bis dahin erfährt man allerdings auch im Publikum eine gewisse Manipulation, was vor allem dadurch erzielt wird, dass Teile der Chöre im Publikum platziert sind und hier agieren. Die Anhänger des Baal-Kultes werden mit orangefarbenen Tüchern gezeichnet. Der König und die Königin treten mit ihrem Staat auf der Bühne in langen weißen Gewändern auf, während der Chor im Publikum schwarz gekleidet ist. Wenn Elias die Anhänger des Baal auffordert, ein Brandopfer zu entfachen, tritt der Chor im Publikum erstmals im Wechselgesang mit dem Chor auf der Bühne in Interaktion und versucht in heftigen Bewegungen, ein Feuer zu erzeugen. Das ist szenisch und musikalisch großartig umgesetzt, weil man als Publikum gewissermaßen Teil des Geschehens wird. Nachdem dieser Versuch nicht von Erfolg gekrönt war, lässt van Rensburg dann den Projektionen freien Lauf und entfacht einen Brand, der den Chor regelrecht von der Bühne fegt bzw. aus dem Saal treibt. Elias (Rafael Bruck, unten Mitte auf dem Stuhl) wird hingerichtet. Im zweiten Teil flieht Elias zwar noch vor seinen Verfolgern in die Wüste, an einen Aufstieg in den Himmel glaubt van Rensburg allerdings nicht. Vielmehr wird Elias von zwei Polizisten verhaftet und ins Gefängnis geworfen, wo ihm für die begangenen Taten der Tod auf dem elektrischen Stuhl droht. Die Heilsarmeeschwestern, die Witwe und Obadjah versuchen, dem Volk eine andere Wahrheit zu vermitteln. In Projektionen überschlagen sich die Nachrichten, bei denen man nicht mehr zwischen Wahrheit und Fake News unterscheiden kann und nicht weiß, wem man glauben soll. In seiner Verzweiflung hofft das Volk auf den Knaben der Witwe als neuen Heilsbringer. Die Witwe überreicht dem Jungen das Buch des Glaubens, aus dem immer wieder zitiert worden ist. Doch er ist nicht bereit, diesen Weg fortzusetzen, weil diese Religion für ihn menschenverachtend ist. Er schleudert das Buch auf den Boden und verlässt die Bühne. So bleibt der Gemeinde nichts anderes übrig, als weiter auf einen Erlöser zu warten, während in großen Lettern in einer Projektion die Frage prangt, welche Rechtfertigung Religion hat, wenn sie sich nicht von Gewalt deutlich distanziert. Die Chöre mit der Botschaft des Abends: "Lasst uns jede Religion abschaffen, die Gewalt verherrlicht und Menschenverachtung duldet" Nicht nur die Inszenierung von van Rensburg ist absolut bewegend. Auch musikalisch begeistert der Abend auf ganzer Linie. Da sind in erster Linie der Opernchor, der Extrachor, der Niederrheinische Konzertchor und der Crescendo Chor Krefeld zu nennen, die mit großem homogenem Klang den Abend zu einem Erlebnis machen. Dabei agiert der Chor auf der Bühne darstellerisch mal als Gemeinde, dann als Gefolge des Königspaars auch szenisch mit großartigem Einsatz. Der Chor im Publikum überzeugt als Anhänger des Baal-Kultes ebenfalls mit kraftvollem Gesang und flieht nahezu panisch aus dem Saal, wenn Elias befiehlt, alle Priester des Baal hinrichten zu lassen. Nach der Pause haben die Chorsängerinnen und -sänger im Publikum die Seiten gewechselt und verlassen für den Schlusschor erneut den Saal, um dann zum Chor auf der Bühne zu treten. Giovanni Conti gelingt es am Pult der Niederrheinischen Sinfoniker nicht nur, diese Chormassen auf der Bühne und im Publikum wunderbar zusammenzuhalten, sondern taucht auch mit dem Orchester großartig in die Klangvielfalt von Mendelssohn Bartholdys Werk ein.
Rafael Bruck stattet die
Titelpartie mit kraftvollem Bariton aus und spielt den Fanatismus, der in dem
Propheten steckt, glaubhaft aus. Sofia Poulopoulou punktet als Witwe mit
strahlendem Sopran und zeigt darstellerisch, dass auch sie in der Lage ist, die
Massen im Sinne des Propheten zu beeinflussen. Woongyi Lee gestaltet Elias'
Freund Obadjah mit hellem Tenor. Bettina Schaeffer und Antonia Busse überzeugen
stimmlich ebenfalls mit warmem Mezzo und leuchtendem Sopran, auch wenn szenisch
nicht immer klar wird, wieso der gesungene Text den Heilsarmeeschwestern
zugeteilt wird. So gibt es lang anhaltenden und verdienten Jubel für alle
Beteiligten, in den sich zu Recht auch der Regisseur van Rensburg einreiht. FAZIT
Felix Mendelssohn Bartholdys Oratorium ist nicht nur musikalisch großartig,
sondern bietet auch viel Potenzial für eine szenische Umsetzung, die von van
Rensburg meisterhaft mit Religionskritik verknüpft wird.
Ihre Meinung
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ProduktionsteamMusikalische Leitung Regie, Bühne, Video und Kostüme
Chordirektor
Einstudierung Crescendo Chor Krefeld
Dramaturgie
Niederrheinische Sinfoniker Opernchor des Theaters Extrachor des Theaters Niederrheinischer Konzertchor Crescendo Chor Krefeld Statisterie des Theaters
Solistinnen und Solisten*Premierenbesetzung
Elias
Die Witwe
Obadjah
Heilsarmeeschwester 1
Heilsarmeeschwester 2
Königin Isebel
König Ahab
Diakon
Knabe
Doppelquartett
Terzett
"Heilig, heilig"
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