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Wenn der Pizzabote klingeltVon Joachim Lange / Fotos von Kirsten Nijhoff und Tom SchulzeFür die Fans von Howard Carpendale gibt es da keine Frage - die kennen eh alle seine Hits auswendig. Und sie werden wohl auch zu einem Konzert auf der groß angekündigten, diesmal wohl tatsächlich als solche ernstgemeinten Abschiedstournee des zwar kein bisschen grauhaarigen, aber doch schon 78jährigen Südafrikaners pilgern. Und das bekommen, was sie erwarten. Das Musical Hello! Again?, das Comedian Thomas Hermanns aus einem Best of von Carpendale Hits gebastelt hat und das jetzt in der Musikalischen Komödie in Leipzig seine (bejubelte, was sonst) Uraufführung hatte, kann dann übernehmen und touren. Vier von sechs Hauptpartien sind vorsichtshalber mit Gästen besetzt, um den Spielbetrieb in Leipzig nicht zu gefährden. Das Orchester bleibt natürlich auch daheim - unterwegs übernimmt eine Comboformation. Rolf und Hanna ziehen ins Haus der Liebe ein (Foto: Kirsten Nijhoff) )Für die Fans sind die kleinen gesungenen Geschichten von der Liebe und deren Gefährdungen wohl so was wie ein Lebenselixier. Warum auch nicht. Schlager sind gerade deshalb so langlebig und im kollektiven Langzeitgedächtnis, weil ihre Klischees alle irgendwann mal zu irgendeiner Situation im Leben ihrer Hörer passen. Zumindest wenn sie - wie bei Carpendale - kleine Geschichten oder Minidramolette erzählen. Und, wenn die Musik wie ein Maßanzug oder ein schickes Kostüm sitzt. Auch wie bei Howard Carpendale. Ob nun "Das schöne Mädchen von Seite 1" oder das titelgebende "Hallo Again", ob "Tür an Tür mit Alice", ob "Deine Spuren im Sand", "Ti amo" oder "Dann geh doch" - alle 16 Titel sind so wetterfest, dass sie mühelos gegen den Zahn der Zeit bestehen. Hanna und ihr italienischer Liebhaber (Foto: Tom Schulze) Natürlich profitieren sie in der Musicalformation von den Arrangements, die Marian Lux, Jonas Schoen-Philbert, Markus Syperek und Michael Nündel beigesteuert haben und davon, wie letzterer sein Orchester im Graben bei deren zündender Umsetzung leitet. Aber von selbst wird auch aus einer Premium Hit-Sammlung kein Musical. Dazu braucht es die findige Klammer einer einigermaßen triftigen Geschichte. So zwischen dem verliebten "Die will ich haben" in der frühen, dem "Ti amo" in der reiferen Jugend und dem abgeklärten "Geh doch". Man merkt durchaus, welche Mühe sich Thomas Hermanns damit gegeben hat, die zu basteln. Und nebenbei gleich noch ein bisserl mit dem Emanzipationsfähnchen zu winken. Was heisst hier ein bisserl. Es gibt einige der Geschichte untergejubelte, nicht heteronormative Beziehungsbeispiele. Dass die Vermieterin und den Geistern der Vergangenheit als Medium dienende Ottilie (Angela Mehling) in die Cello spielende Alice im Dachgeschoss verliebt war und sich am Ende ihre Lebens auf eine Beziehung mit einer eleganten lesbischen Schönheit aus den Zwanzigern des vorigen Jahrhunderts im Jenseits freut, ist das eine. Der quietschvergnügt als Erika lebende Erich in den 30ern desselben Jahrhunderts aber vielleicht doch ein Tick zu viel. Tür an Tür mit Alice (Foto: Tom Schulze)In Ottilies "Haus der Liebe" erleben wir - nach dem historischen Schnelldurchlauf der ersten Jahrhunderthälfte - die Szenen der Ehe von Hanna (Roberta Valentini) und Rolf (Christof Messner) über drei Jahrzehnte mit. Bis zu einem Beziehungsneustart in Gestalt von Tochter Lisa (Da-yung Cho) und ihrem Kostya (Ivo Kovrigar). Es ist eine Hamburger Vorstadt-Idylle, mit dominierendem west-deutschen Familien- bzw. Frauenbild. Es beginnt während und nach der moralischen Revolte der Hippies. Mit dem Pizzaboten Matteo. Thomas Hohler taucht ein Gegenentwurf zum klischeehaft braven (west-)deutschen Aufsteiger Rolf auf. Mit allen Italiener-Klischees: Hang zum Singen, angeborenes Sexappeal bis zum Familiengehorsam. Der wird erst heimlich, dann stillschweigend tolerierter Dritter im Beziehungsbunde. Dann geht er im Familienauftrag nach Italien, kommt nach Jahren wieder und klingelt mit einem "Hello Again" auf den Lippen ... Bei der Story ist - zumindest beim (gut) gesprochenen Anteil - schon eine Portion Zuschauertoleranz gefragt. Als die Tochter am Ende eine Entscheidung von ihrer Mutter verlangt (warum eigentlich?), also das monogame Leitbild wieder hergestellt sehen möchte, kann man schon froh sein, dass die sich mit einem "weder noch" aus der Affäre zieht und (erstmal) ihrer Wege geht. Wie das halt so ist mit den Wohlstandsproblemen in der noblen Hamburger Vorstadt. Eine Frau zwischen zwei Männern: links Rolf, rechts Matteo (Foto: Tom Schulze) Ein mit allem höchst zufriedener Howard Carpendale meinte nach der Premiere auf der Bühne, es gehe darum, in dieser "beschissenen Welt für zweieinhalb Stunden an die Liebe zu glauben." Das geht tatsächlich mit dem von Hans Kudlich gebauten (per Hand zu drehenden) Vorstadt-Haus und dem von Aleksandra Kica jeweils zeittypisch kostümierten Personal samt fabelhaftem Chor und diesen unverwüstlichen Titeln. Nicht mehr, aber eben auch nicht weniger.
Comedian Thomas Hermanns hat aus Howard-Carpendale-Hits ein Musical gebastelt, das für die Fans des Schlagestars wohl zu einer Pflichtveranstaltung avancieren könnte. Bei der Uraufführung in der Musikalischen Komödie wurden das neue Stüpck und Carpendale gefeiert. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Musikalische Gesamtkonzeption
Arrangements
Inszenierung
Co-Regie
Choreographie
Bühne
Kostüme
Chor
Dramaturgie
Komparserie
Hanna
Ottilie
Lisa
Rolf
Matteo
Kostya
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