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Tödliche Leidenschaft Von Thomas Molke / Fotos: © ORW Liège / J. Berger Jules Massenets Werther zählt neben Manon zu den größten internationalen Erfolgen des französischen Komponisten, der mit seinen rund 40 Opern und Operetten die Musik des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts in Frankreich maßgeblich geprägt hat. Dabei war der Weg bis zur Uraufführung des Werther ziemlich steinig. Veranlasst von dem großen Anklang, den Gounods Faust und Thomas' Mignon fanden, beschloss Massenet, sich ebenfalls mit einem Stoff von Goethe zu beschäftigen und den Werther für die Opéra comique zu vertonen. Doch der dortige Operndirektor Léon Carvalho lehnte das 1887 vollendete Werk als zu melancholisch ab. Als das Haus dann auch noch im gleichen Jahr abbrannte, wurden Massenets Hoffnungen, den Werther in Paris herauszubringen, zunächst zunichte gemacht. Erst als er ein paar Jahre später an der Wiener Hofoper mit Manon einen großen Erfolg erzielte, konnte er das Werk am 16. Februar 1892 dort zur Uraufführung bringen. Dafür wurde allerdings das ursprüngliche französische Libretto von Max Kalbeck ins Deutsche übertragen. Der Erfolg in Wien war so groß, dass das Stück ein Jahr später an der wieder aufgebauten Opéra comique doch noch herauskam und dort bis zum zweiten Weltkrieg mit insgesamt über 1000 Aufführungen zu den größten Erfolgen der Geschichte des Hauses zählte. Natürlich wurde hier die ursprüngliche französische Fassung gespielt, die sich auch im weiteren Verlauf auf den internationalen Bühnen durchsetzte. Werther (Arturo Chacón-Cruz) begehrt Charlotte (Clémentine Margaine). Der Unterschied zwischen Massenets Oper und Goethes Roman besteht vor allem in der Erzählstruktur. Während im Roman alle Figuren nur durch Werthers Augen gesehen werden und man folglich nie weiß, ob sie wirklich so sind, wie sie vom Erzähler beschrieben werden, entwickeln sie in der Oper eine eigene Persönlichkeit, da sie auch in Abwesenheit Werthers auf der Bühne agieren. Bei Massenet ist es nicht Charlottes aufrichtige Liebe zu Albert, die dazu führt, dass sie sich Werthers Werben und ihren innigen Gefühlen für ihn widersetzt, sondern ein Versprechen, das sie ihrer Mutter am Sterbebett gegeben hat. Von diesem Schwur ist bei Goethe nur am Rande die Rede. Anders als bei Goethe ist Albert auch kein farbloser Beamter, sondern erkennt in Werther durchaus einen Rivalen für seine Beziehung zu Charlotte. Wenn er folglich im dritten Akt Charlotte anweist, Werther für seine Reise die erbetenen Pistolen schicken zu lassen, handelt es sich nicht um naive Leichtgläubigkeit, sondern weist bei Albert Züge eines klassischen Opernbösewichts auf. Neu bei Massenet ist die Partie von Charlottes jüngerer Schwester Sophie, die bei Goethe gar nicht vorkommt und ein leicht naives und stets gut gelauntes Gegengewicht zu den anderen Figuren bildet. Eine Szene aus Goethes Roman, in der Werther und Charlotte ihre Seelenverwandtschaft über ein Gedicht Klopstocks erkennen, überträgt Massenet auf ein weiteres junges Pärchen, Brühlmann und Käthchen, von dem man ansonsten im zweiten Akt der Oper lediglich noch erfährt, dass Käthchen sich von Brühlmann getrennt hat. Ansonsten spielen die beiden keine Rolle für die Handlung. Charlottes (Clémentine Margaine, im Hintergrund) Ehemann Albert (Ivan Thirion, links) hofft, dass Sophie (Elena Galitskaya, vorne) eine passende Frau für Werther (Arturo Chacón-Cruz, rechts) ist. Das Regie-Team um Fabrice Murgia interessiert sich vor allem für die psychologischen Aspekte des Werkes, die in Massenets Musik sehr emotional umgesetzt werden und verzichtet auf eine Modernisierung, da der Inhalt auch ohne Übertragung in die Gegenwart eine gewisse Aktualität besitzt. Deshalb sind die Kostüme von Marie-Hélène Balau recht klassisch gehalten, driften aber wie das Bühnenbild von Rudy Sabounghi bei den Kostümen für die Kinder des Amtmanns teilweise ins Surreale ab. Wenn die Kinder im ersten Akt mit ihrem Vater ein neues Weihnachtslied einstudieren, tragen sie Zweige und Äste auf dem Kopf und erinnern ein wenig an die Bäume auf der Bühne. Wenn sie im letzten Akt nach Werthers Tod das einstudierte Lied vom Anfang wieder aufgreifen, tragen sie weiße Kostüme mit aufwendigem Kopfschmuck und wirken wie Engel, die der sterbende Werther zu hören glaubt. Auffallend ist, dass die Bäume auf der Bühne bereits im ersten Akt kahl sind und somit den Seelenzustand Werthers widerspiegeln, der in seiner Liebe zu Charlotte kein Glück finden kann. So stirbt er auch am Ende an einem entwurzelten Baum, der die Bühne im letzten Bild dominiert. Werther (Arturo Chacón-Cruz) denkt nur an Charlotte. Eine besondere Bedeutung kommt den Videoeinspielungen von Giacinto Caponio zu, die teilweise mit Live-Kamera während der Aufführung eingefangen werden und auf die Rückwand projiziert werden und die Figuren so in Großaufnahme näher an das Publikum heranbringen. So erfährt man zum Beispiel, dass Sophie ein wenig für Werther schwärmt, da sie im ersten Akt Werther im Spiel mit den Kindern liebevoll zu beobachten scheint, und auch die Gefühle zwischen Werther und Charlotte werden nicht nur hörbar sondern auch sichtbar. So sieht man die beiden in einer Videoprojektion auf dem Vorhang in innigem Tanz verbunden. Auch Charlottes große Verzweiflungsszene im dritten Akt und Werthers anschließendes Liebesbekenntnis werden durch die Projektionen noch intensiver erlebt. Unklar bleibt die Projektion beim Zwischenspiel zum vierten Akt, bei dem auf dem Vorhang Giampaolo Bisanti beim emotionalen Dirigat gezeigt wird und diese Bilder bisweilen von eingeblendeten Kindern in den weißen Kostümen mit surrealen Masken unterbrochen werden. Im Gegensatz zu den anderen Projektionen erschließt sich dieser Einfall nicht. Das kann allerdings den musikalischen Genuss der Vorstellung keineswegs schmälern. Schon bei den ersten Tönen des Vorspiels macht Bisanti mit dem Orchester der Opéra Royal de Wallonie-Liège deutlich, welche eruptive Sprengkraft in der Musik steckt. Man hat direkt von Anfang an das Gefühl, dass die finale Katastrophe bereits vorweggenommen wird. Unheilvoll zeichnet das Orchester ein Bild des bevorstehenden Selbstmordes. Einen großen musikalischen Kontrast bietet die Musik hingegen mit den humorvollen Tönen, zu denen vor allem die beiden kleineren Rollen, Schmidt und Johann, sowie die Kinder beitragen, die zunächst den Gesang absolut spielerisch und leicht präsentieren, am Ende bei Werthers Tod jedoch eine unheimliche Tiefe entwickeln. Werther (Arturo Chacón-Cruz) stirbt in den Armen von Charlotte (Clémentine Margaine). In der Titelpartie begeistert der mexikanische Tenor Arturo Chacón-Cruz, der mit strahlenden Höhen und leidenschaftlichem Timbre die Leiden des jungen Mannes gestaltet. Wenn er bei seinem ersten Auftritt in "O nature pleine" noch voller Hoffnung die Schönheit der ländlichen Idylle besingt, klingt er absolut lyrisch und leicht. Wie auf Wolken schwebt er mit Charlotte zum Fest und genießt dort den Abend, der für ihn den Höhepunkt der Glückseligkeit manifestiert. Voller Innbrunst gesteht er ihr anschließend bei der Rückkehr im Mondenschein seine Liebe, wird von ihr allerdings aus seinem Liebestaumel gerissen, wenn sie ihm gesteht, Albert heiraten zu müssen, der just in diesem Moment auch noch unvermittelt zurückgekehrt ist. Ein weiterer musikalischer Höhepunkt ist natürlich seine große Arie im dritten Akt, "Pourquoi me réveiller", in der er ein Gedicht Ossians zitiert und Charlotte erneut seine Liebe gesteht. Hier reißt Chacón-Cruz das Publikum mit leuchtenden Höhen und großer Leidenschaft derart mit, dass er die Arie gar nicht zu Ende singen kann, bevor schon ein tosender Applaus aufbraust. Die Sterbeszene im vierten Akt gestaltet er absolut bewegend. Clémentine Margaine verfügt als Charlotte über einen kraftvollen Mezzosopran, der für die Partie fast ein wenig zu schwer und reif wirkt. So nimmt man ihr den inneren Kampf, mit dem Charlotte bis zum dritten Akt gegen ihre Gefühle für Werther ankämpft, nicht wirklich ab, da man Margaine als Charlotte durchaus eine größere Rationalität zutraut. Im dritten Akt nimmt man ihr die innere Zerrissenheit aber dann auch stimmlich ab, so dass es zu einem großartigen Aufeinandertreffen zwischen Werther und Charlotte kommt. Auch in Werthers Sterbeszene findet sie zärtliche Töne, die eine gewisse Verletzlichkeit zeigen. Elena Galitskaya stattet die Partie von Charlottes jüngerer Schwester Sophie mit jugendlich frischem Sopran aus und schafft es, mit ihren Auftritten das Stück aus der jeweiligen Schwermut zu reißen, in die Werthers und Charlottes Musik führt. Ivan Thirion verleiht dem Albert einen dunklen, autoritären Bass, der Charlotte gegenüber am Anfang zu großen Gefühlsregungen fähig ist, im Verlauf der Oper jedoch immer misstrauischer wird. Erschütternd ist das Schlussbild, wenn Werther in Charlottes Armen liegt und im Hintergrund Albert in seiner Kammer wie eine Art Drahtzieher der Tragödie gezeigt wird. So gibt es für alle Beteiligten am Ende zu Recht frenetischen Applaus für eine Aufführung, die in jeder Beziehung unter die Haut geht. FAZIT Das Regie-Team um Fabrice Murgia vertraut ganz auf die emotionale Kraft der Musik und tut gut daran. Wer von diesem intensiven Opernabend nicht mitgerissen wird, muss schon sehr gefühlskalt sein.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung Bühnenbild Kostüme Licht Video Kinderchorleitung
Orchester und Kinderchor
der
Solistinnen und SolistenWerther Charlotte Sophie Albert Le Bailli Schmidt Johann Bruehlmann Kätchen Kinder Karl Hans Max Fritz Klara
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