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Das Sterben an der Liebe ist ein hochinteressanter pathologischer Fall
Von Stefan Schmöe / Fotos © J Berger / Opéra Royal de Wallonie-Liège Tristan stirbt. So steht's im Textbuch, kurz vor dem Ende der Oper. In der Inszenierung von Jean-Claude Berutti sieht man Tristan drei Akte lang beim Sterben zu. Die Geschichte wird erzählt wie eine Erinnerung - oder ein Wunschtraum, das bleibt offen - des Sterbenden. So erscheint die Schiffspassage im ersten Akt beinahe naturalistisch, auch wenn die Kulisse nur angedeutet wird. Das gelingt optisch allerdings beeindruckend durch ein großes herabhängendes Segel und Filmsequenzen des aufbrausenden Meeres (Bühne und Video: Rudy Sabounghi). Mit ähnlichen Mitteln, aber nicht ganz so wirkungsvoll gestaltet ist der zweite Akt mit Feuerschale vor ebenfalls per Video eingeblendetem Garten. Gebrochen wird der Realismus dadurch, dass Tristan verdoppelt wird. Neben dem Akteur der Handlung ist er auch als Beobachter, sich Erinnernder (oder sich Hineinträumender) präsent. Der dritte Akt spielt im Kranken- und Sterbezimmer, in dem sich Kurwenal und König Marke in Ärzte, Isolde und Brangäne in Krankenschwestern verwandeln. Die Bilder verblassen; die Ankunft von Isoldes Schiff sieht man nicht mehr. Tristan deutet das Geschehen nur noch pantomimisch vage an. Am Ende ist der Hintergrund tiefschwarz. ![]() Bereits zu den Klängen des Vorspiels sitzt Tristan im Rollstuhl und schaut auf das Meer. Weißer Anzug, weißer Hut - das Bild weckt Assoziationen an Dirk Bogarde als sterbender Künstler in Viscontis Verfilmung von Tod in Venedig. Damit ist das zweite wesentliche Moment der Inszenierung umrissen: Kostüme (Jeanny Kratochwil) und Requisiten versetzen das Werk in das späte 19. Jahrhundert. Tristan stellt offensichtlich einen spektakulären pathologischen Fall dar, jedenfalls umgibt ihn im dritten Akt eine ganze Armada von beobachtenden Ärzten. Indem das Bühnengeschehen immer wieder von oben gefilmt und auf die Rückwand projiziert wird, erhält das Geschehen etwas Surreales. Auch das trägt dazu bei, die Erzählebene zu brechen und eine Distanz zum Geschehen zu schaffen. Dabei gelingt es der Regie sehr überzeugend, die Stimmung einzufangen. Die Personenregie bleibt zurückhaltend, setzt aber entscheidende Akzente. Sie weiß, wo sie der Musik den Vorrang lassen muss. ![]() Auch im nächtlichen Garten erscheint Tristan gleich doppelt - als Liebhaber Isoldes und als der alte Tristan, der sich im Sterben an die Nacht der Liebe erinnert (oder sie sich erträumt). So ist die Inszenierung weit mehr als Bebilderung, geht aber nicht in Konkurrenz zur Komposition. Das eigentliche Ereignis dieser Produktion ist, was aus dem Orchestergraben ertönt. Dirigent Giampaolo Bisanti zeigt enormes Gespür für die großen Bögen und Entwicklungen. Er baut Steigerungen ganz sachte, aber mit langem Atem auf und erzeugt vom ersten Takt an einen Sog, dem man sich nicht entziehen kann. Das Orchester der Opéra Royal de Wallonie-Liège spielt keineswegs perfekt; manche Einsätze klappern, manche Phrasen sind uneinheitlich, der Klang könnte transparenter sein. Aber es vermittelt ganz ausgezeichnet die große Idee, die hinter dieser Musik steht, und spielt einen in jedem Moment mitreißenden Tristan. ![]() Gesungen wird die Titelpartie bravourös von Michael Weinius. Sein nicht zu heller, ohne Verschleißerscheinungen höhensicherer Tenor ist kein schwerer Heldentenor, dafür beweglich und geschmeidig, kraftvoll strahlend und nie angestrengt. Als Isolde gibt Lianna Haroutounian ihr Rollendebüt. Die Sängerin hat weltweit von der Traviata bis zur Desdemona, von der Manon Lescaut bis zur Butterfly die großen Frauenrollen bei Verdi und Puccini gesungen. Mit glutvollem, großformatigem Sopran gestaltet sie die Partie bis hin zum bewegenden "Liebestod" mit italienischem espressivo. Wie fast immer ein wenig problematisch bleibt das Duett im zweiten Akt, wo die für sich beeindruckenden, aber im Charakter unterschiedlichen Stimmen nicht recht verschmelzen. ![]() Dr. Kurwenal (rechts) und der doppelte Tristan. Mit kernigem und präsentem Bass verleiht Evgeny Stavinsky dem König Marke jugendliche Vitalität - kein klangsatter altersweiser Monarch, eher der Typ "Tristans bester Kumpel". Violeta Urmana singt mit ihrer großen Bühnenerfahrung eine absolut zuverlässige, klangvolle Brangäne. Mit leicht metallisch glänzendem, überaus durchsetzungsfähigem Heldenbariton (mit dem er das imposant donnernde Fortissimo maßvoller einsetzen dürfte) meldet Birger Radde als Kurwenal nachhaltige Ansprüche im Wagner-Fach an. Der Melot von Alexander Marev bleibt recht blass, Zwakele Tshabalala als junger Seemann und Hirt besitzt einen schönen lyrischen Tenor, der wohl besser bei Mozart oder im Belcanto aufgehoben ist als bei Wagner, wo er beim Forcieren an Farbe verliert.
Mit einer sensiblen, die Stimmung des Werkes treffenden Inszenierung und einer musikalisch ganz ausgezeichneten Interpretation gelingt der Lütticher Oper ein nachhaltig berührender Tristan. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Video
Kostüme
Licht
Choreinstudierung
Solisten* Besetzung der rezensierten Aufführung
Isolde
Brangäne
Tristan
Melot
Kurwenal
König Marke
Ein Hirte / ein junger Seemann
Ein Steuermann
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