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Die Frau im Spiegel
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Matthias Stutte Besonders groß war die Begeisterung anlässlich der Uraufführung von La traviata bekanntlich nicht. Ein zeitgenössisches Sujet, das schien 1853 dem Publikum suspekt. Man zog doch lieber historische Stoffe einem Sittenbild der Pariser Oberschicht vor. Dabei hatte Verdi ganz opernhaft die gesellschaftskritischen Aspekte von Alexandre Dumas' Roman Die Kameliendame in Richtung des individuellen Schicksals der Hauptfigur verschoben. Für heutige Inszenierungen stellt sich das umgekehrte Problem: Ohne den Zeitbezug wirkt der Konflikt um Sexualmoral und gesellschaftlichen Status reichlich konstruiert. In dieser Neuinszenierung fixiert Regisseur und Bühnenbildner Michiel Dijkema daher die Geschichte in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Freilich ohne großen Ausstattungsprunk; er beschränkt sich auf die notwendigsten Requisiten. Für das Zeitkolorit sorgen die historisierenden Kostüme (Tatjana Ivschina). Vorspiel: Violetta und der Blick in den geborstenen Spiegel
Dijkema konzentriert sich ganz auf seine Hauptfigur Violetta Valéry, die "traviata". Wenn der Vorhang sich öffnet, betrachtet sie sich in einem schräg gestellten, die ganze Bühne ausfüllenden Spiegel, der, das tragische Ende vorwegnehmend, gesprungen ist. Es wird um die Rollen gehen, die sie im Verlauf der Oper einnimmt: Die schillernde Kurtisane im ersten Akt; die zurückgezogen mit ihrem Liebhaber Alfredo lebende (und liebende) Frau zu Beginn des zweiten Akts; danach die auf eben diese Liebe Verzichtende. Am Ende steht die Hilflosigkeit gegenüber dem Tod durch die Schwindsucht. Der Blick in den übermächtigen Spiegel ist immer eine Selbstvergewisserung der Rolle, die sie gerade einnimmt - bezeichnend, das der Spiegel im letzten Akt fehlt. Neben ihr gibt die Regie nur Alfredo und dessen Vater Individualität, während alle anderen Figuren durch das vorherrschende Schwarz der Kostüme im gesellschaftlichen Tableau aufgehen. Und er zeigt eine Figur, die man sonst nicht auf der Bühne sieht: Alfredos Schwester. Die hat nach den Worten des Vaters keine Aussicht auf eine "gute Partie", solange der Bruder skandalös mit einer Größe der Pariser Halbwelt liiert ist. Mit dem Kunstgriff, dieses (mit der Situation hoffnungslos überforderte) Mädchen tatsächlich zu zeigen, macht Dijkema den moralischen Konflikt tatsächlich recht gut nachvollziehbar. Das Glück der einen ist an das Unglück der anderen gekoppelt. Pariser Leben: Violetta (in der Mitte) und Partygesellschaft
Sophie Witte singt eine sehr lyrische Violetta ohne divenhafte Attitüde. Die für die Partie vergleichsweise kleine, dafür warm leuchtende Stimme besticht insbesondere im Piano durch ein recht mädchenhaftes Timbre. Dirigent Mihkel Kütson und die sehr aufmerksamen und agilen Niederrheinischen Sinfoniker tragen sie mit stimmfreundlichen Lautstärken, und in den dramatischeren Passagen setzt sie ihre stimmlichen Möglichkeiten klug ein. Die szenische wie musikalische Interpretation bekommt im letzten Akt eine entscheidende Wendung: Violetta stirbt nicht in Alfredos Armen, sondern in Einsamkeit. Die Ankunft des Geliebten bleibt eine letzte Fiebervision vor dem Tod. In dieser introvertierten Szene gewinnt die Stimme an Intensität. Sophie Witte gelingt es aber auch, die Violetta in den Akten zuvor als selbstbestimmte junge Frau zu präsentieren, sogar im Entschluss, Alfredo um des Glücks seiner Schwester willen zu verlassen. So entwickelt sie ein beeindruckendes Rollenporträt. Kurzes Liebesglück: Violetta und Alfredo
Die Gesellschaft, in der sie sich bewegt, zeigt Dijkema als stark sexualisiert - mit manchen mächtig aufgepolsterten Busen. Da schimmern dann doch Parallelen zur Gegenwart durch, wie überhaupt der wohltuend klare "historische" Ansatz in seiner Reduktion keineswegs museal wirkt. Dazu trägt der spielfreudige und klangprächtige Chor entscheidend bei. Mit den üblichen Problemen: Man weiß ja schon vorher, an welchen Stellen Chor und Orchester in der traviata auseinanderlaufen, und genauso ist's dann auch an diesem Premierenabend. Dabei dirigiert Kütson unprätentiös und schnörkellos in klaren Tempi (manche Verzögerungen geraten allerdings ein wenig pathetisch). An der insgesamt sehr guten Ensembleleistung ändert das nichts. Das Ende: Violetta stirbt
Angesichts einer so selbstreflektiven Violetta bleibt der Alfredo szenisch relativ blass. Woongyi Lee singt ihn mit höhensicherem, metallisch strahlendem Tenor, dem es für den feurigen Liebhaber etwas an Schmelz fehlt. Johannes Schwärsky gibt einen polternd strengen Vater Germont von respekteinflößender Gestalt. Die scheppernde Ohrfeige, die er seinem Sohn verpasst, sollte man wohl noch einmal proben. Stellvertretend für das gute Ensemble sei die stimmlich sehr präsente Eva Maria Günschmann in der Rolle der Flora Bervoix genannt.
Gelungener Saisonauftakt in Mönchengladbach: Eine schön anzusehende, szenisch schlüssige und am Ende anrührende traviata auf gutem musikalischen Niveau. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung und Bühnenbild
Kostüme
Chor
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der Premiere
Violetta Valéry
Alfredo Germont
Giorgio Germont
Flora Bervoix
Annina
Gastone
Barone Douphol
Marchese d'Obigny
Dottore Grenvil
Giuseppe
Diener
Kommissionär
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