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Il Giasone

Dramma musicale in einem Prolog und drei Akten
Libretto von Giacinto Andrea Cicognini
Fassung für das Theater Münster von Clemens Flick
Musik von Francesco Cavalli

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3 h 35' (eine Pause)

Premiere im Großen Haus des Theaters Münster am 31. Mai 2025

 



Theater Münster
(Homepage)

Zwischen zwei Königinnen

Von Thomas Molke / Fotos: © Thilo Beu

Francesco Cavalli zählt heute mit seinem Lehrer Claudio Monteverdi und Antonio Cesti zu den Begründern der Venezianischen Oper. Obwohl sich ihre Werke zu Lebzeiten großer Beliebtheit erfreuten, haben es heute eigentlich nur die erhaltenen Opern von Monteverdi ins Repertoire der Opernhäuser geschafft. Von Cavalli steht gelegentlich außerhalb von Barock-Festivals noch La Calisto auf dem Programm. Dabei zählte sein 1649 am Teatro San Cassiano in Venedig uraufgeführtes Dramma musicale Il Giasone zu den meistgespielten Opern des 17. Jahrhunderts. Bis 1690 sind 22 Neuproduktionen bekannt, in denen das Stück in Bearbeitungen auf die Bühne kam. Clemens Flick hat nun für das Theater Münster im Rahmen der Tage der Barockmusik eine eigene Fassung erstellt, die trotz diverser Kürzungen immer noch auf eine Dauer von gut dreieinhalb Stunden inklusive einer Pause kommt und damit fast Dimensionen einer Wagner-Oper annimmt, so dass es vielleicht ratsam gewesen wäre, die Premiere nicht erst um 19.30 Uhr anzusetzen.

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Medea (Wioletta Hebrowska, unten) und Isifile (Robyn Allegra Parton, Mitte) kämpfen um Giasone (Benjamin Lyko).

Wer die Argonautensage um den Raub des Goldenen Vlies aus Kolchis durch Jason (Giasone) und Medea und die anschließende Rache Medeas für Jasons Untreue kennt, stellt sehr schnell fest, dass Cavallis Oper mit den Epen von Appolonios von Rhodos und Valerius Flaccus bzw. der Tragödie von Euripides und den dazu vertonten Opern nur wenig gemein hat. Zwar kommt auch in der Argonautica Isifile (Hypsipyle) als Königin von Lemnos vor, mit der Giasone eine leidenschaftliche Affäre auf seinem Weg nach Kolchis hat. Eine zentrale Rolle hat diese Figur im Epos aber nicht, während sie in Giacinto Andrea Cicogninis Libretto zu Cavallis Oper zur zentralen Gegenspielerin Medeas avanciert, die nach dem Raub des Goldenen Vlies und der Flucht aus Kolchis am gleichen Strand gelandet ist wie die Argonauten und um Giasones Liebe kämpft. Giasone, der mittlerweile Medea liebt, will sie ins Meer werfen lassen und erteilt seinem Diener Besso einen leicht missverständlichen Auftrag, so dass dieser Medea den Fluten überlässt, die jedoch von Egeo (Aigeus), dem König von Athen, der Medea leidenschaftlich liebt, gerettet wird. Daraufhin will Medea Giasone aus Rache töten lassen, was wiederum von Isifile verhindert wird, so dass schließlich Medea Egeos Liebeswerben erhört und Giasone mit Isifile vereint wird. Umrahmt wird diese Handlung von zahlreichen komischen, teilweise auch etwas derben Szenen der Dienerinnen und Diener.

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Giasone (Benjamin Lyko) im Kampf gegen das Ungeheuer

Das Regie-Team um Michiel Dijkema nimmt den hohen Unterhaltungswert, den das Werk für das damalige Publikum haben sollte, äußerst ernst und baut den freien Umgang mit dem mythologischen Stoff noch aus. So ist der Hüter des Goldenen Vlies kein Drache sondern eine riesige Spinne, die von mehreren Statistinnen und Statisten bzw. Bühnentechnikerinnen und Bühnentechnikern eindrucksvoll über die Bühne bewegt wird und mit ihren riesigen Spinnenbeinen sogar über den Orchestergraben fast bis in die erste Reihe des Publikums reicht. Die Kostüme von Mariangela Mazzeo sind ein Mix aus Barock- und Neuzeit und spielen mit verschiedenen Zeitebenen. So tritt beispielsweise Ercole (Hercules) mit dem berühmten Fell des Nemäischen Löwen in einer Rüstung mit Maschinengewehr auf. Auch die Götter, die im Prolog und in der Mitte des Stückes auftreten, werden ironisch gebrochen. Währen Sole in einem goldenen Kostüm mit strahlendem Kranz auf dem Kopf sein Podest, auf das er sich später stellt, wie einen Rollkoffer hinter sich herzieht, landet Amore als eine Art Harlekin mit einem Fallschirm aus dem Schnürboden. Der Göttervater Giove erinnert optisch ein wenig an Albert Einstein, wenn er mit seinem riesigen Blitz und zahlreichen Stromkabeln vor der Pause die Argo auf Lemnos stranden lässt.

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Giove (Kihoon Yoo, links) und Amore (Dora Pavlíková, rechts) entfachen einen heftigen Sturm.

Der Prolog und die drei Akte sind in insgesamt 22 Bilder eingeteilt, die eine rasante Abfolge der einzelnen Szenen erfordern. Dijkema, der auch für das Bühnenbild verantwortlich zeichnet, deutet da mit relativ wenigen Requisiten, die dennoch sehr zielführend eingesetzt sind, schnelle Ortswechsel an, die musikalisch durch Ritornelle, die teilweise aus anderen Cavalli-Opern oder auch von anderen Barockkomponisten stammen, bei dunkel gehaltener Bühne untermalt werden. Dass das Publikum hier am Ende einzelner Bilder begeisterten Szenenapplaus spendet, mag als ein bisschen störend empfunden werden, da dadurch der musikalische Fluss der Oper unterbrochen wird. Aber es zeigt, dass die Inszenierung mit ihren Bildern das Publikum erreicht. Die Sprache, die bereits im Libretto an einigen Stellen sehr direkt und derb sein mag, wird in den Übertiteln noch auf die Spitze getrieben und in der Personenregie ebenso umgesetzt. So wird deutlich gemacht, dass Jason ein absolut testosteron-gesteuerter Mann ist, der über sein Liebesleben seinen eigentlichen Auftrag, den Raub des Goldenen Vlies, beinahe vergisst. Auch die Liebestollheit von Medeas Amme Delfa und Isifiles Vertrauter Alinda, die sich teilweise als Mann verkleidet und am Ende als Hermaphrodit ausgibt, ist mit zahlreichen sexuellen Anspielungen gespickt. Einen kleinen Seitenhieb auf das moderne Regietheater gibt es dann auch noch, wenn Amore einen Mülleimer mit der Aufschrift "Regietheater-Müll" auf die Bühne fährt und die Soldaten darin ihre Maschinengewehre versenken, was vom Publikum mit heftigem Zwischenapplaus goutiert wird. Das alles wird in einer ausgeklügelten Personenregie mit einem absolut spielfreudigen Ensemble humorvoll und kurzweilig umgesetzt, so dass an dem Abend trotz der Dauer keine Längen entstehen.

Musikalisch zaubert das Sinfonieorchester Münster, das um einige Spezialistinnen und Spezialisten der Alten Musik an der Theorbe und Barockgitarre ergänzt worden ist, unter der Leitung von Clemens Flick einen betörenden Barock-Klang aus dem Graben, der trotz Einbindung weiterer Komponisten aus einem Guss ist. Dabei kommen die lyrischen und tragischen Momente musikalisch genauso zur Geltung wie die derbe Komik, die das Orchester mit Motiven untermalt, die wie beispielsweise das berühmte "Pink-Panther-Theme" nicht nur aus der Barockmusik stammen. Die Dramatik in der Sturmszene und in der Kampfszene gegen die Riesenspinne wird genauso hervorragend umgesetzt wie die Einbindung des Opernchors als Höllen- und Windgeister. Wenn Giove die Windgötter auffordert, einen Sturm zu entfachen, in dem die Argo nach Lemnos getrieben werden soll, ist der von Anton Tremmel einstudierte Chor im Saal an den Eingängen verteilt und begeistert durch einen kraftvollen, homogenen Klang, der den aufziehenden Sturm gewissermaßen aus dem Publikum auf die Bühne ziehen lässt. Auch als Hofdamen Medeas und als Soldaten auf der Argo überzeugen die Chordamen und Chorherren durch große Spielfreude.

Das Gleiche gilt für die Solistinnen und Solisten des Abends. Die musikalisch schönsten Passagen werden den beiden Königinnen Medea und Isifile zuteil. Robyn Allegra Parton begeistert als Isifile mit strahlendem Sopran und leuchtenden Höhen. Wenn sie im ersten Akt sehnsüchtig auf die Rückkehr Giasones wartet, geht ihr Klagegesang in seiner Intensität unter die Haut. In ihrem Kampf mit Medea um den geliebten Mann zeigt ihr Sopran eine gewisse Schärfe, die ihrer Wut auf den treulosen Mann und die Nebenbuhlerin entspricht. Wenn sie sich am Ende von Giasone töten lassen will, weil sie glaubt, sein Herz nicht mehr gewinnen zu können, punktet sie erneut mit großen lyrischen Bögen. Wioletta Hebrowska legt die Partie der Medea wesentlich kämpferischer an. Ein musikalischer Höhepunkt ist ihre große Szene am Ende des ersten Aktes, wenn sie die Geister der Unterwelt um einen goldenen Ring bittet, der Giasone helfen soll, das Ungeheuer, das das Goldene Vlies bewacht, zu besiegen. Diese Szene wird auch in der Regie großartig umgesetzt. Im Zusammenspiel mit ihrem verflossenen Liebhaber Egeo hat sie musikalisch fast komische Momente, wenn sie sein Ansinnen, ihn zu töten, recht barsch zurückweist. Die Leidenschaft, die sie für Giasone empfindet, ist wesentlich fordernder komponiert als bei Isifile.

Benjamin Lyko stattet die Partie des Giasone mit einem Countertenor aus, der besonders in seiner Auftrittsarie im ersten Akt die Höhen szenisch nahe an einem Höhepunkt ausmalt. In der Mittellage wirkt seine Stimme bisweilen ein wenig angestrengt. Optisch glänzt er mit zahlreichen Goldapplikationen beinahe wie das Goldene Vlies selbst und macht mit gestähltem Oberkörper deutlich, wieso die Frauen ihm reihenweise erliegen. Da können ihm Oscar Marin-Reyes als Oreste und Youn-Seong Shim als Egeo bei den Damen nicht das Wasser reichen. Shim stattet die Partie des Königs, der nicht nur mythologisch zur falschen Zeit am falschen Ort ist, mit lyrischem Tenor aus und macht die Leidenschaft, die er für Medea empfindet stimmlich und darstellerisch deutlich, wobei seine ständige Todessehnsucht alles andere als anziehend auf Medea wirkt, auch wenn sie ihn am Ende erhört. Marin-Reyes verleiht dem Oreste kraftvolle Tiefen, der aber ebenfalls keine Chance gegen den strahlenden Giasone bei Isifile hat. Großes Komik-Potenzial entfachen Dora Pavlíková, Ludwig Obst und Kihoon Yoo jeweils in der Doppelrolle als Gott bzw. Dienerschaft und natürlich Fritz Spengler als lüsterne Amme Delfa. Gregor Dalal rundet das Ensemble als Ercole mit profundem Bass ab. So gibt es für alle Beteiligten großen Jubel und stehende Ovationen.

FAZIT

Cavallis Il Giasone verdient es, häufiger auf dem Spielplan zu stehen, vor allem, wenn das Werk so kurzweilig und humorvoll inszeniert wird wie in Münster.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Clemens Flick

Regie und Bühne
Michiel Dijkema

Kostüme
Mariangela Mazzeo

Choreinstudierung
Anton Tremmel

Dramaturgie
Ana Edroso Stroebe

 

Sinfonieorchester Münster

Opernchor des Theaters Münster

Statisterie

 

Solistinnen und Solisten

Sole, Sonnengott
Ludwig Obst

Amore, Gott der Liebe
Dora Pavlíková

Giove, Göttervater
Kihoon Yoo

Giasone, Anführer der Argonauten
Benjamin Lyko

Ercole, einer der Argonauten
Gregor Dalal

Besso, Hauptmann der Wache
Kihoon Yoo

Isifile, Königin von Lemnos
Robyn Allegra Parton

Oreste, ihr Vertrauter
Oscar Marin-Reyes

Alinda, ihre Vertraute
Dora Pavlíková

Medea, Königin von Kolchis
Wioletta Hebrowska

Delfa, ihre Vertraute und Amme
Fritz Spengler

Egeo, König von Athen und Geliebter von Medea
Youn-Seong Shim

Demo, sein Diener
Ludwig Obst

 


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Theater Münster
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