Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musiktheater
Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum



La Bohème

Oper in vier Bildern
Libretto von Luigi Illica und Giuseppe Giacosa nach Szenen aus Henri Murgers Vie de Bohème
Musik von Giacomo Puccini


in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 20' (eine Pause)

Premiere im Großen Haus des Theaters Münster am 14. Dezember 2024
(rezensierte Aufführung: 11. Januar 2024)


Logo: Theater Münster

Theater Münster
(Homepage)
Vom unsentimentalen Ende aller Kaufhausblütenträume

Von Stefan Schmöe / Fotos © Bettina Stöß

Für einen Abgesang auf Giacomo Puccini scheint es zu früh. Jedenfalls ist die hier besprochene Vorstellung bis auf den letzten Platz ausverkauft und das Publikum begeistert. Auf der Bühne allerdings erlebt man den Untergang der Marke Puccini in Gestalt des Kaufhauses "Giacomo", dessen Abteilungen nach den Opern eben Giacomo Puccinis benannt sind. (Es ist ziemlich amüsant, was da jeweils verkauft wird - Maultiere etwa in der Abteilung des florentinischen Erbschleichers Gianni Schicchi, Waffen bei der im Wild-West-Saloon beheimateten Fanciulla del West, und auf der obersten Etage Tosca finden Freunde des tiefschwarzen Humors neben der Bar "Scarpia" auch noch eine "platforme suicidaire" zum Sprung in die Tiefe.) Aber ungeachtet der ungebrochenen Popularität dieser Opern ist das Kaufhaus "Giacomo" längst geschlossen, und im letzten Bild sind die Abrissbagger angerückt.

Vergrößerung in neuem Fenster Schreibblockade: Schriftsteller Rodolfo fehlt die Inspiration

Die Bohèmiens Rodolfo, Marcello, Colline und Schaunard haben sich zwischen den stillgelegten Rolltreppen häuslich eingerichtet - doch hoffentlich in der dritten Etage "La Bohème" (Damenunterwäsche, Schmuck, Blumen)! Von irgendwo kommt die lungenkranke Mimì vorbei, wird aber weniger Rodolfos große Liebe als doch eher seine Muse, durch deren Anwesenheit er seine Schreibblockade überwindet. Das zweite Bild (Weihnachten im Café Momus) darf man wohl prompt als Produkt seiner wiedererwachten Phantasie deuten - der triste und verfallende Zweckbau verwandelt sich in eine Art Varietè-Theater, wo die plötzlich auftauchende Musette als Chansonnière ihr Walzerlied ins Mikrophon haucht (nein, Robyn Allegra Parton haucht nicht, sondern singt mit schöner, eher "gerader" und nicht allzu verführerischer Stimme durchaus klangvoll, aber "hauchen" würde zur Szene auch passen). Im dritten Akt trifft man sich am Imbisswagen inmitten des Großstadtverkehrs, und im letzten Bild natürlich wieder im Kaufhaus, jetzt mit bereits aufgerissener Wand.

Zweiter Akt: Eine aufgebrachte Festgesellschaft mit Kleidung der 1950er oder 1960er-Jahre bedroht mit erhobenen Stühlen den Königssohn, der am Boden liegt.

Marcello und Musetta im Café Momus

Würde man das Bühnenbild (Stefan Heinrichs) und die Kostüme (Constanze Schuster) ein wenig historisieren und aus dem Rolltreppenhaus ein Mansardenzimmer machen (die große Fensterfront ist sowieso schon vorhanden), so wäre die Inszenierung von Effi Méndez durch und durch konventionell - was bei La Bohème nicht das Schlechteste wäre. Die Geschichte wird im Sinne des Komponisten detaillverliebt erzählt. Wobei die Regie zwar permanent so tut, als sei sie um Exaktheit bemüht, aber tatsächlich oft arg ungenau ist. Jedenfalls würde man im leider sehr aktuellen Zeitalter der Kaufhausschließungen eher Smartphone mit Taschenlampenfunktion und Laptop als Kerze und Schreibmaschine erwarten, und das größte Problem der verarmten Künstler scheint der perfekte Sitz der Frisur zu sein. Die Modernisierungsversuche der Regie wirken ziemlich aufgesetzt - und bringen keinen erkennbaren Mehrwert. Sicher ist der Verzicht auf wohlfeile Konsumkritik und die Sehnsucht nach der Glitzerwelt der großen Warenhäuser ganz drollig. Eine wirklich schlüssige Interpretation der Oper erwächst daraus nicht. Wenn der Kinderchor dann noch im Takt über die Bühne hüpft und Chor und Extrachor am Ende des zweiten Bildes auf der Stelle marschieren, weil Puccini den Musette-Walzer ziemlich genial durch einen Marsch der Wache ablöst, dann wirkt die ansonsten einigermaßen solide Inszenierung hölzern und angestrengt. Immerhin kann man recht leicht über sie hinwegsehen.

Dritter Akt: Königssohn und Gänsemagd kniene in einer Winterlandschaft zwischen einem Autowrack und einem kaputten Kühlschrank eng umschlungen am Boden. Rodolfo und Mimì hier nicht an der Zollschranke, sondern am Imbisswagen.

Den Rodolfo gibt Garrie Davislim mit einem in der Mittellage ein wenig mattem, in der Höhe metallisch strahlendem, nicht allzu elegantem Tenor und schlägt sich musikalisch wacker. Aber selbst wenn man in Westfalen nicht die feurigsten Liebhaber erwartet, verwundert doch der beamtenmäßige Stoizismus, mit dem er sich Mimì nähert. Aber er ist ja, wie schon erwähnt, weniger erotisch an ihr interessiert denn an ihrer Wirkung als Inspirationsquelle. Dabei singt Marlena Devoe mit interessant-geheimnisvollem, ganz zart eingedunkelten Timbre und einem beeindruckend tragfähigen Pianissimo zum Verlieben schön. Johan Hyungbong Choi (Marcello), Gregor Dalal (Schaunard im Pan Tau-Look) und Kihoon Yoo (Colline) sind zupackend singende, stimmkräftige Freunde.

Vergrößerung in neuem Fenster

Während der Abrissbagger seine Arbeit tut, stirbt Mimì in Anwesenheit von Schaunard, Marcello und Musette

Wenn Chor und Kinderchor zuverlässig agieren, aber ein wenig holzschnittartig klingen, mag das auch an der musikalischen Konzeption von Dirigent Golo Berg liegen. Große Klangentfaltung ist seine Sache in dieser Oper wohl nicht, und so handelt er die Chorpassagen fast schroff ab. Da ist kein Platz für Sentimentalitäten oder Überwältigungseffekte. Er dirigiert eine filigrane, kammermusikalisch fein austarierte Bohème. So viele (leise) Töne der Harfe hat man selten gehört, und überhaupt entdeckt man so manches Detail, über das sonst hinwegmusiziert wird. Das Sinfonieorchester Münster spielt delikat. Der Preis für diesen eher sachlichen Interpretationsansatz ist freilich, dass es oft an Dramatik fehlt. Immer wieder wirken die Tempi allzu gesetzt und zu statisch - die Musik müsste mehr aus der Situation (was bei Puccini meint: aus der Gesangslinie) heraus beschleunigen. Die Gefühle bleiben kontrolliert. Wobei die ortsansässigen Besucher ohnehin aufatmen dürfen: Beide Kaufhof-Filialen in Münster haben, anders als das Warenhaus Giacomo, die aktuelle Schließungswelle überstanden.


FAZIT

Die ganz großen Gefühle bedienen die etwas angestrengt modernisierende Regie und das feinsinnig vom Orchestersatz gedachte Dirigat nicht, aber eine ganz passable Bohème ist trotzdem herausgekommen.


Ihre Meinung
Schreiben Sie uns einen Leserbrief
(Veröffentlichung vorbehalten)

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Golo Berg

Regie
Effi Méndez

Bühne
Stefan Heinrichs

Kostüme
Constanze Schuster

Licht
Jörg Schwarzer

Video
Martin Zwiehoff

Chor
Anton Tremmel

Kinderchor
Margarete Sandhäger
Rita Stork-Herbst

Dramaturgie
Ana Edroso Stroebe


Statisterie
des Theaters Münster

Opernchor und Extrachor
des Theaters Münster

Theaterkinderchor
Gymnasium Paulinum

Sinfonieorchester Münster


Solisten

* Besetzung der rezensierten Aufführung

Rodolfo
Garrie Davislim

Mimì
Marlena Devoe

Marcello
Johan Hyunbong Choi

Musetta
* Robyn Allegra Parton /
Yeaseul Angela Park

Schaunard
* Gregor Dalal /
Ramon Karolan

Colline
Kihoon Yoo

Alcindoro
Oscar Marin-Reyes

Bênoit
Sven Bakin

Parpignol
Benjamin Park

Sergeant der Zollwache
Kiyotaka Mizuno

Ein Zöllner
Hyung Hee Kevin Park



Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Theater Münster
(Homepage)



Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Zur Musiktheater-Startseite E-mail Impressum

© 2025 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de

- Fine -