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Vom unsentimentalen Ende aller Kaufhausblütenträume
Von Stefan Schmöe / Fotos © Bettina Stöß Für einen Abgesang auf Giacomo Puccini scheint es zu früh. Jedenfalls ist die hier besprochene Vorstellung bis auf den letzten Platz ausverkauft und das Publikum begeistert. Auf der Bühne allerdings erlebt man den Untergang der Marke Puccini in Gestalt des Kaufhauses "Giacomo", dessen Abteilungen nach den Opern eben Giacomo Puccinis benannt sind. (Es ist ziemlich amüsant, was da jeweils verkauft wird - Maultiere etwa in der Abteilung des florentinischen Erbschleichers Gianni Schicchi, Waffen bei der im Wild-West-Saloon beheimateten Fanciulla del West, und auf der obersten Etage Tosca finden Freunde des tiefschwarzen Humors neben der Bar "Scarpia" auch noch eine "platforme suicidaire" zum Sprung in die Tiefe.) Aber ungeachtet der ungebrochenen Popularität dieser Opern ist das Kaufhaus "Giacomo" längst geschlossen, und im letzten Bild sind die Abrissbagger angerückt. ![]()
Die Bohèmiens Rodolfo, Marcello, Colline und Schaunard haben sich zwischen den stillgelegten Rolltreppen häuslich eingerichtet - doch hoffentlich in der dritten Etage "La Bohème" (Damenunterwäsche, Schmuck, Blumen)! Von irgendwo kommt die lungenkranke Mimì vorbei, wird aber weniger Rodolfos große Liebe als doch eher seine Muse, durch deren Anwesenheit er seine Schreibblockade überwindet. Das zweite Bild (Weihnachten im Café Momus) darf man wohl prompt als Produkt seiner wiedererwachten Phantasie deuten - der triste und verfallende Zweckbau verwandelt sich in eine Art Varietè-Theater, wo die plötzlich auftauchende Musette als Chansonnière ihr Walzerlied ins Mikrophon haucht (nein, Robyn Allegra Parton haucht nicht, sondern singt mit schöner, eher "gerader" und nicht allzu verführerischer Stimme durchaus klangvoll, aber "hauchen" würde zur Szene auch passen). Im dritten Akt trifft man sich am Imbisswagen inmitten des Großstadtverkehrs, und im letzten Bild natürlich wieder im Kaufhaus, jetzt mit bereits aufgerissener Wand. ![]() Marcello und Musetta im Café Momus
Würde man das Bühnenbild (Stefan Heinrichs) und die Kostüme (Constanze Schuster) ein wenig historisieren und aus dem Rolltreppenhaus ein Mansardenzimmer machen (die große Fensterfront ist sowieso schon vorhanden), so wäre die Inszenierung von Effi Méndez durch und durch konventionell - was bei La Bohème nicht das Schlechteste wäre. Die Geschichte wird im Sinne des Komponisten detaillverliebt erzählt. Wobei die Regie zwar permanent so tut, als sei sie um Exaktheit bemüht, aber tatsächlich oft arg ungenau ist. Jedenfalls würde man im leider sehr aktuellen Zeitalter der Kaufhausschließungen eher Smartphone mit Taschenlampenfunktion und Laptop als Kerze und Schreibmaschine erwarten, und das größte Problem der verarmten Künstler scheint der perfekte Sitz der Frisur zu sein. Die Modernisierungsversuche der Regie wirken ziemlich aufgesetzt - und bringen keinen erkennbaren Mehrwert. Sicher ist der Verzicht auf wohlfeile Konsumkritik und die Sehnsucht nach der Glitzerwelt der großen Warenhäuser ganz drollig. Eine wirklich schlüssige Interpretation der Oper erwächst daraus nicht. Wenn der Kinderchor dann noch im Takt über die Bühne hüpft und Chor und Extrachor am Ende des zweiten Bildes auf der Stelle marschieren, weil Puccini den Musette-Walzer ziemlich genial durch einen Marsch der Wache ablöst, dann wirkt die ansonsten einigermaßen solide Inszenierung hölzern und angestrengt. Immerhin kann man recht leicht über sie hinwegsehen. ![]()
Den Rodolfo gibt Garrie Davislim mit einem in der Mittellage ein wenig mattem, in der Höhe metallisch strahlendem, nicht allzu elegantem Tenor und schlägt sich musikalisch wacker. Aber selbst wenn man in Westfalen nicht die feurigsten Liebhaber erwartet, verwundert doch der beamtenmäßige Stoizismus, mit dem er sich Mimì nähert. Aber er ist ja, wie schon erwähnt, weniger erotisch an ihr interessiert denn an ihrer Wirkung als Inspirationsquelle. Dabei singt Marlena Devoe mit interessant-geheimnisvollem, ganz zart eingedunkelten Timbre und einem beeindruckend tragfähigen Pianissimo zum Verlieben schön. Johan Hyungbong Choi (Marcello), Gregor Dalal (Schaunard im Pan Tau-Look) und Kihoon Yoo (Colline) sind zupackend singende, stimmkräftige Freunde. ![]() Während der Abrissbagger seine Arbeit tut, stirbt Mimì in Anwesenheit von Schaunard, Marcello und Musette
Wenn Chor und Kinderchor zuverlässig agieren, aber ein wenig holzschnittartig klingen, mag das auch an der musikalischen Konzeption von Dirigent Golo Berg liegen. Große Klangentfaltung ist seine Sache in dieser Oper wohl nicht, und so handelt er die Chorpassagen fast schroff ab. Da ist kein Platz für Sentimentalitäten oder Überwältigungseffekte. Er dirigiert eine filigrane, kammermusikalisch fein austarierte Bohème. So viele (leise) Töne der Harfe hat man selten gehört, und überhaupt entdeckt man so manches Detail, über das sonst hinwegmusiziert wird. Das Sinfonieorchester Münster spielt delikat. Der Preis für diesen eher sachlichen Interpretationsansatz ist freilich, dass es oft an Dramatik fehlt. Immer wieder wirken die Tempi allzu gesetzt und zu statisch - die Musik müsste mehr aus der Situation (was bei Puccini meint: aus der Gesangslinie) heraus beschleunigen. Die Gefühle bleiben kontrolliert. Wobei die ortsansässigen Besucher ohnehin aufatmen dürfen: Beide Kaufhof-Filialen in Münster haben, anders als das Warenhaus Giacomo, die aktuelle Schließungswelle überstanden.
Die ganz großen Gefühle bedienen die etwas angestrengt modernisierende Regie und das feinsinnig vom Orchestersatz gedachte Dirigat nicht, aber eine ganz passable Bohème ist trotzdem herausgekommen.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Regie
Bühne
Kostüme
Licht
Video
Chor
Kinderchor
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der rezensierten Aufführung
Rodolfo
Mimì
Marcello
Musetta
Schaunard
Colline
Alcindoro
Bênoit
Parpignol
Sergeant der Zollwache
Ein Zöllner
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- Fine -