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Die Liebe in den Zeiten von social media
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Vincent Pontet
Das Wien, das Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss im Rosenkavalier beschreiben, hat es nie gegeben. Und auch die Handlung, das erfahren wir am Ende des Stücks aus dem Mund der Marschallin, ist "eine wienerische Maskerad' und weiter nichts". Alles nur Theater also? So sieht es jedenfalls Regisseur Krzyzstof Warlikowski in dieser Neuproduktion des Théâtre des Champs-Elysées. Jedenfalls beinahe, aber dazu später. Im Bühnenbild greift Ausstatterin Małgorzata Szczęśniak die Architektur des Theaters auf, lässt ab und zu Schminktische oder ein paar Sitzreihen hereinfahren oder einen quietschgrünen Plastikvorhang aufziehen. Einen schmalen Zuschauerrang im Bühnenhintergrund gibt es auch, von dem die Marschallin der Überreichung der silbernen Rose bequem zuschauen kann. Viel Theater auf dem Theater also, und für die Regie hat dieses Konzept den Vorteil, nicht alles so genau inszenieren zu müssen - was "echt" ist und was nur Spiel im Spiel, das wird ohnehin schnell unklar. ![]()
Aber auch innerhalb der Hofmannsthal'schen und Strauss'schen Kunstwelt inszenieren sich die Menschen. Warlikowski übersetzt das in eine Scheinwelt unserer Tage - und das ist die Sphäre von social media. Die Marschallin ist offenbar eine erfolgreiche Influencerin, die den Auftritt des Tenors im ersten Aufzug als erotikgeschwängerten Music-clip mit ihr selbst als sich auf dem Sofa räkelnde Adressatin des Liebeslieds filmen lässt. Der Haushofmeister mutiert zum Regisseur (nicht immer einverstanden mit den Allüren der Diva), und das Intrigantenpaar Annina und Valzacchi zeichnen mit Smartphone und Mikrophon alles, was ihnen berichtenswert erscheint, sofort digital auf. Den wehmütigen Monolog der Marschallin im ersten Aufzug gibt's sicher live in den entsprechenden Kanälen, denn da sitzt sie vor der Kamera anstatt vor dem Spiegel und sinniert medientauglich über das Altern. Véronique Gens gibt der Figur eine schöne, warm leuchtende Stimme, und wenn die Textausdeutung ein wenig pauschal bleibt, wird das ihre Follower in der kurzatmigen digitalen Welt vermutlich weniger stören als altmodische Rosenkavalier-Liebhaber, die den genauen Wortlaut schätzen. ![]() Überreichung der silbernen Rose: Sophie (links) und Octavian Aber Zeiten ändern sich und die genannten altmodischen Hofmannsthal-Strauss-Verehrer müssen miterleben, wie sie altern und eine ungemütliche neue Zeit aufzieht. "Und man ist dazu da, dass man's ertragt", um ein weiteres Rosenkavalier-Zitat einzuflechten. In diesem Sinn kann man mit sehr viel gutem Willen in diesen Ansatz hineininterpretieren, dass die (in der Inszenierung nicht direkt anklingende) Sehnsucht nach der guten alten analogen Zeit sich ja in der Handlung der Oper widerspiegelt. Dort geht es schließlich um die Zeitenwende zwischen der Epoche des alten Adels mit der Marschallin als Repräsentantin und dem immer dominanter auftretenden neureichen Bürgertum, vertreten durch den Heereslieferanten Faninal und dessen Tochter Sophie. Insofern verleitet Warlikowskis Ansatz zu ein paar interessanten Gedankenspielen. Der Preis ist freilich eine Banalisierung des Rosenkavaliers, die den an sich doch anrührenden Text zur Phrasendrescherei auf Poesiealbum-Niveau herabwürdigt. (Und die Personenkonstellation passt natürlich auch nicht, denn da ist die Marschallin eine Vertreterin der "alten" Zeit.) Heutig-zeitgeistig geht Warlikowski auch den Gender-Aspekt der Oper an: Der Octavian, jugendlicher Liebhaber der Marschallin, wird bekanntlich von einer Frau gesungen, die also einen Mann spielt, der sich im Stück zwischenzeitlich als Mädchen verkleidet. Viel Theater auch hier - oder doch unklare Identifikation mit dem eigenen Geschlecht? Zum Vorspiel der Oper, das bekanntlich recht deutlich einen Liebesakt beschreibt, sieht man eine Videosequenz, bei der zwei Frauen im Bett liegen, offensichtlich ein Liebespaar. Kamil Polak hat das sehr behutsam und weitab jeder Pornographie gefilmt. Auf der Bühne sieht dann das Paar Octavian - Marschallin doch etwas anders aus (aber an solche Irritationen gewöhnt man sich schnell). Welches Geschlecht Octavian tatsächlich hat, lässt die Regie lange offen. Erst ganz am Ende erscheint Octavian ziemlich eindeutig weiblich, und genau so will es Sophie, gerade der Verlobung mit dem ältlichen Baron Ochs entkommen, auch haben. In der Filmsequenz zu Beginn haben wir, das ist die späte Pointe der Inszenierung, offenbar Sophie und Octavian gesehen. Da verlässt Warlikowski den Rahmen des Theaters auf dem Theater und gibt dem Werk doch noch ein utopisches Ende zurück: Ein Liebesglück ohne den Zwang zur Verstellung und Verkleidung. ![]()
Niamh O'Sullivan singt einen intensiven, manchmal allzu vibratoreichen Octavian mit eingedunkeltem Timbre, das schön den helleren Klang der Marschallin kontrastiert. Regula Mühlemann verkörpert eine zunächst backfischhafte, später entschieden selbstbewusste Sophie mit einem mitunter etwas flackernden, aber höhensicheren Sopran. Peter Rose spielt einen ziemlich bürgerlichen Baron Ochs im nüchternen Anzug, der seine geplante Ehe mit der jungen Sophie vor allem als lukratives Geldgeschäft ansieht - die erotischen Eskapaden bleiben Nebensache. Rose überzeugt mit einer überlegenen Textausdeutung, der man die lange Erfahrung mit der Partie anmerkt. Die immer kultiviert und klangschön geführte Stimme kommt aber nicht über ein gepflegtes Mezzoforte hinaus. Der von Octavian inszenierte "Spuk" im dritten Aufzug besteht vor allem daraus, ihn mit erotisch gekleideten Gestalten zu konfrontieren, deren Geschlecht im ersten Moment nicht klar ist. Auch das unterstreicht noch einmal, wie angestrengt die Regie um ihr Thema "Uneindeutigkeit der Geschlechterrollen" kreist. Wobei man allerdings schon weit weniger elegante Lösungen dieser unsäglich albern konzipierten Szene gesehen hat. ![]() Schlussterzett: Octavian (links), Sophie und die Marschallin Am Pult des sehr aufmerksamen, einen weichen Klang zeichnenden Orchestre National de France dirigiert Henrik Nánási einen durch und durch walzerseligen Rosenkavalier. Er denkt die Musik von der orchestralen Linie und weniger von der Textausgestaltung her - was in Paris, wo jenseits der Richard-Strauss-Gemeinde selbst ein polyglottes Publikum mit der Hofmannsthal'schen Kunstsprache Probleme haben dürfte (die französischen und englischen Übertitel geben ohnehin kaum etwas davon wieder), nicht der schlechteste Ansatz ist. Man hört einen delikaten, wenn auch geglätteten Strauss, bei dem sich auch die Konversationsszenen über eleganten Orchestermelodien entwickeln. Bei so viel Schönheit bietet das großartige Schlussterzett, das Nánási in flüssigem Tempo angeht und souverän steigert, allerdings nicht mehr den ganz großen Höhepunkt, dazu fehlen die Kontraste. Aber Gefühle sind wohl auch nicht mehr ganz so groß angesichts der Liebe in Zeiten von Amazon prime, um einen Songtitel der Rockband Das Lumpenpack zu zitieren. Die Marschallin sehen wir indes in einer letzten Videosequenz in ihre bürgerliche Wohnung heimkommen, wo der ältliche Gemahl schon wartet. Bonjour tristesse. So genau will man das eigentlich auch nicht wissen.
Das Théâtre des Champs-Elysées produziert einen schön musizierten Rosenkavalier, den Krzyzstof Warlikowski mit einigen nachdenkenswerten Ideen, aber letztendlich doch ziemlich banal entzaubert. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Kostüme
Choreografie
Licht
Video
Dramaturgie
Solisten
Die Feldmarschallin Fürstin Werdenberg
Der Baron Ochs auf Lerchenau
Octavian
Herr von Faninal
Sophie
Jungfer Marianne Leitmetzerin
Valzacchi
Annina
Ein Polizeikommissar
Der Haushofmeister bei der Feldmarschallin
Der Haushofmeister bei Faninal
Ein Sänger
Ein Notar
Ein Wirt
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