Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musiktheater
Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum



Der Rosenkavalier

Komödie für Musik in drei Aufzügen
Text von Hugo von Hofmannsthal
Musik von Richard Strauss

In deutscher Sprache mit französischen und englischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 4h 10' (zwei Pausen)

Premiere im Théâtre des Champs-Elysées am 21. Mai 2025
(Rezensierte Aufführung: 24. Mai 2025)


Homepage
Théâtre des Champs-Elysées
(Homepage)
Die Liebe in den Zeiten von social media

Von Stefan Schmöe / Fotos von Vincent Pontet


Das Wien, das Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss im Rosenkavalier beschreiben, hat es nie gegeben. Und auch die Handlung, das erfahren wir am Ende des Stücks aus dem Mund der Marschallin, ist "eine wienerische Maskerad' und weiter nichts". Alles nur Theater also? So sieht es jedenfalls Regisseur Krzyzstof Warlikowski in dieser Neuproduktion des Théâtre des Champs-Elysées. Jedenfalls beinahe, aber dazu später. Im Bühnenbild greift Ausstatterin Małgorzata Szczęśniak die Architektur des Theaters auf, lässt ab und zu Schminktische oder ein paar Sitzreihen hereinfahren oder einen quietschgrünen Plastikvorhang aufziehen. Einen schmalen Zuschauerrang im Bühnenhintergrund gibt es auch, von dem die Marschallin der Überreichung der silbernen Rose bequem zuschauen kann. Viel Theater auf dem Theater also, und für die Regie hat dieses Konzept den Vorteil, nicht alles so genau inszenieren zu müssen - was "echt" ist und was nur Spiel im Spiel, das wird ohnehin schnell unklar.


Vergrößerung Beim Frühstück: Octavian (links) und die Marschallin

Aber auch innerhalb der Hofmannsthal'schen und Strauss'schen Kunstwelt inszenieren sich die Menschen. Warlikowski übersetzt das in eine Scheinwelt unserer Tage - und das ist die Sphäre von social media. Die Marschallin ist offenbar eine erfolgreiche Influencerin, die den Auftritt des Tenors im ersten Aufzug als erotikgeschwängerten Music-clip mit ihr selbst als sich auf dem Sofa räkelnde Adressatin des Liebeslieds filmen lässt. Der Haushofmeister mutiert zum Regisseur (nicht immer einverstanden mit den Allüren der Diva), und das Intrigantenpaar Annina und Valzacchi zeichnen mit Smartphone und Mikrophon alles, was ihnen berichtenswert erscheint, sofort digital auf. Den wehmütigen Monolog der Marschallin im ersten Aufzug gibt's sicher live in den entsprechenden Kanälen, denn da sitzt sie vor der Kamera anstatt vor dem Spiegel und sinniert medientauglich über das Altern. Véronique Gens gibt der Figur eine schöne, warm leuchtende Stimme, und wenn die Textausdeutung ein wenig pauschal bleibt, wird das ihre Follower in der kurzatmigen digitalen Welt vermutlich weniger stören als altmodische Rosenkavalier-Liebhaber, die den genauen Wortlaut schätzen.


Vergrößerung

Überreichung der silbernen Rose: Sophie (links) und Octavian

Aber Zeiten ändern sich und die genannten altmodischen Hofmannsthal-Strauss-Verehrer müssen miterleben, wie sie altern und eine ungemütliche neue Zeit aufzieht. "Und man ist dazu da, dass man's ertragt", um ein weiteres Rosenkavalier-Zitat einzuflechten. In diesem Sinn kann man mit sehr viel gutem Willen in diesen Ansatz hineininterpretieren, dass die (in der Inszenierung nicht direkt anklingende) Sehnsucht nach der guten alten analogen Zeit sich ja in der Handlung der Oper widerspiegelt. Dort geht es schließlich um die Zeitenwende zwischen der Epoche des alten Adels mit der Marschallin als Repräsentantin und dem immer dominanter auftretenden neureichen Bürgertum, vertreten durch den Heereslieferanten Faninal und dessen Tochter Sophie. Insofern verleitet Warlikowskis Ansatz zu ein paar interessanten Gedankenspielen. Der Preis ist freilich eine Banalisierung des Rosenkavaliers, die den an sich doch anrührenden Text zur Phrasendrescherei auf Poesiealbum-Niveau herabwürdigt. (Und die Personenkonstellation passt natürlich auch nicht, denn da ist die Marschallin eine Vertreterin der "alten" Zeit.)

Heutig-zeitgeistig geht Warlikowski auch den Gender-Aspekt der Oper an: Der Octavian, jugendlicher Liebhaber der Marschallin, wird bekanntlich von einer Frau gesungen, die also einen Mann spielt, der sich im Stück zwischenzeitlich als Mädchen verkleidet. Viel Theater auch hier - oder doch unklare Identifikation mit dem eigenen Geschlecht? Zum Vorspiel der Oper, das bekanntlich recht deutlich einen Liebesakt beschreibt, sieht man eine Videosequenz, bei der zwei Frauen im Bett liegen, offensichtlich ein Liebespaar. Kamil Polak hat das sehr behutsam und weitab jeder Pornographie gefilmt. Auf der Bühne sieht dann das Paar Octavian - Marschallin doch etwas anders aus (aber an solche Irritationen gewöhnt man sich schnell). Welches Geschlecht Octavian tatsächlich hat, lässt die Regie lange offen. Erst ganz am Ende erscheint Octavian ziemlich eindeutig weiblich, und genau so will es Sophie, gerade der Verlobung mit dem ältlichen Baron Ochs entkommen, auch haben. In der Filmsequenz zu Beginn haben wir, das ist die späte Pointe der Inszenierung, offenbar Sophie und Octavian gesehen. Da verlässt Warlikowski den Rahmen des Theaters auf dem Theater und gibt dem Werk doch noch ein utopisches Ende zurück: Ein Liebesglück ohne den Zwang zur Verstellung und Verkleidung.


Vergrößerung Krisenhafte Zuspitzung: Octavian (links) und Baron Ochs, leicht verletzt, um den sich sein Sohn Leopold und die Leitmetzerin kümmern

Niamh O'Sullivan singt einen intensiven, manchmal allzu vibratoreichen Octavian mit eingedunkeltem Timbre, das schön den helleren Klang der Marschallin kontrastiert. Regula Mühlemann verkörpert eine zunächst backfischhafte, später entschieden selbstbewusste Sophie mit einem mitunter etwas flackernden, aber höhensicheren Sopran. Peter Rose spielt einen ziemlich bürgerlichen Baron Ochs im nüchternen Anzug, der seine geplante Ehe mit der jungen Sophie vor allem als lukratives Geldgeschäft ansieht - die erotischen Eskapaden bleiben Nebensache. Rose überzeugt mit einer überlegenen Textausdeutung, der man die lange Erfahrung mit der Partie anmerkt. Die immer kultiviert und klangschön geführte Stimme kommt aber nicht über ein gepflegtes Mezzoforte hinaus. Der von Octavian inszenierte "Spuk" im dritten Aufzug besteht vor allem daraus, ihn mit erotisch gekleideten Gestalten zu konfrontieren, deren Geschlecht im ersten Moment nicht klar ist. Auch das unterstreicht noch einmal, wie angestrengt die Regie um ihr Thema "Uneindeutigkeit der Geschlechterrollen" kreist. Wobei man allerdings schon weit weniger elegante Lösungen dieser unsäglich albern konzipierten Szene gesehen hat.


Vergrößerung

Schlussterzett: Octavian (links), Sophie und die Marschallin

Am Pult des sehr aufmerksamen, einen weichen Klang zeichnenden Orchestre National de France dirigiert Henrik Nánási einen durch und durch walzerseligen Rosenkavalier. Er denkt die Musik von der orchestralen Linie und weniger von der Textausgestaltung her - was in Paris, wo jenseits der Richard-Strauss-Gemeinde selbst ein polyglottes Publikum mit der Hofmannsthal'schen Kunstsprache Probleme haben dürfte (die französischen und englischen Übertitel geben ohnehin kaum etwas davon wieder), nicht der schlechteste Ansatz ist. Man hört einen delikaten, wenn auch geglätteten Strauss, bei dem sich auch die Konversationsszenen über eleganten Orchestermelodien entwickeln. Bei so viel Schönheit bietet das großartige Schlussterzett, das Nánási in flüssigem Tempo angeht und souverän steigert, allerdings nicht mehr den ganz großen Höhepunkt, dazu fehlen die Kontraste. Aber Gefühle sind wohl auch nicht mehr ganz so groß angesichts der Liebe in Zeiten von Amazon prime, um einen Songtitel der Rockband Das Lumpenpack zu zitieren. Die Marschallin sehen wir indes in einer letzten Videosequenz in ihre bürgerliche Wohnung heimkommen, wo der ältliche Gemahl schon wartet. Bonjour tristesse. So genau will man das eigentlich auch nicht wissen.


FAZIT

Das Théâtre des Champs-Elysées produziert einen schön musizierten Rosenkavalier, den Krzyzstof Warlikowski mit einigen nachdenkenswerten Ideen, aber letztendlich doch ziemlich banal entzaubert.


Ihre Meinung
Schreiben Sie uns einen Leserbrief
(Veröffentlichung vorbehalten)

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Henrik Nánási

Inszenierung
Krzyzstof Warlikowski

Bühne und Kostüme
Małgorzata Szczęśniak

Choreografie
Claude Bardouil

Licht
Felice Ross

Video
Kamil Polak

Dramaturgie
Christian Longchamp



Chœur Unikanti, Maîtrise des Hauts-de-Seine

Orchestre National de France


Solisten

Die Feldmarschallin Fürstin Werdenberg
Véronique Gens

Der Baron Ochs auf Lerchenau
Peter Rose

Octavian
Niamh O'Sullivan

Herr von Faninal
Jean-Sébastien Bou

Sophie
Regula Mühlemann

Jungfer Marianne Leitmetzerin
Laurène Paternò

Valzacchi
Krešimir Špicer

Annina
Eléonore Pancrazi

Ein Polizeikommissar
Francesco Demuro

Der Haushofmeister bei der Feldmarschallin
François Piolino

Der Haushofmeister bei Faninal
François Piolino

Ein Sänger
Francesco Demuro

Ein Notar
Florent Karrer

Ein Wirt
Yoann Le Lan





Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Théâtre des Champs-Elysées
(Homepage)



Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum
© 2025 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de

- Fine -