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Zum Überleben verurteiltVon Stefan Schmöe / Fotos von Kerstin Schomburg
Ein Unwetter sondergleichen bricht über die Menschen, ach was, über die Menschheit herein. Donner vom Band wäre gar nicht nötig, denn das Philharmonische Orchester Ulm unter der Leitung von GMD Felix Bender lässt es ordentlich krachen. Er entwickelt einen Furor sondergleichen. Einsätze brechen schneidend scharf herein, und es wird ordentlich laut, aber nicht lärmend. An anderen Stellen spielt das Orchester delikat leise wie im Liebesduett am Ende des ersten Aktes (für das sich Bender ein wenig mehr Zeit und Ruhe nehmen dürfte), und es kann im satten tiefen Bläserklang des letzten Akts feierlich den Tod heraufbeschwören. Man bekommt einen ungemein farbreichen, differenziert ausgearbeiteten Otello zu hören, dramatisch zugespitzt, aber auch mit hintergründiger Ironie. Glücklich vereint: Desdemona und Otello im ersten Akt
Aber zurück zum Anfang. In der Ausstattung von Tanja Hoffmann erleben die Menschen in abgenutzter heutiger Kleidung den Beinahe-Weltuntergang in einer Art Mausoleum. Der runde Bau mit eingewölbter Decke wird zum geschickt genutzten Einheitsbühnenbild für alle vier Akte. Otello betritt die Szene als eine Lichtgestalt - der ersehnte Retter. Tenor Rodrigo Porras Garulo verfügt über das elegante Timbre eines Kavalierbaritons, schraubt sich dabei mühelos in höchste Höhen, ohne an Geschmeidigkeit einzubüßen. Die Stimme ist nicht riesig, aber durchsetzungsfähig. Dabei kommt es dem Sänger weniger auf den vokalen Effekt als auf die psychologische Glaubwürdigkeit an. Mit seiner blendenden Erscheinung (er würde auch einen überzeugenden Don Giovanni abgeben) ist er vordergründig der Strahlemann, der sich aber schon im Duett mit Desdemona als ziemlich unsicher hinter der glänzenden Fassade zeigt, angewiesen auf ihre Liebesbekundungen. Für Jago wird er ein leichtes Opfer sein. Gleich wird Jago seiner Gattin Emilia (beide rechts im Bild) das Taschentuch wegnehmen, das Otello (oben) später als Beweis für Desdemonas angebliche Untreue ansehen wird
Den gibt Dae-Hee Shin als kühlen Intellektuellen mit Beuys-Hut und Brecht-Brille. Sein agiler, nuancenreicher Bariton ohne Schwärze, aber mit einer beeindruckenden Bandbreite an Ausdrucksmöglichkeiten, besitzt starke Präsenz. In seinem nihilistischen "Credo" kann er ordentlich aufdrehen, aber es ist nicht die Kraft, die der Figur Gefährlichkeit verleiht, sondern die hintergründige Gestaltung mit vielen Zwischentönen. Zwischen diesen beiden Giganten, die in der ausgefeilten Regie von Christian Poewe beständig umeinander kreisen und sich ein ungleiches Duell liefern - der naive Superheld Otello gegen den gewieften Underdog Jago -, hat es der leichtgewichtige, etwas ungenau geführte Tenor von Markus Francke als Cassio schwer, sich zu behaupten. Allein der kraftvolle, auch im Piano klangschöne und sehr homogen singende Chor (Einstudierung: Nikolaus Henseler) kann da stimmlich gegenhalten. Vertauschte Rollen: Jogo obenauf, Otello unten
Und Mayna Zubko als Desdemona könnte es, aber die ist erst einmal nicht von dieser rauen Welt. Eine junge Frau, die wie ein Engel alle freundlich begrüßt, die man einfach gernhaben muss. In einem kleinen Gewächshaus züchtet sie Äpfel, die sie natürlich großzügig verteilt. "Dies sind Geschöpfe, die für andere geschaffen wurden, unbewusst ihres eigenen Ichs", hat Verdi über den Charakter der Desdemona geschrieben (die Passage aus einem Brief an Verleger Giulio Ricordi wird im Programmheft zitiert), und Poewe zeigt dies mit einem Hauch von zärtlicher Ironie. Ein bisschen wehrhaft darf sie dann doch sein. Mit leuchtendem, lyrischem Sopran bleibt Zubko dennoch in ihrer eigenen Welt bis zum emotional gestalteten, die breit strömende Melodie sehr schön über die zwischenzeitlichen Ausbrüche tragenden "Lied von der Weide" und dem unpathetisch entrückten "Ave Maria" im bewegenden Schlussakt. I-Chiao Shih lässt in der kleinen Partie der Dienerin Emilia den angestauten Zorn und die Ohnmacht angesichts der Intrige ihres Gatten Jago sichtbar wie hörbar werden. Man erlebt ein großes Musikdrama. Das Ende: Otello wird Desdemona umbringen
Die kluge, meist kühl analytische Regie ist nah bei den Figuren und drängt die politische Rahmenhandlung um die Position Otellos im Staatsgebilde der Republik Venedig weitgehend zurück. Hier sieht man eine Gruppe von Menschen an einem Außenposten der Zivilisation, vermutlich von einer globalen Katastrophe bedroht. Otellos Absturz vom vermeintlichen Retter zum Mörder aus niederen Motiven bestätigt zynisch Jagos im schon erwähnten "Credo" formulierten Nihilismus. Auf das Gute ist kein Verlass, es ist Blendwerk. Und das, so die düstere Botschaft der Inszenierung, müssen wir aushalten. In böser Konsequenz darf sich auch Otello nicht umbringen. Er wird mit seinem Scheitern auf allen moralischen Ebenen weiterleben müssen.
Eine musikalisch wie szenisch ungemein beeindruckende Aufführung - unbedingt anschauen! Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Ausstattung
Licht
Chor
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der rezensierten Aufführung
Otello
Jago
Cassio
Rodrigo
Lodovico
Montano
Desdemona
Emilia
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