![]() ![]() |
Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
![]() ![]() ![]() ![]() |
|
Der Teufel ist auch nur ein Mensch
Von Stefan Schmöe / Fotos von Matthias Jung
Dem alten Dr. Faust ist das Leben öde geworden. Seine Bücher langweilen ihn, andere Vergnügungen scheinen unerreichbar. Der Griff zum lebensbeendenden Gift ist nah, da erscheint der Teufel Méphistophélès persönlich mit allerlei Versprechungen. Noch einmal jung sein, ein hübsches Mädchen für sich gewinnen - das ist das Angebot für Faust; im Jenseits müsse er dann dem Teufel zu Diensten sein. Großartiger Deal! denkt Faust (wobei: Dieser sehr bürgerlich brave Faust findet das bestenfalls "ganz annehmbar".) Weil das Theaterpublikum aber längst nicht mehr an zaubermächtige Teufel glaubt, erschafft Méphistophélès ein Reich der Illusionen, also den Film. Und statt eines Verjüngungstrankes bringt er eine veritable Zeitmaschine herbei, mit der man in eine nicht näher bestimmte Vergangenheit, in der Faust im besten Mannesalter ist, zurückreist. So befinden wir uns in der Ära des Stummfilms, dem Medium, in dem plötzlich alles möglich scheint und alles eben doch nur Schein ist. Monochromes Schwarzweiß mit wenigen Farbtupfern bestimmt konsequent die Bühnenästhetik dieser Aufführung (Inszenierung und Bühne: Matthew Ferraro, Kostüme: Devi Saha). ![]() Méphistophélès (rechts) macht dem alten Doktor Faust allerlei Versprechungen, darunter die von der Wiederkehr der Jugend
Dem deutschen Theaterpublikum war lange suspekt, was Charles Gounod 1859 mit ihrem Goethe angestellt hat. Mit dem Textbuch der versierten Librettisten Jules Barbier und Michel Carré bricht diese Faust-Vertonung das erhabene Drama auf eine ein wenig triviale Liebesgeschichte zwischen Faust und Marguerite, wie Goethes Gretchen hier heißt, herunter. Was die Welt im Innersten zusammenhält, das interessiert dagegen nicht. Weil Faust letztendlich ein von Méphistophélès fehlgeleiteter Einfaltspinsel ist, verschieben sich die Akzente hin zur weiblichen Hauptfigur - ein Grund, warum die Oper in Deutschland lange unter dem Titel Margarethe aufgeführt worden ist. Gounod verbürgerlicht die Geschichte bis zur ziemlich katholischen Apotheose Marguerites mit pompösen Orgelklängen. Genau da setzt der amerikanische Regisseur Matthew Ferraro an. Bei ihm hat Méphistophélès wenig bis gar nichts Teuflisches - im gediegenen blauen Anzug darf man sich den Teufel als Filmproduzenten vorstellen. Allein das zu einem langen, fast bis zum Boden reichenden Zopf gebundene Haar schafft ein Moment der Irritation. An Stelle des erkrankten Erik Rousi singt in der hier besprochenen Aufführung wie auch schon in der Premiere Almas Svilpa vom benachbarten Essener Aalto-Theater diese zwielichtige Figur und legt sie mit fundiertem Bass als souveränen Geschäftsmann mit gelegentlich dämonischen Untertönen an. Der Teufel ist eben auch nur ein Mensch. ![]() Marguerite liest Goethe (den "König von Thule")
Faust also möchte als junger Mann noch einmal so richtig einen draufmachen, wie andere vielleicht sagen würden. Da wären die käuflichen Damen vom Pariser Montmartre wohl die bessere Wahl gewesen, zumal die in der in manchen Szenen wie eine Revue angelegten Inszenierung nicht weit weg scheinen. Dann wäre ihm die ungewollte Vaterschaft sicher erspart geblieben. So einer ist dieser Faust, auch in jungen Jahren ein Mann mit Anzug und perfekt sitzender Krawatte, aber nicht. Sein Interesse gilt der braven Marguerite - einem stillen Mädchen, das pikanterweise Goethe liest (den "König von Thule", den sie aus einem Gedichtbändchen vorsingt). Was sie allerdings an dem reichlich unbeholfenen jungen Mann findet, bleibt ziemlich rätselhaft. Darsteller Sangmin Jeon verfügt über eine trompetenhaft strahlende, höhensichere Tenorstimme, und der Sänger bemüht sich nach Kräften um die für die französische Oper typische Geschmeidigkeit (hat aber Probleme, wenn er von der Bruststimme über die voix miste in die Kopfstimme wechseln möchte, da sprechen die Spitzentöne oft spät und etwas dünn an). Den Widerspruch zwischen dem überaus biederen Auftreten und der unmoralischen, in der ungewollten Schwangerschaft endenden Verführung löst die Regie nicht auf, will das vielleicht auch bewusst als Bruchstelle stehen lassen. Vergnügen ohne Verantwortung bleibt eine heikle Angelegenheit. ![]() Vorsichtige Annäherung: Der junge Faust und Marguerite
Für Marguerite wäre der junge Siébel, den Gounod von einem Sopran singen lässt (mit fast schon zu großer, vor lauter Liebe schier überströmender Stimme: Edith Grossman), die bessere Partie. Die Regie versucht gar nicht erst, die Sängerin als Mann zu verkleiden - und Marguerite kommt wohl gar nicht in den Sinn, dass eine junge Frau in sie verliebt sein könnte. Ihr Bruder Valentin (für den erkrankten Zachary Wilson von Wolfgang Stefan Schwaiger mit ziemlich forsch polterndem Bariton gesungen) fordert Faust zum Duell, was für ihn aufgrund des wenig regelkonformen Verhaltens seines Gegners tödlich endet, und im Sterben hat er nichts besseres zu tun, als seine Schwester zu verfluchen. Ferraro inszeniert diesen Moralkodex aus dem vorvorigen Jahrhundert nahezu kabarettistisch, wenn sich die Soldaten (in ziemlich gegenwärtigen Ziviluniformen) mit bös' makabrem Humor gegenseitig erschießen. Überhaupt ist die Lust an der Ironie und Überzeichnung ein Merkmal der sehr unterhaltsamen Regie, deren bewusst theatralischen Effekte über manche Ungenauigkeiten im Detail hinwegtrösten. Chor und Extrachor der Wuppertaler Bühnen (Einstudierung: Ulrich Zippelius) tragen mit stimmlicher Präsenz wie mit großer Spielfreude ganz entscheidend dazu bei. Unter der Leitung von Kapellmeister Johannes Witt begleitet das aufmerksame Sinfonieorchester Wuppertal stimmfreundlich und mit schlankem Ton, der für diese Musik noch ein wenig französisch-duftiger sein dürfte. ![]() Das Ende der Illusionen: Marguerite, nach dem Mord an ihrem Kind zum Tode verurteilt, akzeptiert die Strafe, anstatt mit Faust zu flüchten
Allzu leicht hat Faust seine Seele für leere Illusionen verkauft, Luftschlösser ohne Substanz. Das ist die eine, beinahe komische Seite. Die andere ist freilich tragisch. Für Marguerite (die aus Verzweiflung ihr Kind tötet) wird das kurze Liebesabenteuer zur Katastrophe. Als Gegengewicht zu all' dem Spektakel nimmt die Regie diese Figur ernst, und Margaux de Valensart singt sie mit breit strömender Emphase, fast eine Spur zu expressiv vielleicht. Im Finale dann findet sie zu einer berührenden Innerlichkeit. Mag die Musik auch opulent (manche sagen: kitschig) um sie herum aufrauschen und trotz bevorstehender Hinrichtung von Erlösung tönen, im Kern geht es darum, dass hier jemand bereit ist, die Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen. Margaux de Valensart kann das stimmlich eindrucksvoll beglaubigen und gibt der Aufführung damit den ernsten Kern, der alles zusammenhält.
Sehens- und hörenswert: Matthew Ferraro balanciert Gounods melodienseligen Faust mit Witz und Ironie und einer tollen Hauptdarstellerin gekonnt zwischen Revue und Tragödie aus. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung und Bühne
Kostüme
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der rezensierten Aufführung
Doktor Faust
Méphistophélès
Valentin
Wagner
Marguerite
Siébel
Marthe
|
© 2025 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de