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Kontakthof

Ein Stück von Pina Bausch
Musik von Juan Llossas, Anton Karas, Jimmy Dorsay, Harry Stone, Jack Stapp, Jean Sibelius und Bertal-Maubon-Daniderff

Aufführungsdauer: ca. 3 h 5' (eine Pause)

Wiederaufnahme im Opernhaus Wuppertal am 23. November 2024
(Uraufführung am 9. Dezember 1978)
(rezensierte Aufführung: 24.11.2024)



Tanztheater Wuppertal
(Homepage)

Der ewige Kampf zwischen Mann und Frau

Von Thomas Molke / Fotos: © Laszlo Szito und Oliver Look

Pina Bauschs 1978 für das Tanztheater in Wuppertal kreierte Stück Kontakthof nimmt einen besonderen Stellenwert im Schaffen der 2009 verstorbenen Choreographin ein. Während ihre vorherigen Werke in der Regel noch auf klassische Musik zurückgriffen und nur durch ein neues Bewegungsvokabular das damalige Publikum irritierten und spalteten, begann sie, in Kontakthof durch die nahtlose Aneinanderreihung unterschiedlicher Szenen einen Stil zu entwickeln, der zum Strukturmerkmal ihrer weiteren Arbeit werden sollte. Dass sie sich diesem Werk ganz besonders verbunden fühlte, zeigt, dass sie zunächst im Jahr 2000 dieses Stück mit Damen und Herren ab 65 Jahren auf die Bühne brachte, was wohl ihren ursprünglichen Wunsch vorwegnahm, die Inszenierung mit den Tänzerinnen und Tänzern der Uraufführung zu einem Zeitpunkt noch einmal aufzugreifen, wenn diese im Rentenalter seien. 2008, knapp ein Jahr vor ihrem Tod, bewies sie dann mit der Fassung für Jugendliche ab 14 Jahren, dass die Aussage des Stückes auch mit Teenagern funktioniert. Anlässlich des 50-jährigen Jubiläums des Tanztheaters Wuppertal hat man nun tatsächlich ehemalige Tänzerinnen und Tänzer der Uraufführung zusammengebracht, um ab 26. November 2024 unter dem Titel Kontakthof Echoes of '78 eine Begegnung mit der damaligen Inszenierung auf die Bühne zu bringen. Am Wochenende zuvor wird das komplette Stück aber noch einmal mit dem aktuellen Ensemble in einer Wiederaufnahme präsentiert.

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Julie Shanahan (links) und Maria Giovanna Delle Donne (rechts) (© Oliver Look)

Betrachtet man die Altersstruktur der Tänzerinnen und Tänzer lässt sich der Abend als Zusammenführung mehrerer Generationen betrachten. Im Zentrum steht dabei unter anderem immer noch Julie Shanahan, die schon seit den 1980er Jahren Mitglied der Compagnie ist. Zu dem Schlager "Frühling und Sonnenschein" von Juan Llossas schreitet sie zunächst in einem roten Kleid zur Bühnenmitte, um sich wie eine Ware anzubieten, indem sie sich vorwärts, rückwärts und seitwärts aufstellt, ihre Zähne und die Innen- und Außenfläche ihrer Hände präsentiert. Dabei hat sie nichts von ihrer überbordenden Bühnenpräsenz verloren. So überzeugt sie auch als schüchternes "junges Mädchen" mit Schleife im Haar, die mit einer weiteren Tänzerin in kindlichen Bewegungen über die Bühne tänzelt. Ihre Partnerin ist nicht mehr wie vor ein paar Jahren Nazareth Panadero sondern Maria Giovanna Delle Donne, die sich dann schreiend von Andrey Berezin mit einer kleinen Maus über die Bühne jagen lässt.

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Ensemble mit Julie Shanahan in der Mitte (© Laszlo Szito)

Das Bühnenbild von Rolf Borzik zeigt einen großen Saal mit hohen weißen Wänden, Fenstern und Türen, der wohl einem damaligen Probenraum der Compagnie in einem ehemaligen Kino nachempfunden ist. So gibt es auf der Rückseite eine Leinwand mit einem Vorhang. In dem Raum befinden sich Stühle, die ringsherum an den Wänden aufgestellt sind, ein Klavier, das von einem Tänzer auch live gespielt wird, mehrere Mikrofone auf Ständern und ein elektrisches Schaukelpferd. Hierauf nimmt zunächst Emily Castelli Platz, nachdem sie einzelne Besucher in der ersten Reihe um 20 Cent gebeten hat, um das Pferd zu starten. Zunächst bewegt sich aber nichts. Man mutmaßt schon, dass das in die Jahre gekommene Gerät vielleicht seinen Geist aufgegeben hat, aber dann stellt man fest, dass lediglich der Stecker nicht eingesteckt war. So muss Castelli nun noch einmal um 20 Cent bitten, um dann endlich auf dem Schaukelpferd "reiten" zu können. Andere Tänzerinnen folgen ihr, während der Rest des Ensembles sich zu leicht melancholischer Musik über die Bühne bewegt. Wie der Titel bereits verkündet, sind die Tänzerinnen und Tänzer bemüht, Kontakte zu knüpfen. Dabei werden zarte Versuche unternommen, die Aufmerksamkeit des anderen Geschlechtes auf sich zu lenken. So erstarren beispielsweise die Männer in Tanzposen, in die die Frauen versuchen sich einzufügen.

Der Kampf zwischen den Geschlechtern, der sich durch zahlreiche Bausch-Stücke zieht, spielt in Kontakthof ebenfalls eine bedeutende Rolle und wird recht perfide vorgeführt, wenn einzelne Pärchen zu romantischer Musik quasi wie für ein Foto posieren und dabei dem Partner oder der Partnerin kleine Gemeinheiten zufügen, ohne dabei mit der Wimper zu zucken. Doch auch der verletzte Part zeigt kaum eine Reaktion und lächelt freundlich weiter ins Publikum, während er bzw. sie zum Gegenschlag ausholt, was von den beobachtenden Tänzerinnen und Tänzern mit Beifall goutiert wird. Auch im Ensemble wird der Geschlechterkampf thematisiert, wenn sich beispielsweise alle Frauen auf der einen Seite aufstellen und sich die Männer ihnen mit den Stühlen in hektischen Bewegungen zu schneller Musik nähern, während die Frauen in abgehackten Bewegungen versuchen, dieser Annäherung zu entfliehen. In einer anderen Szene stellen sich Männer und Frauen gegenüber als Gruppe auf und versuchen wechselseitig, mit immer schneller und aggressiver werdenden Kommandos das andere Geschlecht in die Enge zu treiben. Dabei zucken sie bei jeder Nennung eines Körperteils mit dem entsprechenden Teil, als ob sie einen Schlag dorthin bekommen hätten.

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Taylor Drury führt die Tänzer zu "Gnädige Frau" an (© Laszlo Szito)

Dass auch das Individuum eine besondere Rolle spielt und jede Tänzerin und jeder Tänzer seine eigenen Erfahrungen mit in dieses Stück bringt, wird besonders in einer Szene deutlich, in der alle mit Stühlen an der Rampe Platz nehmen und gleichzeitig auf das Publikum einreden. Dabei geht Andrey Berezin mit einem Mikrofon um, das er jeder einzelnen Person hinhält, so dass man jeweils einen Teil der erzählten Geschichte aufschnappt. Die Tänzerinnen und Tänzer sprechen dabei teilweise auf Deutsch, teilweise auch in ihrer Muttersprache, wobei das Thema, Erfahrungen zum Thema Beziehungen, auch klar wird, wenn man das gesprochene Wort nicht versteht. Dass man nicht von der Norm abweichen darf, zeigt Nayoung Kim, die bei dem Tango "Mein schönes Vis-a-vis", wenn die Tänzerinnen und Tänzer alle im Stechschritt quer über die Bühne hetzen, versucht, den anderen zu erklären, dass die Schrittfolge falsch sei, aber daran verzweifelt, kein Gehör zu finden. Im Gedächtnis bleibt auch, wie Julie Shanahan vorführt, auf wie viele verschiedene Arten man das Wort "Liebling" intonieren kann.

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Maria Giovanna Delle Donne zwischen den Tänzern (© Laszlo Szito)

Wenn sich im zweiten Teil des Abends die Tänzerinnen und Tänzer einen Film über verschiedene Entenarten auf einem Teich ansehen und das Ende des Films mit einem bedauernden "Oh" kommentieren, mag man sich vielleicht fragen, welche Funktion diese Einspielung haben soll. Stehen die Enten, die auf dem Teich ihren Lebensraum und ihren Partner gefunden haben, metaphorisch für die Tänzerinnen und Tänzer auf der Bühne, die alle noch auf der Suche sind, oder handelt es sich einfach nur um eine amüsante Unterbrechung, die, gemessen an der Reaktion des Publikums, auch dort sein Ziel nicht zu verfehlen scheint? Gegen letztere Deutung spricht eine weitere Szene kurz vor Schluss des Abends. Maria Giovanna Delle Donne steht in ihrem zartrosafarbenen Mädchenkleid und der Schleife im Haar auf der Bühne und beginnt, wie ein Entenjunges zu schreien. Nach und nach kommen die Tänzer auf die Bühne und umringen sie, berühren sie und heben sie hoch. So schonungslos bekommt man sexuelle Übergriffigkeit selten vor Augen geführt. Man möchte schreien oder weinen, wenn man bei aller scheinbaren Teilnahmslosigkeit Delle Donnes Unbehagen in ihrer Körpersprache sieht. Nahezu erlöst wird sie, wenn der Bruch mit dem Schlager "Gnädige Frau" erfolgt und Taylor Drury mit verführerischen Schritten die Aufmerksamkeit der Männer auf sich lenkt. Die anderen Tänzerinnen schließen sich den Bewegungen an, und alle schreiten in einem großen Kreis über die Bühne, bis das Licht verlischt. Dass es im Anschluss lang anhaltenden, frenetischen Applaus gibt, ist man seit vielen Jahren ja von den Aufführungen des Tanztheaters gewohnt.

FAZIT

Die Wiederaufnahme von Kontakthof macht große Lust auf ein Wiedersehen mit Tänzerinnen und Tänzern der Uraufführung aus dem Jahr 1978 in der "Begegnung" Kontakthof Echoes of 1978.

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Produktionsteam

Inszenierung und Choreographie
Pina Bausch

Bühne und Kostüme
Rolf Borzik

Mitarbeit
Rolf Borzik
Marion Cito
Hans Pop

Probenleitung
Barbara Kaufmann
Franko Schmidt

Tänzerinnen und Tänzer

Claudia Ortíz Arraiza
Andrey Berezin
Dean Biosca
Naomi Brito
Emily Castelli
Maria Giovanna Delle Donne
Taylor Drury
Çağdaş Ermiş
Luciény Kaabral
Nayoung Kim
Daphnis Kokkinos
Reginald Lefebvre
Alexander López Guerra
Nicholas Losada
Blanca Noguerol Ramírez
Julie Shanahan
Julian Stierle
Michael Strecker
Christopher Tandy
Tsai-Wei Tien
Frank Willens

 

 


Weitere Informationen
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Tanztheater Wuppertal
(Homepage)




Da capo al Fine

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