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Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
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Nostalgische Zeitreise an die Wupper Von Thomas Molke / Fotos: © Patrick Gawandtka
Thalia ist nicht nur in der griechischen Mythologie eine der neun Musen, die die
Inspiration für die komische Dichtung und die Unterhaltung gegeben haben
soll. Sie ist auch Namensgeberin einer heute noch bekannten Buchhandlungskette
und zahlreicher Theater. Bis zu Beginn der 1960er Jahre stand in Wuppertal ein
Musentempel, der ebenfalls diesen Namen trug und dessen Glanz für fast ein
halbes Jahrhundert weit über die Grenzen der Region strahlte. Heute steht an
dieser Stelle die Hauptfiliale der Wuppertaler Sparkasse. Rebekah Rota, die seit
der vergangenen Spielzeit mit einer sehr persönlichen Note die Geschicke der
Wuppertaler Oper leitet, widmet diesem mittlerweile in Vergessenheit geratenen
Theater mit Musik aus zahlreichen Operetten einen Abend, den man in der
Barockoper Pasticcio genannt hätte. Hier heißt er Wupperetten-Revue, womit sehr
gut umrissen ist, was das Publikum an diesem Abend erwartet. Und da ja die
Karnevals-Saison bereits begonnen hat, wird zur anschließenden Premierenfeier im
Kostüm der 1920er Jahre eingeladen.
Die Muse Thalia (Edith Grossman) steigt herab.
Das Buch und die Dialoge stammen von Rotas Chefdramaturgin Laura Knoll, die dazu
die Wuppertaler Archive durchforstet hat, um die Geschichte mit historischen
Fakten anzureichern. Alles beginnt mit der glorreichen Wiedereröffnung des
Theaters am 29. August 1929 durch den neuen Theaterdirektor Robert Riemer, der
in früheren Jahren hier als Sketch-Schauspieler aufgetreten war und sich 1929
mit hoher Verschuldung einen Traum erfüllte, das mittlerweile heruntergekommene
Haus zu renovieren und zu neuem Ruhm zu führen, was ihm in den folgenden Jahren
mit einem geschickten Konzept aus Varieté, Film und Musiktheater gelang. So
gelang es ihm, bereits in den ersten beiden Jahren nach der Wiedereröffnung rund
3 Millionen Besucherinnen und Besucher trotz Weltwirtschaftskrise in den
Musentempel zu locken, so dass es pro Woche rund 14 ausverkaufte Vorstellungen
gab, die es ihm ermöglichten, die meisten Schulden zu tilgen. Doch mit der
Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 kam das vorzeitige Aus für Riemer.
Als Jude wurde er gezwungen, seinen Pachtvertrag aufzulösen und das
Theater-Inventar zu einem Dumping-Preis an seinen Nachfolger zu verkaufen.
Luise (Elia Cohen-Weissert) und Felix (Zachary
Wilson) unterhalten sich über ihre Erlebnisse bei der Wiedereröffnung des
Thalia-Theaters
Mit diesen historischen Fakten verwebt Knoll nun zwei Liebesgeschichten, die
allerdings eigentlich keinen Selbstzweck erfüllen, sondern nur dazu dienen,
Gelegenheiten zu bieten, weitere Operetten-Ohrwürmer in die Geschichte
einzubauen. Da sind auf der einen Seite Luise Funke und Peter Herzenbruch. Die
beiden begegnen sich am Abend der Wiedereröffnung in einer Loge, da Peter als
junger Journalist eine Rezension über die Wiedereröffnung schreibt und Luise
über ihren Bruder Felix, der im Chor singt, eine Eintrittskarte ergattert hat.
Beim Verlassen des Theaters hat sie einen falschen Mantel an der Garderobe
erhalten, was auf eine frühere Begebenheit anspielt. Bei der Eröffnung des
Hauses am 12. Dezember 1906 soll es an den Garderoben zu regelrechten
Kleiderkämpfen und extrem langen Wartezeiten gekommen sein, da die Garderobieren
völlig überfordert waren. Für Luise entpuppt sich der falsche Mantel als
Glücksfall, da er Peter gehört und sie eine Visitenkarte in der Tasche findet.
So kommt es zum glücklichen Wiedersehen der beiden und einem gemeinsam
verbrachten Nachmittag in der Schwebebahn. Auf der anderen Seite begegnet Felix
der Muse Thalia höchstpersönlich, die sich auf die Erde begeben hat, um Riemer
Inspiration für seinen Erfolg zu geben. Unter dem Namen Thali hat sie sich im
Chor eingeschlichen und lässt sich von Felix beim Rendezvous ebenfalls zur
Schwebebahnfahrt einladen.
Peter (Merlin Wagner) träumt von Luise.
Das alles wird vom Regie-Team um Rota in eine herrlich opulente Ausstattung
gepackt. Die Kostüme von Elisabeth von Blumentahl und Petra Leidner schöpfen aus
dem Vollen. Zum einen fangen sie bei den Figuren außerhalb des Theaters das
Flair der ausgehenden 1920er und beginnenden 1930er Jahre ein. Zum anderen
setzen sie bei den Szenen im Theater auf klassische Optik, so wie man sich die
damaligen Inszenierungen vorstellt und vielleicht auch heute wieder wünscht. Die
Bühne von Sabine Lindner bietet eine traditionelle Revue-Atmosphäre mit
zahlreichen verschiebbaren Show-Treppen und großen halbrunden leuchtenden Bögen.
Aus dem Schnürboden werden für einzelne Szenen in Riemers Büro oder in Luises
und Felix' Wohnung Rückwände herabgelassen, die schnelle Raumwechsel
ermöglichen. Und auch die Schwebebahn darf bei einer Wupperetten-Revue nicht
fehlen. So gelingt der Abend optisch sehr ansprechend. Magischen Zauber entfacht
dabei die Muse Thalia, die wie eine gute Fee im Märchen aus dem Schnürboden
herabgelassen wird und mit viel Glitzerstaub in die reale Welt eindringt. Dabei
wird ihr Eingreifen stets mit einem wohlklingenden Harfen-Akkord begleitet. Nur
gegen die Nationalsozialisten ist ihr Zauber machtlos. Mit einer bewegenden
Personenregie setzt Rota um, wie hier Thalias Magie versagt.
Humorvolle Anspielung auf das Wetter in
Wuppertal: Opernchor mit "Wenn es hier mal richtig regnet"
Musikalisch bietet der Abend ein buntes Potpourri von bekannten und unbekannten
Operetten-Melodien und einigen Schlagern der damaligen Zeit. Dabei nehmen drei
musikalische Beiträge Bezug auf wahre Ereignisse im Thalia-Theater. So hat
Riemer das Haus tatsächlich mit der Ouvertüre aus Franz von Suppés Die schöne
Galathée wiedereröffnet, die direkt zu Beginn des Abends aus dem
Orchestergraben erklingt, nachdem Riemer durch ein altes Mikrophon auf einem
Ständer mit klassischem Hall das Publikum begrüßt hat. Das erste Chorstück,
"Hymne an die Kunst", wurde bei der Eröffnung des Hauses am 12. Dezember 1906
vom Elberfelder Gesangsverein "Colombey" präsentiert. Jetzt singt es der
Opernchor der Wuppertaler Bühnen unter Leitung von Ulrich Zippelius in mondänen
Barockkostümen. Erwähnenswert ist, dass der musikalische Leiter Jan Michael
Horstmann dieses Stück neu für das Orchester instrumentieren musste, da hierzu
kein Orchestermaterial vorlag. Auch der Auftritt zweier Stars des Hauses, des
Tenors Walter Zierau und der österreichischen Opern- und Operettensängerin Vera
Schwarz, in ihrer eigenen Abendgarderobe zu Lehárs berühmtem "Lippen schweigen"
aus Die lustige Witwe wird aufgegriffen. Die restliche Musikauswahl setzt
bis zum melancholischen Schluss auf gute Laune und lädt beim "Schwebebahn-Lied"
sogar zum Mitsingen ein. Dafür ist auch extra der Text im Programmheft
abgedruckt.
Jan Michael Horstmann, der seine Dirigenten-Karriere als Kapellmeister und
Assistent von Peter Gülke an den Wuppertaler Bühnen Anfang der 1990er Jahre
begann und seitdem dem Tanztheater Wuppertal Pina Bausch eng verbunden ist,
führt das Sinfonieorchester Wuppertal mit scheinbarer Leichtigkeit durch die
wunderbaren Melodien und lässt das Publikum in Operetten-Seligkeit schwelgen.
Auch die Solistinnen und Solisten begeistern durch große Spielfreude. Edith
Grossman stattet die Muse Thalia nicht nur mit warmem Mezzosopran und magischem
Spiel aus, sondern macht auch beim Stepptanz eine sehr gute Figur. Zachary
Wilson verleiht dem Choristen Felix Funke einen vollen Bariton und gibt mit
Grossman ein wunderbares Paar ab, auch wenn es für die beiden im Stück leider
kein Happy End gibt, da die Muse Felix am Schluss verlassen muss. Elia
Cohen-Weissert und Merlin Wagner geben als Luise und Peter ebenfalls ein
reizendes Paar ab. Oliver Weidinger gestaltet den Direktor Robert Riemer als
klugen Geschäftsmann mit geschmeidigem Bassbariton, der am Ende mit großer
Bitterkeit vor den Nationalsozialisten kapitulieren muss. Vera Egorova punktet
mit eindringlichem Spiel als seine Gattin Frieda. Sangmin Jeon gibt den
"Startenor" Walter Zierau mit kraftvollem Tenor und herrlichem Spiel. Margaux de
Valensart ist als Vera Schwarz leider indisponiert und kann die Rolle nur
spielen, während die Partie von Rinnat Moriah aus dem hinteren Bereich der Bühne
gesungen wird. Das Publikum zeigt sich begeistert und spendet frenetischen
Applaus.
FAZIT
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Produktionsteam
Musikalische Leitung Inszenierung
Co-Regie und Choreographie
Bühne
Kostüme
Choreinstudierung Dramaturgie
Sinfonieorchester Wuppertal Opernchor der Solistinnen und SolistenThalia Luise Funke
Felix Funke
Peter Herzenbruch
Robert Riemer
Frieda Riemer Walter Zierau Vera Schwarz Tanzstatisterie
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- Fine -