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Das Englischhorn weiß mehr von der Liebe zu erzählen als die Regie
Von Stefan Schmöe / Fotos: © Bernd Uhlig Es lebe die Reduktion! Regisseur Michael Thalheimer möchte Tristan und Isolde von allem Überflüssigen und Ablenkendem befreien (teilt er im Programmheft mit). Wobei es sich eigentlich um einen Dreischritt handelt: "Konzentration, Reduktion, Vereinfachung". Fast alle Requisiten sind getilgt. Für den Liebestrank (oder was auch immer man da zu sich nimmt) bedarf es eines schlichten Trinkglases, das anschließend am Boden zersplittert; eine große Scherbe davon (zum - wirkungslosen - Aufschlitzen der Pulsadern), weiterhin Messer für Tristan und Melot - das muss reichen. Ein langes Seil, mit dem sich Isolde im ersten, Tristan im zweiten Aufzug abmüht, kommt hinzu, aber das betrifft dann bereits eine symbolische Ebene. Man zieht eben eine große seelische Last mit sich. Im Bühnenbild von Henrik Ahr gibt es keinen realen Raum, sondern eine gewaltige Matrix aus Lampen, die meist mildes, dämmriges Licht aussenden (und damit ganz hübsch mit der gediegenen holzgetäfelten Nachkriegsmoderne im Inneren der Deutschen Oper korrespondieren, aber das ist wohl Zufall, denn die Produktion wurde am koproduzierenden Theater in Genf entwickelt). Das Licht, der Gegensatz von Tag und Nacht, das ist ja ein durchgängiges Motiv der Oper. Tristan und Isolde im Zeichen völliger Abstraktion: Thalheimer stülpt dem Werk keinen Interpretationsansatz über, sondern er lässt dem Publikum maximale Denkfreiheit. Womit, den Buh-Rufen nach zu urteilen, nicht jeder etwas anfangen wollte. Bei aller Liebe zur Reduktion will ja hier auch eine Geschichte plausibel erzählt sein.
Isolde hat's schwer: Symbolische Aktion zu Beginn des ersten Akts (TRISTAN UND ISOLDE, Premiere am 1.11.2025 in der Deutschen Oper Berlin, copyright: Bernd Uhlig) Thalheimer selbst spricht (ebenfalls im Programmheft) die Problematik an, bei aller gewollten Kargheit einen Spannungsbogen erzeugen zu müssen - und daran hapert es. Thomas Lehmann, der Sänger des Kurwenal, kann einem schon leidtun, wenn er im dritten Aufzug minutenlang zentral auf der leeren Bühne herumstehen und die Spannung halten muss, während Tristan am Boden liegend seine Fieberfantasien auslebt. Lehmann meistert das bravourös und verleiht der Figur mit seinem jugendlich-heldischen Bariton, mit dem er die Partie zupackend, aber nie einfach nur laut gestaltet, eine eindrucksvolle Statur. Ähnliches gilt für die ausgezeichnete, agile, warm timbrierte und doch dramatisch singende Brangäne von Irene Roberts. Es funktioniert allerdings nur mittelprächtig, sie die "Habet Acht!"-Rufe im zweiten Aufzug aus dem Rang singen zu lassen, denn dort forciert sie, anstatt die Stimme strömen zu lassen (was akustisch völlig reichen würde). Sie hat szenisch etwas mehr zu tun als Kurwenal, ist im ersten Akt Isoldes direkte Ansprechpartnerin und reagiert zumindest gestisch auf deren Ausbrüche.
Konfrontation mit der vergangenheit: Tristan und Isolde im ersten Akt (TRISTAN UND ISOLDE, Premiere am 1.11.2025 in der Deutschen Oper Berlin, copyright: Bernd Uhlig) Wobei Elisabeth Teige der Isolde zunächst im Brautkleid, später im festlich-eleganten dunklen Kleid (Kostüme: Michaela Barth) eine statische, geheimnisvolle Würde verleiht und damit den entscheidenden Schritt tut, den die Inszenierung braucht (und an anderen Stellen vermissen lässt): Hier werden schließlich keine Alltagsprobleme normaler Menschen vorgeführt, hier verhandeln übermenschliche Symbolträger die metaphysische Seite der Liebe. Einen echten hochdramatischen Sopran bringt die Sängerin dafür nicht ein, besticht eher mit ihrem intensiven Piano als mit großen Ausbrüchen und forciert mitunter. Clay Hilley spielt den Tristan ziemlich hemdsärmelig, ein Fäuste ballender Draufgänger in schwarzer Hose und ebensolchem, ziemlich lässigem Hemd - man fragt sich, warum für ihn kein exklusiveres, geheimnisvolleres Kostüm vorgesehen ist. Die Figur müsste von der Regie in diesem Rahmen genauer, auch artifizieller ausgearbeitet sein. Hilleys in der Mittellage leicht baritonal eingedunkelter, in der Höhe trompetenhaft heller, nicht unangenehmer Tenor bewältigt die strapaziöse Partie sicher und mit manchem Glanz. Der Sänger hat allerdings die Angewohnheit, Vokale schnell abreißen zu lassen und die Konsonanten stark zu betonen, insbesondere das (oft zu) lange gerollte "r". Dadurch geht die Gesangslinie schnell verloren und die Interpretation bekommt etwas Kurzatmiges.
Sieht nach Tanzeinlage aus, ist es aber nicht: Melot (Mitte) wird von Marke abrupt weggestoßen. Kurwenal liegt bereits am Boden. (TRISTAN UND ISOLDE, Premiere am 1.11.2025 in der Deutschen Oper Berlin, copyright: Bernd Uhlig) König Marke darf immerhin einen langen, weißen Mantel tragen. Georg Zeppenfeld strahlt nicht nur deshalb, sondern auch vokal königliche Autorität aus. Sein großformatiger, viriler, nicht altväterlicher Bass verfügt über eine profunde Tiefe. Marke könnte, wenn das von Interesse wäre, eine gute Partie für Isolde sein - kein alter, sondern ein attraktiver Mann in den besten Jahren wie in angesehener Position. Dean Murphy als Anzugträger Melot erfüllt seine Aufgabe als Stichwortgeber ordentlich (Tristan läuft ihm ins halbherzig gezückte Messer). Kangyoon Shine Lee singt einen klangschönen jungen Seemann. Der Herrenchor bleibt unsichtbar und singt zuverlässig. Das alles liefert eine musikalisch gute Aufführung, trägt aber nicht ohne Spannungsabfall über einen langen Opernabend.
Isolde trauert um den soeben verstorbenen Tristan; hinten schaut Brangäne zu, Marke wendet sich ab (TRISTAN UND ISOLDE, Premiere am 1.11.2025 in der Deutschen Oper Berlin, copyright: Bernd Uhlig) Der entscheidende Beitrag des Abends kommt aus dem Orchestergraben. Donald Runnicles beginnt mit dem ganz ausgezeichneten Orchester der Deutschen Oper das Vorspiel überaus zart und leise und zaubert akustisch jenes Geheimnis der Liebe herbei, nach dem die Regie sucht. Er entwickelt die unendliche Melodie, in der sich das eigentlich Wichtige abspielt, und ergänzt damit die Leerstellen der Szene. Runnicles lässt sich viel Zeit für einen melancholischen, wolkenverhangenen Tristan. Er denkt dabei durchaus symphonisch, macht das Orchester zum Träger des Geschehens, wobei er ganz überwiegend auf die leisen Töne setzt. Das erzeugt einen wie in Watte gepackten Mischklang, und selbst wenn Runnicles an den dramatischen Ausbrüchen zu großer Dramatik befeuert, liegt eine gewisse Abgeklärtheit über der Musik. Das todtraurige Englischhorn (Cloé Payot) im Orchestergraben hat mehr von den Seelenzuständen der Protagonisten zu erzählen als die Regie. Das hilft über manche, nicht über alle szenische Öde hinweg.
Michael Thalheimer verliert sich nicht in Banalitäten und will Tristan und Isolde nicht erklären oder gar neu erfinden - das steht auf der Haben-Seite der Produktion. Eine tragfähige, spannungsreiche Konzeption findet die puristisch erstarrte Inszenierung allerdings nicht. Musikalisch kein schlechter, auch kein durchweg großer Abend. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Regieassistenz
Bühne
Kostüme
Licht
Chöre
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der Premiere
Tristan
König Marke
Isolde
Kurwenal
Melot
Brangäne
Ein Hirt
Seemann
Steuermann
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