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Das Heiraten will gut überlegt sein
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Barbara Aumüller Ort des Geschehens: Ein Trausaal, klassizistisch, wie es ihn in jeder besseren Stadt gibt. Nicht ohne Eleganz, die Beleuchtung wohl aus den 1960er-Jahren. Eine Renovierung könnte nicht schaden. Die Hochzeitsgesellschaft wartet aufgeregt auf das Brautpaar. Das erscheint bald, alle sind bereit, die Braut Fiordiligi muss nur noch unterschreiben - und in diesem Moment friert das Bild ein. Mariame Clément inszeniert die Szene punktgenau zur turbulenten Ouvertüre, und bereits hier zeigt sich die bestechende Präzision, mit der sie arbeitet. Jede kleine und große Geste ist genau platziert, und das funktioniert nur mit einem ungeheuer spielfreudigen und konzentrierten Ensemble, wie es hier auf der Bühne agiert.
Don Alfonso überbringt Fiordiligi (links) und Dorabella die Nachricht von der angeblichen Einberufung ihrer Verlobten zum Militär
Es klingt banal: So eine Hochzeit ist eine ernste Angelegenheit, eine Entscheidung fürs Leben. In der Rokoko-Komödie, die Cosí fan tutte auch sein kann, wird das Heiraten scheinbar auf die leichte Schulter genommen. In Frankfurt setzt die Regie im entscheidenden Moment mit einem großen Gedankenspiel ein. Was wäre, wenn … sich die Braut doch für einen anderen, den Liebhaber der Schwester (hier wohl eher der besten Freundin) entschieden hätte? Clément erzählt im Grunde zwei Geschichten parallel: Die eine zeigt die Hochzeit, so wie sie geplant war, meist in Form von Standbildern. Die andere zeigt die Geschichte, die Lorenzo da Ponte und Wolfgang Amadeus Mozart erdacht haben, in modernen Kostümen, aber im Grunde so, wie es im Libretto und in den Noten steht. Don Alfonso, der Anstifter der absurden Wette auf Frauenuntreue, fungiert als würdevoller Standesbeamter. Er überredet Ferrando und Guglielmo, ihre Verlobten unter dem Vorwand einer fingierten Einberufung zum Militär zu verlassen, um im nächsten Moment verkleidet um die Gunst der jeweils anderen Frau zu werben. Mit Erfolg, wie man weiß.
Einen Kuss zur Genesung fordern die vermeintlich vergifteten Fremden Guglielmo (kniend) und Ferrando (hinter ihm) von Dorabella (ganz links) und Fiordiligi. Don Alfonso und Despina, als Arzt verkleidet, schauen interessiert zu.
Diese Verkleidung ist hier keineswegs exotisch, sondern die beiden könnten unerkannt im Parkett des Frankfurter Opernhauses sitzen: Adrette junge Männer, wie man sie hier in Scharen sieht. Wobei der brave Guglielmo ganz entfernt an CDU-Nachwuchspolitiker Philipp Amthor (ohne dessen Deutschlandflaggen-Anstecker), der draufgängerische Ferrando an Freddy Mercury nach einem Friseurbesuch erinnert. Ob die Damen sich wirklich täuschen lassen oder bereitwillig mitspielen und zumindest das sexuelle Abenteuer suchen, bleibt offen. Mariame Clément hält das Stück elegant in der Schwebe zwischen Komödie und Tragödie. Wenn Fiordiligi mit großem Opera-seria-Aplomb standhaft "come scoglio", also "wie der Felsen", treu bleiben möchte, stellt sie sich wie ein Denkmal auf einen Tisch und trägt den Brautschleier wie eine Schärpe, um sich am Ende der Arie doch darin zu verheddern. Im zweiten Akt wird sie sich in einem ähnlichen, jetzt riesigen Schleier traurig verlieren, als steige sie in einen von Nebel bedeckten See.
Don Alfonso und Despina
Das doppelbödige Spiel der Regie funktioniert erstaunlich gut. Die linear verlaufende Zeit ist aufgehoben. Auf der Drehbühne gibt es für die Szenenwechsel mehrere identische Räume (oder immer denselben Raum in verschiedenen Zuständen, mal von der Hochzeitsgesellschaft gefüllt, mal leer und verlassen als Rückzugsort). Verbunden werden diese Räume durch einen winzigen heruntergekommenen Flur. Der schöne Schein und Tristesse, das Hohe und das Niedrige liegen auch hier nahe beieinander. Bühnenbildner Etienne Pluss zeigt zudem ziemlich genial eine Festlichkeit, die einen beinahe historischen Rahmen liefert (man kann sich mühelos in die Welt und Atmosphäre des Stückes hineinversetzen) und dekonstruiert sie sofort wieder. Ganz hervorragend passen die von Bianca Deigner entworfenen Kostüme, die in geschickter Farbwahl die Eleganz des Raumes aufgreifen, aber durch kleine Abweichungen irritieren. Und die ihre Trägerinnen und Träger durchweg gut aussehen lassen: Man erlebt durchaus eine Cosí für's Auge. Aber auch eine, die durch Esprit, Intelligenz und Tiefe besticht. Das vermeintlich kleine Abenteuer weitet sich für alle vier Beteiligten zum Gefühlsdrama aus, für das Mozart musikalisch Seelenräume öffnet. Die Inszenierung findet passende Bilder dafür, und sie macht das eigentlich absurde Experiment glaubwürdig.
Links die fingierte Hochzeit der "falschen" Paare, rechts wartet die "echte" Hochzeitsgesellschaft auf Braut und Bräutigam
Der Abend ist nicht unbedingt ein Fest der großen Stimmen, aber darauf kommt es auch nicht an. Sopranistin Teona Todua besticht als Fiordiligi bei etwas unausgeglichener Stimmführung mit enormem Furor und intensivem Piano. Kelsey Lauritano gestaltet mit flackerndem Sopran eine äußerlich coole, innerlich erregte Dorabella. Tenor Magnus Dietrich liegen die draufgängerischen Passagen mehr als das elegische "Un'aura amorosa", wofür ihm der Schmelz fehlt. Jonas Müller singt einen geradlinigen, untadeligen Guglielmo, wenn auch ohne den vokalen Charme eines Kavalierbaritons. Liviu Holender gibt einen genau phrasierenden und deklamierenden, stimmlich eher farblosen Don Alfonso. Bianca Tognocchi ist eine soubrettenhaft charmante Despina. Zusammen bilden sie ein exzellentes Ensemble, klanglich wie in der Art der Gestaltung exzellent aufeinander abgestimmt. Was hier aber vor allem zählt: Man nimmt ihnen ihre Rollen ab. Das ist großes Musiktheater. Mit der gewohnten Zuverlässigkeit und ebenfalls enorm hoher Genauigkeit im Spiel beeindruckt der Chor (Einstudierung: Álvaro Corral Matute), und auch die Statisterie trägt ihren Teil zur Perfektion der Inszenierung bei.
Eine Heiratsurkunde ist nicht das Papier wert, auf dem sie geschrieben ist, denkt sich Don Alfonso.
Mit dem ausgezeichneten Frankfurter Opern- und Museumsorchester findet Dirigent Thomas Guggeis einen beweglichen, immer auf den Fortgang der Handlung und das Geschehen auf der Bühne bedachten Tonfall, der gleichzeitig in kleinen Wendungen die Wehmut zum Klingen bringt, die in dieser Oper mitschwingt. Die Erkenntnis, dass Liebe und Treue leichter anfechtbar sind als gedacht, ist eben auch ein schmerzhafter Prozess. Das Orchester trägt die Sänger, aber es lässt ihnen den Vorrang. Dabei ist der Orchestersatz sehr fein durchgearbeitet. Die Rezitative, die Guggeis am Hammerklavier selbst begleitet, haben Witz und Schlagfertigkeit (die etwas schwerfälligen und verkürzten Übertitel kommen da nicht immer mit). Am Ende, wenn das böse Spiel mit den Gefühlen aufgeklärt ist, geht es zurück in den Trausaal des Beginns. Alles steht wieder auf Anfang: Wird Braut Fiordiligi jetzt unterschreiben? So ohne weiteres jedenfalls nicht. Das Ende bleibt offen. Es gibt viel Gesprächsbedarf.
Mariame Clément zeigt eine brillante, sehr genau durchgestaltete und hintergründige Inszenierung mit toller Ausstattung, von einem jungen Ensemble ausgezeichnet umgesetzt. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Regie
Bühne
Kostüme
Licht
Chor
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der rezensierten Aufführung
Fiordiligi
Dorabella
Guglielmo
Ferrando
Despina
Don Alfonso
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