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Das Rheingold

Vorabend zum Bühnenfestspiel Der Ring des Nibelungen
Text und Musik von Richard Wagner


in deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 40' (keine Pause)

Premiere im Staatenhaus Köln-Deutz (Saal 1) am 26. Oktober 2025


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Oper Köln
(Homepage)

Das furchtbare Ende der Kindheit

Von Stefan Schmöe / Fotos von Matthias Jung

Kinder an die Macht? Herbert Grönemeyer sang einst von den Armeen aus Gummibärchen. Kinder, zumal ins Spiel vertiefte, scheinen der Gegensatz zu sein zu einer Welt der Erwachsenen, die sich in einer vielfachen Spirale der (Selbst-)Zerstörung befindet. Paul-Georg Dittrich, Regisseur des neuen Kölner Rings, sieht im Kindsein den Urzustand, den Richard Wagner mit seinem sich langsam aufbauenden Es-Dur-Dreiklang am Beginn der Tetralogie musikalisch beschreibt. Und er erzählt eine Geschichte, in der die Kinderspiele ihre Unschuld verlieren. Aus kreativer Fantasie wird zerstörerische Gewalt. Das trifft die Grundidee von Wagners zwischen Mythos, Märchen und Gesellschaftsdrama angesiedelter Tetralogie gar nicht schlecht. Kinder stellen dann auch das Rheingold dar, das der Erde (also dem Urzustand) entrissen wird. In Bayreuth hat Valentin Schwarz durchaus ähnlich den angeblich allmächtigen Ring zu einem Kind umgedeutet (unsere Rezension), allerdings im Rahmen einer bürgerlichen Familientragödie. Dittrich sucht die großen Zusammenhänge und den Mythos als Grundelement des Ring des Nibelungen. Und das gelingt ihm alles in allem zwischen manchen geplanten Irritationen und Schockmomenten ganz ausgezeichnet.

Szenenfoto

Noch ist alles ein Kinderspiel: Wellgunde (ganz links). Woglinde (oben) und Floßhilde am Grunde des Rheins mit Kinderstatisterie

In der ersten Szene sieht man spielende Kinder. Wenn Rheintöchter und Alberich in Konzertkleidung erscheinen und singen, bewegen alle diese Kinder ihre Münder: Noch ist die Angelegenheit ein Kinderspiel. Dass Kinder grausam sein können, ist hinlänglich bekannt, und hier wird alsbald ein Junge - natürlich Alberich - ausgegrenzt oder sogar ausgestoßen. In diesem vorsexuellen Kontext fällt es ihm recht leicht, zornig der Liebe abzuschwören (wobei es eine Parallelszene gibt, bei der die Sängerin der Floßhilde dem Sänger des Alberich beim vermeintlichen Kuss in die Lippen beißt). Wenn das Spiel endet, nimmt das Drama seinen Lauf. Eine Weile wird die Oper dennoch ästhetisch wie von kindlicher Fantasie getragen. Die Götter sind in der zweiten Szene Karikaturen auf einer dem Barocktheater nachempfundenen Wolkenbühne. Die Bildwelten, die Pia Dederichs und Lena Schmidt (Bühne) sowie Mona Ulrich (Kostüme) hier erschaffen haben, erscheinen auf den ersten Blick provokativ märchenhaft und naiv. Göttervater Wotan sitzt mit Flügelhelm auf einer Mondsichel, Gattin Fricka könnte eine antike Göttin sein, und Freia ist eine verzogene Prinzessin in Rosa. Die allerdings beschäftigt sich vornehmlich selbstverliebt mit ihrem Smartphone, das wie alles hier aus bemalter Pappe (oder zumindest so aussehend) gestaltet ist. Die Szene ist also gehörig mit Ironie durchzogen und ragt in unsere Gegenwart hinein. Loge ist ein schmieriger Intrigant, die beiden Riesen treten wie Baulöwen in Nadelstreifenanzügen auf. Der Mythos nähert sich kurzzeitig der Satire an, wobei es die Regie dann aber auch belässt.

Szenenfoto

Auch die Götterwelt im zweiten Bild erscheint wie mit kindlicher Fantasie (und Kenntnissen des Barocktheaters) entworfen: (von links) Freie, Froh, Donner, Fricka, Loge, Wotan auf der Mondsichel und die Bauunternehmer Fafner und Fasolt

Schon mit dem Raub des Rheingolds wird die offene Bühne zu einem geöffneten Auge verkleinert (Wotan hatte in der Vorgeschichte bekanntlich ein Auge als Preis für seine Macht geopfert), wobei die kreisförmige Pupille zum Bildsymbol für den Ring wird, das in der dritten Szene die unterirdische Welt von Nibelheim prägt. Dort scheinen die Kinder in gläsernen Käfigen gefangen, tragen aber noch den Riesenwurm, in den Alberich sich verwandelt, herein. Die kindliche Märchenwelt zögert lange, bis sie vollends untergeht. Das geschieht endgültig im vierten Bild mit Alberichs Fluch und der Auslieferung des Rheingolds an die Riesen Fasolt und Fafner. Götter und Riesen tragen jetzt moderne schwarze Kleidung, alles Märchenhafte ist verschwunden (allein Erda im riesigen Reifrock hat noch mythische Züge). Kinder stehen mit verbundenen blutigen Augen als Verfügungsmasse bereit und winden sich wie Leichen auf ein Rad, als Chiffre ein Pendant zur Pupille aus dem Bild zuvor. Und dann gehen selbst die letzten Bilder, Zeichen der Kreativität und Kunst, aus: Auf vier stelenartigen Bildschirmen waren zuvor noch in bewundernswerter Bildqualität der Mond oder ein Felsbrocken zu sehen - jetzt sind es nur noch die Wörter MOND, FLUSS, FELSEN und WOLKEN. Die faszinierenden Videosequenzen (Robi Voigt) gehören zum beeindruckenden, oft auch verstörenden Bildprogramm der Inszenierung. Am Ende zeigen sie, den Göttern zugeordnet, verfremdete Sequenzen von Zerstörung und Gewalt wie aus modernen Action-Filmen. Willkommen in der Welt der Erwachsenen.

Szenenfoto

In Nibelheim sind Auge und Ring bildlich präsent. Oben Alberich, unten Mime

Das ist die eine Geschichte, für die das Regieteam einige (sicher eingepreiste) Proteste und verhältnismäßig wenig Zustimmung erhielt. Dabei entwickelt sich die Inszenierung stringent und bildmächtig, deutet das Werk nicht um und erfindet keinen Überbau. Fraglich ist eher, wie es weitergehen soll: Im Grunde ist die Geschichte bereits am Ende angelangt. An einen Helden oder eine Göttertochter, die die Welt retten, mag man nicht glauben. Die andere Geschichte erzählt das fabelhafte Gürzenich-Orchester unter dem detailversessenen Dirigat von Marc Albrecht. Im transparenten Klang werden viele Wendungen hörbar, die bei stärker symphonisch denkenden Dirigenten verlorengehen. Albrecht dirigiert eine rabenschwarze Konversationskomödie, die den kleinsten Wendungen der Handlung nachgeht und das Geschehen punktgenau mit der überaus präzisen Personenregie (die ausgezeichnet spielende Kinderstatisterie eingeschlossen) kommentiert. Trotzdem geht der große Fluss nicht verloren und die Musik schreitet zielgerichtet voran. Albrecht kann es mächtig laut werden lassen, achtet aber genau darauf, Sängerinnen und Sänger nie zuzudecken.

Szenenfoto

Mit dem Fluch stirbt alles Kindliche ab. Auch Erdas Mahnungen werden die Götter nicht vor ihrem Untergang bewahren.

Die Qualitäten des Ensembles mit durchweg eher schlanken Stimmen liegen dann auch vor allem im schnellen musikalischen wie szenischen Agieren und in der genauen Personenzeichnung. Jordan Shanahan hat als Wotan keine Riesenstimme, aber durchaus vokale Statur wie sein Gegenspieler (oder sein Alter Ego?) Alberich, den Daniel Schmutzhardt zunächst fast liedhaft angeht, beim Fluch dann aber Kraftreserven freilegt. Mauro Peter ist ein stimmlich leichtgewichtiger, fast lyrischer Loge, der die Partie aber genau ausgestaltet und die Figur als geheimnisvolles Zwischenwesen, sicher auch an Ring und Macht interessiert, anlegt. Miljenko Turk gibt einen zunächst unscheinbaren, am Ende eindrucksvollen Donner, Tuomas Katajala einen eher blassen Froh. Die divenhafte Fricka von Bettina Ranch und die verwöhnt-zickige Freia von Emily Hindrichs sind ebenso rollendeckend wie die sachlich singenden, am Ende zu Handfeuerwaffen greifenden Mafiosi Christoph Seidl (Fasolt) und Lucas Singer (Fafner). Martin Koch ist ein verspielter, eher harmloser Mime, Adriana Bastidas-Gamboa hat für die Erda ein schönes dunkles Timbre, aber wenig stimmliche Fülle. Mit jugendlich jubelnden Stimmen verkörpern Giulia Montanari (Woglinde), Regina Richter (Wellgunde) und Johanna Thomsen (Floßhilde) überzeugend die Rheintöchter, die am Ende unsichtbar aus der Ferne singen wie ein Nachhall aus besseren Kinderzeiten.


FAZIT

Die bildmächtige Regie erzählt spannend und schlüssig eine Geschichte vom Verlust der Kindheit, was umgehend in den Weltuntergang führt - das ist mehr als ein vielversprechender Auftakt des Ring des Nibelungen, weil im Grunde schon alles gesagt ist. Ein gutes Ensemble, vom ausgezeichneten Orchester und dem zupackend-theatralischen Dirigat Marc Albrechts getragen, setzt das prächtig um. Kurz: Ein großer Theaterabend.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Marc Albrecht

Inszenierung
Paul-Georg Dittrich

Bühne
Pia Dederichs
Lena Schmid

Kostüme
Mona Ulrich

Video
Robi Voigt

Licht
Andreas Grüter

Bewegungscoach
Paolo Fossa

Dramaturgie
Svenja Gottsmann


Statisterie und Kinderstatisterie
der Oper Köln

Gürzenich-Orchester Köln


Solisten

* Besetzung der Premiere

Wotan
Jordan Shanahan

Donner
Miljenko Turk

Froh
Tuomas Katajala

Loge
Mauro Peter

Alberich
Daniel Schmutzhard

Mime
Martin Koch

Fasolt
Christoph Seidl

Fafner
Lucas Singer

Fricka
Bettina Ranch

Freia
Emily Hindrichs

Erda
Adriana Bastidas-Gamboa

Woglinde
*Giulia Montanari /
Tamara Banješević

Wellgunde
Regina Richter

Floßhilde
Johanna Thomsen



Weitere
Informationen

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Oper Köln
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