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Musiktheater
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Aida

Oper in vier Akten
Libretto von Antonio Ghislanzoni
nach einem Handlungsentwurf von Auguste Mariette Bey
und einem Szenarium von Camille du Locle
Musik von Giuseppe Verdi


in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h 15' (eine Pause)

Premiere im Interim des Staatstheaters Kassel am 31.10.2025


Homepage

Staatstheater Kassel
(Homepage)

Aida auf der AIDA

Von Bernd Stopka / Szenenfotos von Sebastian Hannak

Das Opernhaus des Staatstheaters Kassel muss saniert werden. Man geht von mindestens sechs Jahren Sanierungszeit aus, für die eine Ersatzspielstätte gefunden werden musste. Das ist aus den letzten Jahrzehnten durchaus bekannt, diesmal wurde aber kein zirkusähnliches Zelt auf den Friedrichsplatz gestellt, sondern ein ganz besonderer Theaterbau in unmittelbarer Nähe des Auestadions auf dem Exerzierplatz der ehemaligen Jägerkaserne errichtet - und das in nur eineinhalb Jahren. Das sogenannte Interim zeichnet sich durch Multifunktionalität und Verwandlungsfähigkeit aus. Eine Drehscheibe von 18 m Durchmesser soll nicht nur für das Bühnengeschehen von elementarer Bedeutung werden, es ist auch eine Möglichkeit, das Publikum in besonderer Weise mit speziellen Eindrücken und Wahrnehmungen einzubeziehen, indem die Zuschauer einfach gedreht werden. Verschiedene Bestuhlungspläne vom klassischen Guckkasten bis zur Arena tragen je nach Produktion dazu bei. "Partizipativ" und "immersiv" sind bekannte Zauberworte unter der Intendanz von Florian Lutz, dessen Vertrag bereits im letzten Frühjahr bis 2031 verlängert wurde, nicht unumstritten unter Belegschaft und Publikum.

In der Interimsspielstätte finden bis zu 850 Besucher Platz (je nach Bestuhlungsvariante), knapp 100 weniger als im Opernhaus. Es steht auch im Zeichen der Nachhaltigkeit, denn nicht zuletzt durch seine Modulbauweise kann es abgebaut und woanders - den dortigen Bedürfnissen angepasst - wieder aufgebaut werden und so von sanierungsbedürftigem Theater zu sanierungsbedürftigem Theater wandern. Rein optisch erinnert der Innenraum mit seiner offenen Gestängelage an Pandaemonium und Antipolis, den Zuschauerrängen auf der Bühne des Opernhauses, die in den letzten Jahren Kassels Theaterhorizont erweitern sollten. Die Akustik in diesem Raum ist besonders für das Orchester, dessen Graben den Raum teilt, ziemlich gut, auch dem Chor kommt die Weite des Raums entgegen. Die Solostimmen verlieren sich dagegen zuweilen etwas, werden aber dankenswerterweise auch nicht elektronisch "bearbeitet".

Szenenfoto

Das Interim - neu erbaute Ausweichspielstätte (Foto: Bernd Stopka)

Als Eröffnungspremiere hat Intendant Florian Lutz Verdis Aida gewählt, mit der er auch als Regisseur zu neuen Ufern in See stechen möchte. In Sebastian Hannaks Bühnenbildern und Mechthild Feuersteins Kostümen fährt Aida mit der AIDA. "Willkommen auf ihrem Traumschiff Aida" tönt es aus Lautsprechern, während das Publikum seine Plätze sucht, auf dem Mittelpodium, den Seitenemporen und auf den "Adventure-Plätzen" auf der Bühne. Der Kapitän begrüßt die Kreuzfahrer unter denen viele Prominente aus Politik, Kultur und Gesellschaft sind: Steinmeier, von der Leyen, Selenski, Trump… und als Oberpriester Ramfis erleben wir einen überzogenen Stefan Raab-Verschnitt. Das wirkt zunächst komisch, wird aber ernst, wenn man die Geschichte dahinter dem Programmheft entlockt: Impulsgeber für die Versetzung in ein Passagierschiff war der Film Fellinis Schiff der Träume, in dem als Parabel erzählt wird, wie das alte Europa, der Imperialismus und insbesondere die privilegierte Gesellschaft untergehen. Immer wieder aufkommende und deutlicher werdende politische und gesellschaftliche Vergleiche zur Zeit vor 100 Jahren lassen nun den Untergang unserer Zeit bedrohlich näher rücken, und das Sinken eines zeitgenössischen Kreuzfahrschiffes im außer Kontrolle geratenen Sturm der Welt kann als Parallele gesehen werden. Das jedenfalls zeigen die Bilder dieser Produktion im gediegenen Ambiente mit Reise- und Kriegsbildern aus aller Welt. Nobel geht die Welt zugrunde. Auch die Zuschauertribüne ist von Meeresprojektionen umhüllt. Nicht nur die, die auf der Bühne agieren, gehen unter, auch die, die (tatenlos) zuschauen.

Szenenfoto

Wellness an Deck - im Hintergrund die Zuschauertribüne

Die Namensgleichheit ist eine der vielen Übertragungen und Aktualisierungen, die aus der Oper ein heutiges Politikum machen, das sich insbesondere mit den Wirtschaftsmächten und Kriegen unserer Zeit befasst. Das Kriegstreiben wird in die heutige Zeit transportiert und stellt Invasionen, Verteidigungs- und Angriffskriege in jede mögliche Frage, und das mit technischen Mitteln wie Livekameras, die Großaufnahmen der Sänger zeigen, Nachrichten- und sonstige Bildprojektionen auf diversen Bildschirmen und allem modernen Luxus und Kriegselend der Welt. Und das im neuen Opernhaus auf dem Exerzierplatz einer ehemaligen Kaserne. Auch die klerikale Macht und Autorität wird in Frage gestellt, egal ob sie ägyptische Götter anruft oder Siege durch Hilfe des christlichen Gottes feiert. Dazu wird der Text, den man als Untertitel mitlesen kann, dann doch immer wieder recht gewaltsam verändert. Manches Bild entbehrt nicht einer gewissen Komik, bei der einem aber schnell das Lachen im Halse steckenbleibt. Wenn Amonasro mit freiem Oberkörper zu Aida reitet, die als Stubenmädchen gerade Amneris' Luxussuite aufräumt, erinnert das an die bekannten Bilder von Putin, und wenn in einer Filmmontage dann Alice Weidel klammernd hinter Putin auf das Pferd gesetzt wird, ist das ein deutliches Statement. Während Aida ihre Sehnsucht nach dem Vaterland besingt und Meldungen über Anna Netrebko und ihre Haltung zu Heimat, Politik und (unpolitischer) Oper projiziert werden, ist das ein überdeutliches in Frage stellen. Ungeachtet all dessen: Während auf den Bildschirmen Kriege toben, kämpfen die Passagiere ihre eigene Schlacht am kalten Buffet, so wie Reinhard Mey es einst treffend besungen hat. Die Oper, die als Kreuzfahrtunterhaltungsprogramm gespielt wird, wird ihnen von "aida-tv" präsentiert. Die grausamen Nachrichten auch.

Szenenfoto

Blick über das Orchester und die gedrehte Zuschauertribüne auf Amneris' Luxuskabine

Die Prominenten sind den Opernfiguren zugeordnet: Steinmeier fungiert als ägyptischer, beim nicht stattfindenden Triumphzug Orden verteilender König, von der Leyen als Priesterin, die auf Deck einen Tai Chi-Kurs oder etwas in der Art veranstaltet. "Unsere Entspannung - Europas Stärke" verkünden die bewegten Damen. Die Parallele Selenski/Radamés erschließt sich nicht so wirklich, schon gar nicht, wenn er im vierten Akt von Trump - zu dem der Oberpriester offensichtlich mutiert ist - verhört, für schuldig erklärt und auch noch verspottet wird: "Du bist auf der höchsten Ebene der Macht und weigerst dich, einen Anzug zu tragen". Aber das Bild ist mehr gewollt als gekonnt. Radamés hat die Kriegspläne verraten. Wen oder was hat Selenski denn verraten? Die äthiopischen Gefangenen sind brutale russische Söldner, Amonasro ein scheinbar harmlos unter sie geratener Angler.

Bei schwererem Seegang bewegt sich die Mitteltribüne und dreht sich um sich selbst oder dem Hintergrund zu, der Amneris' Luxuskabine zeigt. Ganz in Gold gehalten, weckt sie doch auch Sehnsucht nach der Ausstattungsoper Aida, als die sie bestellt und uraufgeführt wurde. Bekanntermaßen war sie aber auch ein aus wirtschaftlichen Gründen von Verdi angenommenes Auftragswerk. Und schon haben wir wieder eine Synapse für eine Wirtschaftskritik, die sich in den Filmen und Bildern zwischen dem Feiern von technischem Fortschritt und dem Ausbeuten der Natur bewegt.
Sehr deutlich wird hingegen die europäische Idee propagiert, die von nationalem Denken befreien und den Kontinent sich zu einem großen Ganzen entwickeln lassen soll. Sie ist es, die mit dem Triumphmarsch gefeiert wird. "Wandel durch Handel - Europa global denken". "Make Europe great again" lässt einem dagegen gruselige Schauer über den Rücken laufen. Und der Rest der Welt?! Banner mit "Stadtbild säubern" und "Milliardäre enteignen" sind auch nicht besser. Europa geht im Sturm und Schmutz unter, da helfen auch keine Schwimmwesten, die auf der Bühne verteilt werden. Im dunklen Raum laufen Radamés und Aida mit Taschenlampen aneinander vorbei, ohne sich zu finden. Noch nicht einmal im Tod dürfen sie vereint sein. Amneris ist unter ihr eigenes Auto geraten (ein Sportwagen der 50er, netter Gag) und singt halb unter ihm liegend ihre letzten Töne.

Szenenfoto

Ein Sportwagen auf Deck des Kreuzfahrtschiffes?

Es ist ein Spektakel, das die Welt verändern, möglichst verbessern oder zumindest die Probleme verdeutlichen will. Hochpolitisches Theater. Aber auch Show, Technikevent, Politthriller, Gesellschafts-, Wirtschafts- und Umwelt-Katastrophen-Szenario. Die Inszenierung steht dabei im Vordergrund und stört immer wieder die Musik. Nicht nur durch Lauf- und Tretgeräusche und durch die Kameraleute auf der Bühne, die die intimsten Momente als Großaufnahmen zeigen, auch durch die überbordende Menge an Bildern und Nebenschauplätzen. Besonders schmerzlich zeigt sich das bei Aidas Szene im dritten Akt mit den oben beschriebenen Netrebko-Projektionen.

Das ist besonders bedauerlich, weil der musikalische Teil dieser Produktion ganz exzellent ist. Illaria Alida Quilico ist eine fesselnde Aida, die in den entsprechenden Momenten mit zartesten Tönen und intensivem Ausdruck zu Tränen rühren, ebenso aber auch stimmlich auftrumpfen kann, dies aber nur sparsam einsetzt, so wie es der Anlage der Figur entspricht. Emanuela Pascu singt die Amneris mit voll und rund strömendem, hochkultiviertem und bruchlosem Mezzosopran. Für den Radamés bringt Gabriele Mangione ein ideales Timbre und kraftvoll strahlende Höhen mit. Dass er sein "Celeste Aida" ganz hinten auf der Bühne, dazu nicht für sich, sondern es den Mitfahrern erzählend, singen muss, ist nicht wirklich nett. Als Ramfis zeigt Sebastian Pilgrim nicht nur komisches schauspielerisches Talent, sondern auch einen wohlklingenden Bass. Filippo Bettoschi zeichnet Amonasro auch stimmlich nicht nur als willensstarken, sondern auch energischen, zuweilen brutalen König der Äthiopier. Ian Sidden als König der Ägypter kann als würdiger Herrscher mit edlem Stimmklang überzeugen.

Es ist die erste gemeinsame Produktion von Kassels neuem Generalmusikdirektor Ainārs Rubiķis und dem regieführenden Intendanten Florian Lutz. Rubiķis elanvolles Dirigat ist in den ruhigen Momenten besonders stimmungsintensiv und in den kraftvollen kontrolliert und nicht auf Effekt bedacht. In der oft schwierigen Raumsituation ist er den Sängern ein rücksichtsvoller musikalischer Partner. Besonders stark ist die Szene, die bei 180 Grad gedrehtem Zuschauerpodest die Sänger frontal, das Orchester aber von hinten klingen lässt. Das ist ein großartiger Effekt, der das Orchester nicht verdrängt, sondern durch Unsichtbarmachung unterstreicht. Das gilt allerdings nur für die auf dem drehbaren Podest sitzenden Zuschauer. Ansonsten muss das Orchester aber doch oft unter dem szenischen, geräuschvollen Gewusel und den dadurch hervorgerufenen Zuschauerreaktionen leiden. Das zarte Vorspiel zum dritten Akt ging in der Premiere geradezu unter.


FAZIT

Hochpolitisches Musiktheater, das die Welt aufrütteln will. Übertragungen und Aktualisierungen sind zum größten Teil nachvollziehbar, und wenn der Text nicht willig ist, dann gebrauchte man eben Gewalt. Aber eben auch Musiktheater in einer Form, die dem Traditionalisten und Ästheten Schönheit und Genuss zu großen Teilen entgehen lässt und die klassische Oper als Energietankstelle in einer wildgewordenen Welt verweigert.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Ainārs Rubiķis

Musikalische Assistenz und Nachdirigat
Kiril Stankow

Inszenierung
Florian Lutz

Bühne
Sebastian Hannak

Kostüme
Mechthild Feuerstein

Video
Konrad Kästner

Licht
Jürgen Kolb

Chor
Marco Zeiser Celesti
Anne-Louis Bourion

Dramaturgie
Kornelius Paede


Statisterie des
Staatstheaters Kassel

Chor und Extrachor des
Staatstheaters Kassel

Staatsorchester Kassel


Solisten

* Besetzung der Premiere

Aida
Illaria Alida Quilico

Amneris
Emanuela Pascu

Radamés
Gabriele Mangione

Ramfis
Sebastian Pilgrim

Amonasro
Filippo Bettoschi

Il re dell'Egitto
Ian Sidden

Una sacerdotessa
* Daniela Vega /
Hailing Piao

Un messaggero
Hyunseung You /
* Björn Edelmann



Weitere
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Staatstheater Kassel
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Da capo al Fine

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