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Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg

Oper in drei Akten
Text und Musik von Richard Wagner
Dresdner Fassung


In deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln


Aufführungsdauer: ca. 4h 5' (zwei Pausen)


Premiere am 14. September 2025 im Opernhaus Magdeburg
(rezensierte Aufführung: 19. Oktober 2025)

 



Theater Magdeburg
(Homepage)

Hochspannende Charakterstudie in klassischer Ausstattung

Von Bernd Stopka / Fotos von Andreas Lander

Ein Künstler, der seiner Gesellschaft überdrüssig ist und sich für (bewusstseins)erweiternde Erfahrungen besonderen, insbesondere sexuellen Extremen hingibt, dem diese Ausuferungen dann irgendwann auch langweilend auf die Nerven gehen, der den nächsten Reiz im Gegenteil, der reinen Liebe zu finden hofft und dabei diverse Schwierigkeiten zu überwinden hat, inklusive seines eigenen Charakters…: Dem Publikum fallen dazu die unterschiedlichsten Assoziationen zur heutigen Zeit ein, in der Menschen einen immer weiteren und stärkeren "Kick" suchen, mit Sex, Drogen oder dem anderen Extrem, der Keuschheit vor der Ehe usw. Der Wunsch nach Erlösung aus diesem Getriebensein, in welcher Form auch immer, ist mehr als nachvollziehbar.
Und da der Zuschauer Aktualisierungen selbst herstellen kann - und das auch noch jeder für sich individuell, was die Intensität des Erlebens erhöht -, bedarf es keiner szenischen Aktualisierungen und das Werk kann in der Zeit spielen, die vom Dichterkomponisten vorgesehen ist. Wichtig ist eine überzeugende Personenregie, die das Menschliche, die Gefühle, Freuden und Dramen zeigt, die in allen Zeiten und Räumen im Grunde genommen gleich sind, aber vielfältig gezeichnet und aufgezeigt werden können. Für die menschliche und zwischenmenschliche Darstellung gibt es die verschiedensten Möglichkeiten, aus denen das Regieteam auswählen und sich dann darin austoben kann. Einem Team, das sich traut, diesen Weg zu gehen, auch auf die Gefahr hin, vom Regietheaterestablishment in der Luft zerrissen zu werden, kann man nur gratulieren.

Vergrößerung in neuem Fenster Wilde Lüsternheit im Venusberg: Tannhäuser (James J. Kee) mit Tanzensemble

Regisseurin Adele Thomas zeigt Tannhäuser als einen zwischen allen Gefühlen, Lüsten und Ängsten zerrissenen Menschen, der nicht nur seinen Weg, sondern auch sich selbst sucht und dabei alles erleben und kennenlernen will, was das Leben zu bieten hat. Immer wieder hat man auch den Eindruck, er sei von inneren Dämonen oder anderen Mächten getrieben. Neurotisch sehnsüchtig dürstet er nach menschlicher Nähe, kann diese gleichzeitig aber nicht ertragen und manchmal verachtet er sie auch. Dabei ist er in seinen Reaktionen extrem: Im Venusberg zwischen wilder Lüsternheit und Angewidertsein zerrissen, die Minnesänger und den Landgrafen in der zweiten Szene des ersten Aktes dann mit kindlich überschwänglicher Freude umarmend. Elisabeth begegnet er als gezähmter Sehnsüchtiger, der sich der Wartburggesellschaft anpassen und dazugehören will. Doch am Ende des Duetts reißt er den Mund zu einem geil-gierigen Kuss auf, der im Venusberg zu Hause ist, und erschrickt vor sich selbst. Seine Bereitschaft sich anzupassen hält nicht lange. Geradezu genial entwickelt sich die Ablehnung zunächst in kleinen neurotischen Gesten, die sich verstärken und zum wilden, zerstörerischen Protest ohne Hemd und Socken werden. Dass er sich dabei unter der Hose in den Schritt fasst, ist vielleicht ein bisschen viel, aber im Kontext konsequent. Dass Elisabeth am Ende des Aktes erschöpft zusammenbricht, auch.

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Vielbusige Venus (Jadwiga Postrożna) mit Tanzensemble

Im dritten Akt kehrt er als zunächst desillusionierter Mann zurück, von dem man zuerst nur eine Hand mit verdorrtem Zweig sieht. Er berichtet Wolfram geradezu sachlich beginnend von seinem Rombesuch, sich steigernd, wenn er von der Konsequenz berichtet, die er daraus zieht, dass er aus seinem Lebenselend nicht erlöst ("entsündigt") werden kann: Zurück in den Venusberg, denn wenn ihm schon ewiges Verderben droht, möchte er vorher davon noch richtig etwas haben und alles mitnehmen, was ihn lustvoll betäubt.

Der junge amerikanische Heldentenor James J. Kee zeigt schauspielerisch und sängerisch ganz großartig und faszinierend ein psychologisch fein ausgearbeitetes Charakterbild Tannhäusers in all den vielen oben beschriebenen Facetten, fesselnd von der ersten bis zur letzten Minute. Und das mit vollem Körper- und Stimmeinsatz. Im ersten Akt schont er weder seine Stimme noch das Gehör des Publikums und interpretiert immer wieder den Ekel deutlich hörbar, auch in den von Venus geforderten Liebesliedern schwingt der Abscheu unterschwellig mit. Natürlich geht das auf die Stimmkultur, doch die Interpretation ist es wert. Dass der Sänger auch kultiviert singen kann, zeigt er im zweiten Akt, wenn er sich auch stimmlich anpasst, um Elisabeth zu gefallen. Bei den wilden Ausbrüchen kommt dann aber auch stimmlich der Hörselberg-Tannhäuser wieder durch. Auch hier stellt er die Entwicklung, den Ausbruch der psychischen Störung schauspielerisch und stimmlich kongenial dar. Und selten wurde in der Romerzählung die innere Zerstörung Tannhäusers so deutlich. Ein toller und mutiger Sängerdarsteller im besten und wahrsten Sinne des Wortes.

Vergrößerung in neuem Fenster Die Minnesänger, im Hintergrund sitzend: Elisabeth (Aurora Marthens)

Bühnen- und Kostümbildnerin Cécile Trémolières setzt auf die Kraft der Kostüme, deren Entwurf und Herstellung (in den hauseigenen Werkstätten) ein besonderes Lob gebührt. Historisierend mittelaltert es gewaltig, erschlägt aber nicht, sondern nutzt die Kraft mittelalterlicher und barocker Ausdrucksmittel. Die einzelnen Szenen spielen dort, wo sie spielen sollen, die Räume sind dabei aber mit relativ einfachen Mitteln stilisierend angedeutet und fokussieren die Darsteller. Am Rand zwei kahle Wände, im zweiten Akt dezent mit Vasen und Blumen geschmückt.

Den Venusberg beherrschen vier Ausdruckstänzer, die wilde Leidenschaften und unbändiges Verlangen, aber auch aufdringliche Belästigung intensiv darstellen, Schlurf- und Rutschgeräusche inklusive. Venus erscheint zunächst im Kostüm der Gottesmutter mit großer Gloriole. Doch unter dem Heiligengewand kommt später ein üppig-vielbusiges Lustwesen hervor, das, wenn es später die lange blonde Perücke abnimmt, eine Glatze zeigt, die einem weiteren gewaltigen Busen ähnelt. "Zu viel! Zu viel!" möchte man mit Tannhäuser rufen, dessen Überdruss und Flucht nur allzu verständlich wird. Dem Publikum entlockt das Busenwunder eher Erheiterung denn Erregung. Die Verbindung von Elisabeth und Venus darzustellen ist nicht neu, hier aber doch recht extrem. Ob das Bild und auch die Gloriole mit magentafarbenen Neonröhren bestückt sein müssen, ist Geschmackssache, gehört aber auch zu den kleinen, dezenten ironischen Brechungen, die sich das Team nicht verkneift. Per klassischem Bühneneffekt verschwindet der Venusberg im Nebel.
Mit dem Landgrafen und seinem Gefolge tritt das Tanzensemble als Hunde auf, wild und ungestüm wie im ersten Akt. Deren lederne Hundemasken und -Pfoten sind auch im Sexspielzeugbereich zu finden und bilden somit eine augenzwinkernde Verbindung der beiden Szenen. Der Hirtenknabe ist ein Gärtner, der einen schon recht großen Baum pflanzt, aus dem er Tannhäuser einen grünen Zweig gibt, den dieser im dritten Akt verdorrt zurückbringen wird. Der Pilgerchor hinterlässt eine Nebelschwade, wie man sie sonst eher dem Leibhaftigen zuschreibt.

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Unerlöst aus Rom zurück: Tannhäuser (James J. Kee) in den Armen Wolframs (Marko Pantelić)

Eine weitere Ironie sind die Hartschalensitze im zweiten Akt, die auf der ansteigenden Sängerwettstreit-Tribüne angebracht sind und eher an ein Fußballstadion oder eine Gruppenlatrine erinnern, durch den Chor in den köstlichen Kostümen aber glücklicherweise schnell verdeckt werden. Auf jedem Sitz liegt ein Gesangbuch, aus dem das "Freudig begrüßen wir die edle Halle" gesungen wird. Damen und Herren stehen zu ihren Einsätzen abwechselnd auf. Das ist zu komisch. Zwei thronartige Sessel im Vordergrund sind für Elisabeth und den Landgrafen reserviert, einfache Hocker im gleichen Kaugummirosa für die Minnesänger. Im hohepriesterartigen Kostüm lobt der Landgraf seine Nichte als Preis aus, was dieser gar nicht gefällt. In vielen kleinen Gesten, Blicken, Reaktionen zeigt sich immer wieder das Menschliche der Figuren. Nach Tannhäusers wildem Ausbruch wirft sich Elisabeth schützend über ihn und wenn sie dann seinen nackten Oberkörper tröstend streichelt, wird deutlich, dass auch sie sich mit ihm nicht nur über die Bibel unterhalten möchte. Im zweiten Akt erscheinen die vier Tänzer, mit leitmotivischem Charakter, als wie zum Trocknen aufrecht gebundenes Stroh, das beim Hüpfen und Springen hörbar raschelt.

Vergrößerung in neuem Fenster Pilger, erlöst und unerlöst

Der dritte Akt zeigt den fast leeren Raum, nur dezent ausgeleuchtet und mit dem gepflanzten, fast entlaubten Baum. Der Auftritt des Pilgerchores mit vielen zerschundenen, nicht erlösten Büßern und einem Kreuzträger gehört zu den schönsten Bildern und verdeutlicht noch einmal die Betonung der Menschen im fast leeren Bühnenbild. Elisabeth kniet betend im weißen Büßerkleid, Wolfram und Tannhäuser wirken auf der (hoffnungs)leeren Bühne sehr intensiv.
Venus schwebt mit zwei Tänzern ihres Gefolges nackt, wie ein Deus ex Machina aus dem Schnürboden herab, ist aber eben nicht die Lösung aller Probleme und Wirrungen, die so ein Gott gewöhnlich mitbringt. Dass die Lusthölle dann wieder in den Himmel aufsteigt und nicht unterirdisch versinkt, mag eine technische Frage sein oder eine weitere ironische Andeutung.
Elisabeth steht von der Totenbahre auf und reicht Tannhäuser weiße Blumen, Symbol für Reinheit und Unschuld, bevor sie durch den Chor abgeht. Wenn es denn schon nicht der ergrünte Bischofsstab ist, der symbolisiert, dass Tannhäuser von Gott vergeben wurde, so zeigt die Regie hier, dass die Menschen ihm vergeben haben, denn den "Erlösungschor", den eigentlich die jüngeren Pilger, den ergrünten Stab bringend, singen, erklingt hier von den Damen der Wartburggesellschaft in den Kostümen des zweiten Aktes. Welch eine schöne Illusion.

Aurora Marthens ist eine hinreißende Elisabeth mit schön timbriertem, seelenvollem, hochkultiviertem Sopran, klingendem Liebreiz und brillanter Gesangstechnik. "Heinrich! Was tatet Ihr mir an?" klingt zum Steinerweichen, und wenn sie sich der Wartburggesellschaft entgegenwirft, sollte man sich nicht mit ihr anlegen. Jadwiga Postrożna ist mit voluminösem Mezzo eine ausdrucksintensive Venus, Johannes Stermann ein stimmkräftiger Landgraf mit vokaler o-Vorliebe. Marko Pantelić singt den Wolfram mit stimmlich charaktervollem Wohlklang, aber nicht weichgespült. Das Lied an den Abendstern klingt im Wunschkonzert sicher lyrischer, hier ist es aber Teil einer genau durchdachten Operninszenierung und wenn man bedenkt, dass der Abendstern die Venus ist… Unter den adäquat besetzten kleineren Partien beeindruckt Aleksandr Nesterenko als stimmlich schöngeistiger Walther.

Paweł Popławski beginnt die Ouvertüre geradezu sanft und zärtlich und lässt gleich mit den ersten Tönen aufhorchen: ein Dirigat voller Elan und differenzierter Ausdrucksstärke. Das Orchester spielt hochkonzentriert, klangvoll und spannungsreich, lediglich im dritten Akt gibt es leichte Ermüdungserscheinungen. Prachtvoll singt der ausgewogen klingende Chor.


FAZIT

Mittelalter-Spektakel, -Mysterienspiel, Passionsspiel…, die Szenenbildanweisungen des Librettos sind in der Zeit bleibend stilisierend umgesetzt. Intensive Bilder und eine noch intensivere psychologisch fundierte Personenregie beweisen, dass spannendes Musiktheater auch in klassischer Ausstattung nicht nur möglich ist, sondern eine besondere Intensität entfalten kann. Musikalisch sehr beachtlich, sängerisch faszinierend.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Erik Nielsen /
*Paweł Popławski

Inszenierung
Adele Thomas

Bühne und Kostüme
Cécile Trémolières

Choreografie
Emma Woods

Chor
Martin Wagner

Dramaturgie
Esther Beisecker


Opernchor des Theaters Magdeburg

Magdeburger Singakademie

Die Magdeburgische Philharmonie


Solisten

* Besetzung der rezensierten Aufführung

Hermann, Landgraf von Thüringen
Johannes Stermann

Tannhäuser
James J. Kee

Wolfram von Eschenbach
Marko Pantelić

Walther von der Vogelweide
Aleksandr Nesterenko

Biterolf
Giorgi Mtchedlishvili

Heinrich der Schreiber
András Adamik

Reinmar von Zweter
David Howes

Elisabeth
Aurora Marthens

Venus
Jadwiga Postrożna

Ein junger Hirt
Elvire Beekhuizen /
* Anna Malesza-Kutny

Vier Edelknaben
Irene Cabezuelo
Ilka Hesse
Bomi Lee
Emilia Mitskevych

Tanzensemble
Lukas Bisculm
Valeria Busdraghi
Viktoriia Cherkasova
Laia Vancells Pi



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