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Pfingstfestspiele 2013

Don Giovanni o sia Il dissoluto punito

Dramma giocoso in zwei Akten
Libretto von Lorenzo Da Ponte
Musik von Wolfgang Amadeus Mozart

In italienischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Dauer: 3 ½  Stunden – eine Pause

Premiere im Festspielhaus am 17. Mai 2013
(rezensierte Vorstellung: 20. Mai 2013)

 
 


Festspielhaus Baden-Baden
(Homepage)


Der Oper radikal auf den Grund gegangen

Von Christoph Wurzel / Fotos: Stephanie Schweigert

Philipp Himmelmann hat Don Giovanni sehr genau gelesen und modern und konsequent erzählt. In seiner Inszenierung für die Pfingstfestspiele ist er dabei zu manchen überraschenden, auf jeden Fall aber stimmigen Ergebnissen gekommen. Dass es in dieser Oper nicht um Liebe geht (außer vielleicht bei Don Ottavio), sondern um Eroberung, ist selten so deutlich gezeigt worden wie von Himmelmann hier. Don Giovanni lockt, manipuliert und vereinnahmt seine Frauenopfer gnadenlos, aber diese verfallen ihm auch umso heftiger. Dass Donna Anna nicht das überfallene Unschuldlamm ist, wird in dieser Inszenierung gleich zu Anfang klar, weshalb ihr Vater sie auch mit einer abschätzigen Handbewegung zurechtweist. Sie scheint auch zu wissen, wer sie da erobern will und scheint es zu genießen. Erst der Anblick des getöteten Vaters öffnet ihr die Augen und sie wird sich eines fatalen Fehlers bewusst. Dann Elvira – sie vermag sich fast bis zum Schluss nicht aus Giovannis Netzen zu befreien. Wider bessere Erfahrung lässt sie sich immerfort aufs Neue mit dem Verführer ein. Den ersten Annäherungsversuch scheint sie schon erhofft zu haben. Dass es Don Giovanni ist, der sie da von hinten umfasst, lässt sie gerne zu und es scheint sie noch nicht einmal zu überraschen. Auch Leporellos Register der 2065 Eroberungen seines Herrn, fein säuberlich gesammelt in 6 Aktenordnern mit Fotos nebst weiteren pikanten Kleinigkeiten, hält sie nicht davon ab, sich schon beim nächsten Zusammentreffen von ihm erneut betatschen zu lassen. Wie gern dann erst lässt sie sich im zweiten Akt zum Rendezvous verleiten, doch diesmal leider mit dem Falschen. Mit Zerlina hat Giovanni besonders leichtes Spiel, ihre Bereitschaft testet er ganz cool vom Sessel aus: "La ci darem la mano" – mal sehen ob sie anbeißt. Wie an einer unsichtbaren Angel zieht er sie vom anderen Ende der Bühne mit seinem Liebesgesäusel immer näher in sein Kraftfeld, wo sie ihm erliegt – und ebenfalls nicht ohne Vergnügen. Bevor sie sich mit ihrem cholerischen Bräutigam versöhnt ("Batti, batti, o bel Masetto"), versorgt sie sich durch einen heimlichen Kuss noch schnell mit ein bisschen erotischer Glut bei Giovanni.Und Elviras Zofe seilt sich sogar halsbrecherisch vom Schnürboden herab, was die Tuchkünstlerin Susanne Preissler in einer artistisch wie choreografisch spektakulären Nummer vollführt, womit sie sich unverzüglich einen feurigen Gunstbeweis Don Giovannis verdient.

Da Ponte hat es gewusst und Mozart auch: Schuld und Unschuld sind nicht so einfach zuzuweisen, die Figuren sind moralisch höchst ambivalent, eben ausgesprochen menschlich. Diese psychologisch besonders wahrhaftigen Opern lotet  Philipp Himmelmann bis in die Tiefe aus, mit Cosi fan tutte wurde im Januar 2011 (siehe unsere Rezension) in Baden-Baden bereits der verheißungsvolle Anfang gemacht, Figaros Hochzeit steht nun noch aus.

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Malena Ernman (Donna Elvira) und Erwin Schrott (Don Giovanni)

Die Frauen riskieren also viel für Don Giovannis Gunst. Aber der geht für seine Abenteuer über Leichen. Als egomanischen Zyniker zeigt die Regie den „Edelmann“ und Erwin Schrott spielt diese Rolle fast beängstigend echt und fesselnd dazu. Eiskalt berechnend schneidet er dem Komtur die Kehle durch, heuchelt an dessen Grab seiner Tochter  Mitgefühl vor, schändet in der Friedhofsszene sarkastisch das Andenken des Toten und pervertiert schließlich im Finale die Einladung zur Tafel zum puren Spott, indem er dem Komtur allerlei Fastfood und Rotwein ins Grab schüttet. Folgerichtig erscheint dieser auch nicht als steinerner Gast, sondern die grauen Friedhofsfiguren der vorigen Szene, weibliche Todesengel, kreisen ihn langsam ein und ziehen den Wüstling in die Gruft des Komturs hinunter. Alle Figuren in dieser Inszenierung sind als Charaktere höchst genau definiert. Leporello ist fast so zwielichtig wie sein Herr, auch er ein Zyniker. Den Wunsch von Giovanni loszukommen, nimmt man ihm nicht ab. Eher scheint er sich an dessen Niedertracht zu weiden, nur ist er nicht so mutig wie dieser. Schamlos fotografiert er den Mord seines Herrn am Komtur, auch sonst ist er mit den notwendigen Utensilien in seinem Rollkoffer zur Hand, wenn Giovanni wieder ein Bubenstück abzieht. Masetto erscheint grobschlächtig, aufbrausend und einfach gestrickt. Einzig Ottavio fällt aus dem Rahmen, ihm glaubt man die Sorge um seine Verlobte und auch die Liebe zu ihr. In seiner edlen Gradlinigkeit kann er ins Geschehen aber nicht eingreifen, weil ihm das Repertoire für Berechnung und Täuschung nicht recht zur Verfügung steht.

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Luca Pisaroni (Leporello), Erwin Schrott (Don Giovanni) und Mario Luperi (Commendatore)

Aber nicht allein darstellerisch sind die Rollen präzise getroffen, sondern die Sänger bieten auch stimmlich dieselbe psychologische Überzeugungskraft auf. Sicherlich scheint hier der Beitrag von Thomas Hengelbrock als Verfechter einer historisch informierten musikalischen Klangrede deutlich heraus. Das verrät nicht allein intensive Probenarbeit, sondern auch eine sehr genaue, gestisch sprechende Ausdeutung des Notentextes. Auch die ganz großen Stars wie Anna Netrebko und Erwin Schrott ordnen sich diesem Prinzip unter, singen nicht nur die ihnen längst zur Routine gewordenen Partien, sondern gestalten bis in kleinste Nuancen einen musikalischen Duktus, der die Ausdrucksfacetten der Rolle erfasst. Faszinierend, wie die Netrebko etwa die Szene gestaltet, in der Donna Anna von Giovannis Überfall in ihrem Schlafgemach berichtet. Was da alles an unterschwelliger Wahrheit mitklingt, ist schlicht überwältigend – ganz abgesehen von der stimmlichen Schönheit, mit der die Sängerin strahlt. Und Erwin Schrott bringt für den Don Giovanni stimmlich alles mit, was diesen zynischen Macho ausmacht, von der Kunst zu schmeicheln bis zur eiskalten Gemeinheit reicht seine bewundernswerte Ausdruckspalette.

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Anna Netrebko (Donna Anna) und Erwin Schrott (Don Giovanni)

Aber die Stars erdrücken keineswegs die übrigen Solisten, die ebenfalls mit großer Bühnenpräsenz punkten. Die Aufführung ist eine großartige Ensembleleistung. Luca Pisaroni singt den Leporello mit kräftigem Ton und großer Ausdrucksfähigkeit. Charles Castronovo verströmt seinen angenehm dunkel eingefärbten Tenor in den Arien mit starker Empfindung und in den Rezitativen mit durchaus viriler Kraft. Als Zerlina gibt Katija Dragojevic eine kecke Zerlina mit einem Schuss Frivolität, um Meilen ihrem Bräutigam überlegen, den Jonathan Lemalu mit trotzigem Unterton singt. Malena Ernman zeigt Donna Elvira als leicht überdrehte Frau, die offenbar ihrem Idealbild von Mann immer wieder erfolglos nachläuft. Am Schluss entscheidet sie sich im letzten Moment gegen die Selbsttötung. Ihre Arien singt sie mit beweglicher Stimme in großer Emphase. Aus dem Off bzw. aus der Gruft kommt die Stimme von Mario Luperi als Komtur ziemlich übersteuert und daher verzerrt. Das schmälert bei diesem Auftritt leider dessen dämonische Wirkung.

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Charles Castronovo (Don Ottavio) und Anna Netrebko (Donna Anna)

Schon nach den ersten Takten der Ouvertüre spürt man, dass Thomas Hengelbrock für Mozarts Musik genau den richtigen Puls findet, die Musik atmet und schwingt im dramatischen Fluss. Das Balthasar-Neumann-Ensemble spielt wunderbar klingend. Das Klangbild ist höchst transparent. Nebenstimmen lassen sich plastisch hören, weil das Orchester auf Originalinstrumenten einen schlanken Ton pflegt. Das lässt bei einer Besetzung von rund 50 Instrumentalisten fast kammermusikalische Transparenz zu. Besonders aber in der Artikulation und Gestaltung der musikalischen Rhetorik ist dieses Ensemble momentan kaum zu übertreffen, wie es an diesem Abend eindrücklich bewies. Im „Kosmos der Liebe“ seien die drei Da-Ponte-Opern von Mozart angesiedelt, alle drei handelten vom Paradies der Liebe, jede in anderer Ausprägung, so beschreibt Philipp Himmelmann das verbindende Band zwischen den Werken. Als sichtbares Bild dafür hat Johannes Leiacker als zentrales Symbol einen Apfelbaum gefunden, der in allen drei Inszenierungen im Zentrum der Bühne steht. Bei Cosi fan tutte war der Frühling die beherrschende Temperatur der Gemüter, in Le Nozze di Figaro soll es der Spätsommer werden, wo es um die Ernte des Liebesglücks geht und hier im Don Giovanni herrscht winterliche Kälte, weil alle Hoffnungen auf Liebeserfüllung erstarren. So ist der Baum auf der Bühne kahl und starr und alles ist leicht mit Schnee überdeckt. Auf dieser Kulisse bekommt die Handlung der Oper einmal mehr einen bedrückenden Charakter, doch kommen auch die komischen Anteile zu ihrem Recht, wenngleich es eine Art Komik ist, die wegen intensiv möglichen Miterlebens mit den Figuren einen ziemlich bitteren Beigeschmack hat. So findet die Inszenierung auch für das Dramma giocoso das richtige Maß.

FAZIT

Eine tiefgründig ausgeleuchtete Interpretation der Oper. Die Aufführung fasziniert darstellerisch. Musikalisch ist sie überragend wegen sängerischer Glanzleistungen und wegen des Klangfarbenreichtums im Orchester. Thomas Hengelbrock ist als musikalischer Leiter an diesem Abend in Höchstform.




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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Thomas Hengelbrock

Inszenierung
Philipp Himmelmann

Bühnenbild

Johannes Leiacker

Kostüme

Florance von Gerkan

Licht
David Cunningham

Choreinstudierung

Frank Markowitsch

Orchestereinstudierung

Riccardo Minasi

 

Balthasar-Neumann-
Chor

Balthasar-Neumann-
Ensemble




Solisten

Don Giovanni
Erwin Schrott

Donna Anna
Anna Netrebko

Leporello
Luca Pisaroni

Donna Elvira
Malena Ernman

Don Ottavio
Charles Castronovo

Il Commendatore
Mario Luperi

Zerlina
Katija Dragojevic

Masetto
Jonathan Lemalu

Donna Elviras Zofe
Susanne Preissler
(Tuchkünstlerin)




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Festspielhaus Baden-Baden
(Homepage)









Da capo al Fine

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