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Bregenzer Festspiele 2019

Don Quichotte

Comédie héroïque in fünf Akten
Libretto von Henri Cain nach Jacques Le Lorrains Le Chevalier de la longue figure
Musik von Jules Massenet

in französischer Sprache mit deutschen Übertiteln
Aufführungsdauer: ca. 2h 15' (eine Pause)


Premiere im Festspielhaus Bregenz am 18. Juli 2019

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Bregenzer Festspiele
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Keine Liebe im Büro

Von Stefan Schmöe / Fotos © Bregenzer Festspiele / Karl Forster

Vor dem ersten Ton gibt's erst einmal einen Werbespot, auf eine Leinwand vor dem Vorhang eingeblendet. (War das in den vergangenen Jahren denn auch so? wird hinter mir flüsternd diskutiert.) Eine neue Form des Sponsorings? Es müsste doch stutzig machen, dass es sich um einen englischsprachigen Spot handelt. Ein bekannter Hersteller von Rasierzubehör wirbt mit einem neuen Männlichkeitsbild, stellt klassische Klischees infrage. Von irgendwo kommt zögerlicher Applaus. Im Parkett protestiert jemand lautstark; dass gehöre nicht in die Oper, und überhaupt: Geschlechterrollen seien biologisch festgelegt und man könne nicht einfach … usw. Schauspieler Felix Defér tobt sich wirkungsvoll aus, denn die kompliziert verschachtelte Regie von Mariame Clément hat natürlich längst begonnen. Ein alter Mann in Rüstung, ebenfalls im Parkett sitzend, winkt den Protestierer zu sich. Und wenn der Vorhang sich endlich öffnet, setzen sich auf der Bühne die Sitzreihen des Parketts fort: Dort setzen sich der Ritter und sein neuer Begleiter hin, natürlich Don Quichotte und Diener Sancho Pansa, und schauen sich vor der Bühne auf der Bühne den ersten Akt an, in dem sie (jetzt sind es tatsächlich die Sänger Gábor Bretz und David Stout) selbst mitspielen. Das ist die erste von vielen Brechungen, mit denen diese Inszenierung arbeitet.


Vergrößerung in neuem Fenster 1. Akt: Vorne schauen Don Quichotte und Sancho Pansa zu, wie eben dieser Don Quichotte ganz klassisch um die schöne Dulcinée wirbt.

Zurück zum Anfang: Die Regisseurin liest aus der Oper eine Umkehrung des Männlichkeitsbildes heraus. Der Ritter Don Quichotte dichtet, singt, betet und stirbt letztendlich (nicht an einer tödlichen Verwundung aus hehrem Kampf, sondern aus Verdruss an der Welt). Das ist nicht gerade der klassische männliche Haudegen. Wirklich tragfähig ist der Ansatz auch nicht, geht auch alsbald irgendwie verloren, ist erst am Ende noch einmal von Bedeutung - das Regiekonzept tut sich lange ziemlich schwer mit der eigenen These. Viel dominanter ist die zweite gedankliche Leitlinie. Der literarische Don Quichotte von Cervantes ist ungleich satirischer gehalten als Massenets Opernfigur, die mit der Vorlage im Grunde nur die Grunddisposition gemein hat. Die Regisseurin stellt die Frage: Wie kann man das demonstrativ Unzeitgemäße der Figur in unserer Zeit deutlich machen? Und sie hat sich entschlossen, die fünf Akte wie fünf kleine Opern zu behandeln, im Grunde unabhängig voneinander, im Idealfall ein Mosaik ergebend.

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2. Akt: Was sich da oben dreht, hält Don Quichotte (im Bademantel) für einen Riesen. Vom Mobiliar wird bei der folgenden "Schlacht" wenig unversehrt bleiben.

Der erste Akt ist aufreizend klassisch inszeniert wie aus einer Zeit, als es noch kein Regietheater gab: Gemalter Hintergrund, rechts und links ein Haus, historische Kostüme. Don Quichotte singt seine angebetete Dulcinée an, die vom Balkon aus diese Huldigung entgegen nimmt und von dem seltsamen Ritter fordert, er möge ihr das von Räubern gestohlene Perlenhalsband zurückbringen. Nimmt man den Applaus am Ende jeden Akts als Maß, so kam das beim Publikum diese verstaubte Erzählweise am wenigsten an, ist auch tatsächlich langweilig (das ist ein großes Problem: Das Konzept funktioniert in der Theorie über weite Strecken überzeugender als auf der Bühne). Der zweite Akt bietet dann Kontrastprogramm: Aus Quichote und Sancho sind moderne Menschen geworden, die sich im Bad befinden - und während Quichotte duscht (hinter einen Vorhang), diktiert er Sancho seine neuesten Gedichte ins Laptop. Bis er im Ventilator, der hier die Windmühlenflügen ersetzt, einen Riesen zu erkennen glaubt, den er bekämpfen muss (was die komplette Einrichtung ruiniert). Das Bild hat Unterhaltungswert, spielt mit der Absurdität der Situation, bekommt aber keine innere Logik: Allzu unglaubwürdig, nicht wirklich motiviert. Die Regie tritt auf der Stelle.


Vergrößerung in neuem Fenster 3. Akt: Der Traum, einmal ein Superheld zu sein. Don Quichotte erwartet als Spiderman eine Räuberbande. Sancho bleibt skeptisch.

Im dritten Akt muss Quichotte die Räuberbande bekämpfen, wobei er chancenlos ist; angesichts des drohenden Todes betet er, und das wiederum rührt die Räuber so sehr, dass sie ihn nicht nur laufen lassen, sondern gleich das gewünschte Collier mitgeben. Absolut unglaubwürdig, befindet die Regisseurin im Programmheft (obwohl man da ja durchaus satirisches Potenzial erkennen könnte). Sie sieht in Quichottes Irrglaube, die Räuber besiegen zu können, den Kindheitstraum, ein Superheld zu sein. Und so begegnet der Ritter im Spiderman-Kostüm vor einer mit Graffitis besprühten Wand einer Bande von Halbstarken mit Migrationshintergrund. Auch da hakt es: Es sind ja gar keine Superkräfte, die hier die Rettung bringen. Zur Pause ist das Konzept noch nicht aufgegangen.

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4. Akt: Kein Liebesglück im Büro; mag auch, was die Beleuchtung anzeigt, die Zeit für einen Moment angehalten sein - Firmenchefin Dulcinée und der brave Angestellte Don Quichotte werden kein Paar.

Vierter Akt: Quichotte bringt Dulcinée das Collier und hält vergeblich um ihre Hand an. Die Szene ist jetzt ein Großraumbüro, Dulcinée die von allen vergötterte Firmenchefin (dafür hat Ausstatterin Julia Hansen sie ziemlich bieder gezeichnet). Don Quichotte fällt vor ihr auf die Knie, was natürlich furchtbar unzeitgemäß und peinlich ist und von etlichen Smartphones gefilmt wird. Aber wenn Sancho Pansa seinen Herrn hier verteidigt, wird zum ersten Mal auf der Bühne deutlich, was die Regie im Sinn hat, nämlich eben dieses Unzeitgemäße, und der scheinbar Lächerliche ist gleichzeitig der Held, weil er sich über die Konventionen hinwegsetzt. Erst hier erreicht die Inszenierung die Ambivalenz, die Mariame Clément vorgeschwebt haben mag. Das Schlussbild ist wieder Theater auf dem Theater, Quichotte stirbt in einer Mini-Bühne vor einer Landschaft aus Bäumen im Stil eines Kupferstichs, im historischen Kostüm, aber Sancho (im heutigen Outfit) streift ihm die Maske ab. Es geht um offenbar um die Rollen, die wir spielen. Zuschauerin ist jetzt Dulcinée, die irgendwann aufsteht und durch das Parkett abgeht, ihre letzten Zeilen von Ferne singt. Das immerhin ist ein berührender Schluss. Aber es sind eben erst die letzten beiden Akte, die schlüssig sind. Wenn Dulcinée, die starke Frau in Chefposition, allein bleibt, reflektiert das indirekt auch wieder die These von der neuen (oder anderen) Männlichkeit vom Anfang. Das ist von einiger Faszination, zumal ein weiterer Aspekt hervortritt: Die Rollen, die wir im Verlauf unseres Lebens spielen, sind eben doch oft Narrenrollen. Da sind wir nahe bei Verdis Falstaff. Das ist, vom Ende her gesehen, eine schlüssige Deutung - aber der Preis waren drei Akte mit viel szenischem Leerlauf zuvor.


Vergrößerung in neuem Fenster 5. Akt: Don Quichotte stirbt, Dulcinée schaut zu.

Musikalisch imponiert vor allem Dirigent Daniel Cohen am Pult der sehr guten Wiener Symphoniker, der ungemein delikate Klangfarben heraufbeschwört, vieles im Piano und Pianissimo dirigiert und so ein sehr zartes musikalisches Portrait des Ritters von der traurigen Gestalt zeichnet. Den gibt Gábor Bretz lyrisch und mit vielen Zwischentönen, wobei die Stimme kultiviert ist, aber nicht den Schmelz besitzt, den man sich angesichts des erlesenen Orchesterparts hier und da wünscht; gleichwohl bietet er eine schlüssige Deutung der Figur und erweist sich als ungeheuer wandlungsfähig. Leichter hat es David Stout als Sancho, sehr präsent und zupackend. Anna Goryachova als Dulcinée besitzt eine aparte tiefe Lage, in der Höhe verfügt sie zwar über die Mittel zur vokalen Attacke, wird dann aber ungenau in der Intonation. Léonie Renaud und Vera Maria Bitter geben mit jugendlichem Klang und viel Charme Dulcinées (von Massenet im Sopran vertonte) Verehrer Pedros und Garcias. Ganz ausgezeichnet singt der Prager Philharmonische Chor.


FAZIT

Eine Regie mit klugen Ideen, aber Bühnentauglichkeit beweist das theorielastige Konzept von Mariame Clément erst in der zweiten Hälfte. Musikalisch eindrucksvoll.




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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Daniel Cohen

Inszenierung
Mariame Clément

Bühne und Kostüme
Julia Hansen

Licht
Ulrik Gad

Kampfchoreographie
Ran Arthur Braun

Chor
Lukáš Vasilek

Dramaturgie
Olaf A. Schmitt



Prager Philharmonischer Chor

Wiener Symphoniker


Solisten

Don Quichotte
Gábor Bretz

Sancho Pansa
David Stout

Dulcinée
Anna Goryachova

Pedro
Léonie Renaud

Gracias
Vera Maria Bitter

Rodriguez
Paul Schweinester

Juan
Patrik Reiter

Anführer der Banditen
Elic Chapus

Der Mann
Felix Defér




weiterer Bericht von den
Bregenzer Festspielen 2019:
Rigoletto auf der Seebühne


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