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Siegfried-Metamorphosen
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Thomas M. Jauk / Stage Picture Gmbh
Was wäre, wenn Siegfried und Brünnhilde, gerade wiedererweckt, den ganzen Schlamassel hinter sich ließen und einfach aus der Geschichte verschwänden? Sich nicht mehr um die heruntergekommene Weltordnung samt korrumpierter Göttersippe kümmerten, sondern in Liebe verbunden von der Bühne sprängen, den Vorhang hinter sich zuzögen und durch den Zuschauerraum in eine bessere Zukunft wegliefen? Komponisten wie Publikum ratlos zurück ließen und fortan nur noch für sich, für ihre private Liebe leben würden? ![]() Hinter Gittern: Mime (Jeff Martin, l.) und - nein, nicht Brünnhilde, es handelt sich um Siegfried (Jürgen Müller)
In Christine Mielitz' Dortmunder Inszenierung läuft die Geschichte haarscharf an dieser Wendung vorbei; einen Blick wirft Brünnhilde noch durch den bereits geschlossenen Vorhang – und bleibt! Nichts da mit Privatleben, die große gesellschaftliche Aufgabe wartet noch. Ihre Bestimmung aufgeben kann sie nicht, und so geht der Vorhang wieder auf. Da hilft es Siegfried auch nicht, dass er trotzig gegen den Walkürenschild tritt und ihn in die nächste Ecke pfeffert. Götterraison geht vor, er muss zurück in die Geschichte. Das ist der Preis für Brünnhildes Hingabe. Man ahnt, dass dies kein gutes Ende nehmen wird. ![]() Fürchten lernen und lehren in schwierigen Familienverhältnissen: Siegfried und Mime
Brechungen und Verwerfungen kennzeichnen die Inszenierung dieses Rings, und allmählich gewinnen die Bilder an Bedeutung. Die Regie will weniger die Geschichte (nach)erzählen als vielmehr kommentieren – so taucht für einen kurzen Moment ein brennendes Auto auf, das die Assoziation vom in die Welt stürmenden Siegfried zu Straßenschlachten unserer Epoche gelenkt. Nachdem Wagners Tetralogie in allen wohl denkbaren Epochen und Kontexten inszeniert und in dieser Hinsicht weitgehend ausgereizt ist, hat der Verzicht auf eine komplette „Übersetzung“ in das Jahr 1968 oder die Pariser Vorstädte unserer Tage zu Gunsten eines kurzen assoziativen Moments sicher etwas Wohltuendes; es bleibt aber ein deutliches Unbehagen an der Unbestimmtheit dieses Regieansatzes, der solche Bilder eben nur anreißt und nie zu Ende denkt. Immerhin: Nachdem im Rheingold und der Walküre die Symbolik wie eine Käseglocke über der Bühne hing und alles zu ersticken drohte, kommt die Inszenierung im Siegfried besser in Schwung, bietet viel mehr Theater im eigentlichen Sinn. Das liegt vor allem an der ausgefeilten Personenregie, die den Figuren endlich ein Eigenleben zugesteht und sie auf die momentane Situation reagieren lässt. ![]() Terrorist mit Sprengsatz: Alberich (Simon Neal)
Die Mime-Szenen sind darstellerische (und auch sängerische, dazu unten mehr) Kabinettstückchen detailreich und mit viel Komik, durchweg von allen Beteiligten mit hohem Einsatz gespielt. Auch die Auftritte Alberichs zeigen viel von der Gewalt, mit der die Akteure aufeinander losgehen. Dabei entfernt sich Christine Mielitz geschickt von der Konvention: Es gibt keine wie auch immer geartete Schmiede, sondern Siegfried wirft das gesamte (spärliche) Mobiliar in die Unterbühne, von wo es bedrohlich qualmt. So wird die Szene, einmal völlig unfolkloristisch, zum radikalen Bruch mit der eigenen Vergangenheit. Nicht immer gelingt die Verschmelzung von Märchenhandlung und übergeordneter Symbolisierung so elegant; schwieriger etwa ist der Metallzaun, der die Bühne seit dem Feuerzauber der Walküre zum Zuschauerraum hin abtrennt (und den Siegfried in der Wanderer-Szene des dritten Aufzugs folgerichtig zum Einsturz bringt). Als Metapher mag das zwingend sein, aber der Zaun schafft, nicht eben theaterpraktisch, eine störende Distanz zur Bühne, was einiges an Wirkung nimmt. ![]()
Oft meint man geradezu das staubige Papier rascheln zu hören, auf dem die Inszenierung weitab der Theaterrealität konzipiert worden ist. Siegfrieds „Brünnhilden-Outfit“ im ersten Aufzug – schwarzer Rock, entblößter Oberkörper, hüftlanges rotes Haar – mag die geistige Nähe dieses Burschen zur Anarcho-Walküre sinnfällig machen, bezeichnet aber einen ästhetischen Tiefpunkt der (an szenischen Katastrophen nicht eben armen) Rezeptionsgeschichte. Warum aber verwandelt sich Siefgfried nach dem Drachenkampf in einen dieser halb schwarz, halb weiß gekleideten Menschen, die hier wie auch in anderen Szenen wortlos die Bühne bevölkern? Sicher, er macht eine Metamorphose durch, ist in diesem Moment selbst ein Zwischenwesen, einer von vielen zwischen den Fronten, für einen Moment nicht in den Handlungsfaden Wotans eingespannt (später wird er sich weiter verwandeln). Aber damit fehlt ihm genau die Eigenschaft, die er in Wagners Drama braucht, um Wotans Feuer zu durchbrechen: Das anarchische Außenseitertum. Irgendwo gibt es sicher das geschliffen formuliertes Papier, auf dem die Lösung steht. Aber auf der Bühne wird die Inszenierung an viel zu vielen Stellen der Theorie geopfert. ![]() Machtwechsel nach Vater-Sohn-Konflikt: Wanderer Wotan (Béla Perencz) und Siegfried (Jürgen Müller), inzwischen leidlich korrekt gekleidet
Auch müsste bei einer Inszenierung, die weitgehend im abstrakten Raum bleibt, das Bühnenbild eigenständiger, „sprechender“ sein. Die banalen Bühnenaufbauten (Stefan Mayer) geben allerdings kaum etwas her: Die Dauerrotation der Drehbühne wirkt ebenso hilflos wie die Lichtregie, die sich meist in „Licht-an–Licht-aus“ erschöpft. Effekte wie grelles Gegenlicht, mit dem das Publikum geblendet wird, nutzen sich schnell ab. Einzelne Elemente wie die riesige Maske, die aus der sich Brünnhilde wie aus einem Ei herausschält, ist zu harmlos, um eine eigene Bildsprache zu entwickeln. Und die Spiegelung des Zuschauerraums zeigt erschreckend, wie viele Plätze bei dieser Premiere frei geblieben sind. Da finden die Leerstellen der Inszenierung direkt ihr Pendant. ![]()
Bei allen disparaten Eindrücken der szenischen Umsetzung (über die es sich - anders als in der weitgehend misslungenen Walküre- immerhin zu diskutieren lohnt) ist dieser Siegfried außerordentlich hörenswert. Jürgen Müller schlägt sich bravourös durch die Titelpartie. Zwar fehlt der Stimme eine Spur Glanz (und damit ein charakteristisches Element), aber sie ist auch in der hohen Lage sauber, dabei kraftvoll und (fast) nie forciert geführt; dazu bewahrt sich Müller Reserven bis zum Finale, dass er immer noch kultiviert gestaltet. Dagegen fällt die Brünnhilde von Milana Butaeva ein wenig ab; zwar hat die Sängerin den großen dramatischen Atem (die Erweckungsszene „Heil dir, Sonne“ dürfte allerdings ungleich sauberer und mädchenhafter gesungen werden), die Stimme wird aber schnell scharf und durch allzu üppiges Vibrato auch zu wenig kontrolliert. Da ist sie mehr Heroine als Jungfrau. Sehr heldisch und kraftvoll und mit großer Standfestigkeit geht Béla Perencz die mörderische Partie des Wanderers an, singt aber auch eindrucksvolle, schmerzlich zerissene leise Töne. Ein wenig mehr lyrischen Unterbau wünschte man der Stimme; so kraftvoll-vital allerdings hört man die Partie selten. Zum Star des Abends wird aber Jeff Martin als ungemein agiler Mime mit vielen Zwischentönen; ein Charakterdarsteller, der die Partie aber tatsächlich singt und nicht zur Karikatur verzerrt. Simon Neal ist ein zupackender Alberich, der seinen vergleichsweise kurzen Auftritten sängerisch wie schauspielerisch einmarkantes Profil abgewinnt. Das kann man von Heike Susanne Daum als arg bravem Waldvögel (vom Rang aus gesungen) nicht unbedingt behaupten. Vidar Gunnarsson ist ein solider Fafner ohne nachhaltige Wirkung, Ji-Young Michel hat mit den unterschiedlichen Klangfarben in der charakteristisch dunklen (dabei etwas oberflächlichesn) tiefen und reichlich indifferenten mittleren Lage zu kämpfen. ![]() Liebe unter Vorzeichen der Götterdämmerung: Ekstatisches Finale mit Brünnhilde und Siegfried
Im Dirigat von Artur Fagen stehen eindrucksvolle Momente neben (vielen) allzu starren Momenten, in denen die Musik kaum in Fluss kommt. Sicher gelingt dieser Siegfried um ein Vielfaches besser als seinerzeit die trostlos öde Walküren-Premiere, aber auch hier klingt vieles „buchstabiert“, mechanisch herunter gespielt. Das orchestrale Kolorit, von dem die Oper an vielen Stellen lebt, kommt oft nicht zum Tragen, die Tempi sind nicht immer überzeugend. Beim „Waldweben“ wäre mehr lyrische Empfindsamkeit, ein freieres Tempo angebracht; der Rätselszene fehlt der „drive“ nach vorne, das Wunder der Erweckungsszene (das Wagner unvergleichlich auskomponiert hat) geht hinter einem starren Metrum verloren (und ausgerechnet bei den Bläserakkorden nahm sich das ansonsten ordentlich disponierte Orchester eine Auszeit). Dagegen stehen manche spannenden, fast explosiven Entwicklungen. In dieser Richtung muss sich das Dirigat weiterentwickeln, um durchgängig eigenständiges Profil zu erlangen. FAZITViele starke Momente überwiegen einige Leerstellen – der bisher deutlich stärkste Teil des Dortmunder Ring. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Kostüme
Dramaturgie
SolistenSiegfried Jürgen Müller
Der Wanderer
Alberich
Mime
Fafner
Erda
Brünnhilde
Stimme eines Waldvogels
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E-Mail: oper@omm.de
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