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Il Prigioniero (Der Gefangene)

Oper in einem Akt
Libretto von Luigi Dallapiccola nach de L'Isle Adam und de Coster
Musik von Luigi Dallapiccola

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Ich wandte mich und sah an alles Unrecht, das geschah unter der Sonne

Ekklesiastische Aktion
Texte nach dem alttestamentarischen Buch Prediger (Kapitel 4) und Die Brüder Karamasow von F. Dostojewskij vom Komponisten
Musik von Bernd Alois Zimmermann

in deutscher Sprache mit Übertiteln


Aufführungsdauer: ca. 1h 40' (keine Pause)
Premiere in der Oper am Dom am 27. März 2015


Logo: Oper Köln

Oper Köln
(Homepage)

Das Unrecht bleibt abstrakt

Von Stefan Schmöe / Fotos von Paul Leclaire

Was Luigi Dallapiccola (1904 - 1975) und Bernd Alois Zimmermann (1918 - 1970) verbindet, ist der politische Aspekt ihrer Musik - ein "Reflex auf das Weltgeschehen", wie der Kölner Dramaturg Georg Kehren hervor hob. Ist Dallapiccolas Il Prigioniero, entstanden in den späten 1940er-Jahren, geprägt von den Erfahrungen des Faschismus und des Weltkriegs, so reagiert Zimmermann mit seinem als "Ekklesiastische Aktion" bezeichneten Konzertstück Ich wandte mich und sah alles Unrecht, das geschah unter der Sonne 1970 auf eine unter dem atomaren Wettrüsten moralisch diskreditierte und handlungsunfähige Gesellschaft. Beide Werke drehen sich illusionslos um einen nicht einlösbaren Freiheitsbegriff. Beide wählten Komponisten gleichermaßen die spanische Inquisition als Ausgangspunkt und negativen Gegenpol. Wichtiger für die Kombination dieser Werke als dieses eher zufällige Detail war aber wohl, dass die Hauptpartie einem Bariton anvertraut ist - und da bietet die Kölner Oper mit dem in jeder Beziehung großartigen Bo Skovhus eine Weltklassebesetzung auf.

Szenenfoto

Gefangen im Buchstabensalat: Bo Skovhus ist der Prigioniero

Aber zunächst zum Inhaltlichen. In Dallapiccolas Il Prigioniero (Der Gefangene) verzweifelt ein namenloser Inhaftierter in den Kerkern der spanischen Inquisition unter Philipp II. Ausgerechnet der Kerkermeister gibt ihm unerwartet Hoffnung, spricht ihn mit "fratello" ("Bruder") an, was Dallapiccola in trügerischem h-Moll als kompositorische Chiffre für das Verlogene (nebenbei ist da wohl auch der - reaktionär tonale - Neoklassizismus seiner Zeitgenossen gemeint), denn der Kerkermeister entpuppt sich als der Großinquisitor, und der vermeintliche Fluchtweg endet für den Gefangenen vor dem Scheiterhaufen. Die Hoffnung sei die schlimmste Form der Folter, so das düstere Fazit. Skovhus singt das mit prächtig klangvollem, großformatigem Bariton grandios. Dagegen fällt der Kerkermeister von Raymond Very mit etwas mattem Tenor ein wenig ab. Eindrucksvoll Dalia Schaechter als ausdrucksstarke Mutter des Gefangenen, von düsteren Visionen gequält. Man fragt sich, warum das etwa einstündige Werk vergleichsweise selten gespielt wird: Zwar komponiert der Schönberg-Anhänger Dallapiccola nach dessen Zwölftonmethode, bleibt aber der italienischen Operntradition insofern verhaftet, als diese Musik sehr klangsinnlich und expressiv ist, auch von den Singstimmen her gedacht, mit wirkungsvollen Chorpartien durchsetzt und bei aller Komplexität durch seine Emotionalität recht leicht fassbar. Unter der Leitung von Gabriel Feltz kostet das Gürzenich-Orchester die delikaten Klangfarben sehr schön aus. Große Oper.

Szenenfoto

Kreuzigungsszene, sehr katholisch, und theologisch sicher fragwürdig: Bo Skovhus und Chor

Als Brücke zu Zimmermann dient Johann Sebastian Bachs Choral Es ist genug aus der Kantate O Ewigkeit, du Donnerwort - den hat schon Alban Berg als integralen Bestandteil in seinem Violinkonzert verwendet, und Zimmermann zitiert den Choral am Ende seiner Komposition, bricht ihn aber geradezu brutal ab. Hoffnung ab es für den Komponisten da nicht mehr, einige Tage nach Vollendung der Partitur beging Zimmermann Selbstmord. Die zu Beginn streng organisierte Musik löst sich in frei zu variierende Elemente auf, Ausdruck einer im Unrecht zerfallenden Welt, mit dem Bachzitat als einem letzten, vergeblichen Aufbäumen. In der Kölner Produktion singt ein Teil des Opernchores diesen Choral zweimal vollständig, einmal zum Beginn des Abends, das zweite Mal zwischen den beiden Werken, und schafft so eine musikalische Klammer. (Aber so klangprächtig die große Chorbesetzung im Prigioniero ist, so blass bleibt diese vom Oberrang gesungene Choraldarbietung- mit starkem und hier unangemessenem Tremolo gesäuselt, geht das am Charakter des Chorals ziemlich weit vorbei.)

Szenenfoto

Da spielen die beiden Sprecher (Jörg Ratjen, Stephan Rehm) in der Ekklesiastischen Aktion mit der Welt wie einst Charlie Chaplin als Großer Diktator - Bo Skovhus leidet betroffen

Zimmermann hat eine der düstersten Bibelpassagen aus dem Buch des Predigers Salomo (das Liber Ecclesiastes, der Untertitel Ekklesiastische Aktion spielt darauf an) verwendet: "Ich wandte mich und sah an alles Unrecht, das geschah unter der Sonne; und siehe, da waren die Tränen derer, die Unrecht litten und hatten keinen Tröster mehr, und die ihnen Unrecht getan hatten, waren zu mächtig, dass sie keinen Tröster haben konnten. […] Wehe dem, der allein ist." Der Text wird zunächst von einem Sprecher vorgetragen, dann vom Bariton gesungen und damit der sachliche Bericht auf eine emotionale Ebene gehoben. Zweite Textschicht ist eine Erzählung aus Dostojewskijs Die Brüder Karamasow. Dort wird der zu Zeiten der Inquisition zurück gekehrte Christus durch den greisen Großinquisitor verhört. Christus habe, so der Vorwurf, den Menschen zu viel Verantwortung zugemutet. "Unuhe, Verwirrung und Unglück, das ist das Los nach alledem, was Du für ihre Freiheit erduldet hast. […] Komme nie, nie mehr wieder … niemals, niemals!". Nach den musikalischen Exzessen seiner fünf Jahre zuvor uraufgeführten Oper Die Soldaten reduziert Zimmermann die musikalischen Mittel, gibt Bläsern und Schlagwerk große Bedeutung und lässt die beiden Sprecher in diesem für das Konzertpodium bestimmten Werk halbszenisch agieren. "Luftsprünge mit erhobenen Armen und gespreizten Beinen" schreibt er vor, auch "Boxhiebe in die Luft". Der unfreie Mensch wird zur Marionette.

Szenenfoto

Ende im digitalen Rauschen: Bo Skovhus

Das hat im Konzertsaal sicher noch einen anderen, stärker irritierenden Effekt als auf der Bühne. Regisseur Markus Bothe lässt die beiden Sprecher als Bösewichter im Anzug agieren, und ein wenig erinnert der hagere Stephan Rehm im Gestus an Wolfgang Schäuble - das mag Zufall sein, geht aber sicher in die intendierte Richtung: Der schlechte Mensch ist offenkundig ein Vertreter unseres (Wirtschafts-)Systems. Weitere konkrete Anspielungen auf aktuelle Politik gibt es nicht. Der Sänger dazwischen, der mit den Bibelworten Zimmermanns abgrundtiefen Pessimismus zum Ausdruck bringt, verharrt in der Pose des leidenden Christus. Zuvor ist er als Gefangener im Schlussbild des Prigioniero gekreuzigt worden. Da wird freilich die Kreuzigungssymbolik unter Aussparung der Erlösungsbotschaft weitgehend auf den bühnenwirksamen Aspekt des Martyriums reduziert (man könnte auch sagen: trivialisiert). Die bildgewaltige, aber inhaltlich doch oberflächliche Regie macht nicht recht plausibel, warum man Zimmermanns Komposition auf die Theaterbühne verfrachtet.

Und auch bei Dallapiccola ist die Inszenierung in erster Linie dekorativ. In einen riesigen Block, der aus angehäuften Buchstaben besteht - da geht es wohl, ziemlich unverbindlich, um die berühmte Gedankenfreiheit - ist ein verliesartiger Gang eingefräst, in dem der Gefangene hockt. Wenn sich der Block in der Mitte teilt, hat man ein Kreuzsymbol, und im Hintergrund blitzen, mitunter synchron im Takt der Musik, Lichteffekte auf. Die Videoprojektionen (Fritz Gnad) lassen immer wieder Buchstaben purzeln. Das sieht weitgehend nett aus, bleibt aber sehr harmlos im irgendwie Allgemeingültigen sehr weit weg von den Problemen unserer Welt. Konkret wird die Regie, wenn am Schluss des Prigioniero der Chor die zeitlosen Kutten abwirft und in katholischen Purpur erscheint. Solcher Antikatholizismus (der ja beinahe zum guten Ton in Regiekreisen gehört) wirkt in diesem Kontext ziemlich plump, denn er ist ja im Text schon vorgegeben. Aber überhaupt doppelt die Inszenierung den Text an allen Ecken und Enden, mitunter ganz wörtlich, wenn sie ihn auf das Bühnenbild projiziert. Szenisch wird das Unrecht unter der Sonne und die negierte Freiheitsutopie auf einer abstrakt ästhetischen Ebene verhandelt, die sich genüsslich degoutieren lässt. Ein wenig weiter und konkreter müssten die Assoziationen dann doch gehen, um den Komponisten gerecht zu werden.


FAZIT

Musikalisch ein höchst spannender Abend mit einem herausragenden Bo Skovhus als tragender Säule. Szenisch dominiert ein ziemlich unverbindlicher Leidensgestus - da wird doch einiges verschenkt.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Gabriel Feltz

Regie
Markus Bothe

Bühne
Robert Schweer

Kostüme
Esther Geremus

Licht
Nicol Hungsberg

Video
Fritz Gnad

Chor
Marco Medved

Dramaturgie
Georg Kehren


Chor der Oper Köln

Gürzenich-Orchester Köln


Solisten

Il Prigioniero

Die Mutter
Dalia Schaechter

Der Gefangene
Bo Skovhus

Kerkermeister / Großinquisitor
Raymond Very

1. Priester
Taejun Sun

2. Priester
Wolfgang Schwaiger

Ekklesiastische Aktion

1. Sprecher
Jörg Ratjen

2. Sprecher
Stephan Rehm

Bass-Solo
Bo Skovhus



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Da capo al Fine

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