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Anatevka (Fiddler on the Roof)

Musical basierend auf Geschichten von Scholem Alejchem
Buch von Joseph Stein
Gesangstexte von Sheldon Harnick
Deutsch von Rolf Merz und Gerhard Hagen
Musik von Jerry Bock


in deutscher Sprache mit verschiedensprachigen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h 15' (eine Pause)

Premiere an der Komischen Oper Berlin am 3. Dezember 2017
(rezensierte Aufführung: 15.12.2017)


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Komische Oper Berlin
(Homepage)
Auf den Schrank gekommen

Von Roberto Becker / Fotos von Iko Freese - drama-berlin.de

Anatevka in Ostberlin. Ein paar Minuten vom Holocaust-Mahnmal entfernt. Von Barrie Kosky inzeniert. Das hat seine Richtigkeit. Ist politisch korrekt. Und grandios gemacht. Es passt an diesen Ort, zu diesem Intendanten und Regisseur. Und zu seinem Publikum. Es hat obendrein (leider) einen direkten Bezug zu einer Gegenwart, in der Worte wie "Flüchtling" nichts Historisches, sondern etwas sehr Aktuelles haben. Anatevka an der gleichen Stelle in den 1970er-Jahren, mit einem klaren Koordinatensystem für und gegen wen der damals real existierende Staat und seine Bürger im Nahen Osten Position zu beziehen hatten, war eine kulturpolitische Großtat. Irgendwie gegen den Strich. So subversiv, wie eben nur Kunst sein kann. Wohl auch eine Machtdemonstration vom Opern-Übervater und Regisseur Walter Felsenstein.

Vergrößerung Der Milchmann und sein Wagen

Klar, dass Barrie Kosky auf die Idee kommen musste, im 70. Jubiläumsjahr der Komischen Oper daran mit einer eigenen Neuinszenierung dieses, tja was eigentlich? zu erinnern. Eines Musicals? Oder besser eines Schauspiels mit Musik? Jedenfalls ist es ein Ausflug in eine untergegangene Schtetl-Welt der Juden irgendwo im Russland eines Zaren, bei dem gelegentliche Pogrome zum politischen Normalzustand gehörten. Mit des Milchmanns Tevje berühmtem Stoßseufzer-Hit Wenn ich einmal reich wär, den jeder drauf hat. Und mit einer Geschichte, gegen deren emotionales Überwältigungspotenzial man sich kaum wehren kann.

Nicht weil die abgeschottete, auf ihren Traditionen ruhende jüdische Mikro-Welt so toll wäre. Im Gegenteil, oder - wie der berühmte Milchmann in seinen Zwiegesprächen mit seinem Herrgott sagen würde - andererseits... Es ist Tevjes tiefe Menschlichkeit, wenn er sich auf das Neue einlässt und, zumindest bei den Partnerwünschen von zweien seiner Töchter, die starren Traditionen zu überwinden vermag. Großartig, wie er seiner Golde einen Traum vorspielt und die tote Großmutter aufmarschieren lässt, damit auch seine Frau akzeptiert, dass seine älteste Tochter nicht den alten, aber reichen Metzger, sondern den armen, aber von ihr innig geliebten Schneider heiraten darf. Dorf-Skandal hin oder her. Des Milchmanns Hütte und ganz Anatevka sind bei Rufus Didwiszus auf den Schrank gekommen. Kosky wollte keine Chagall-Folklore, aber doch bei der Sache bleiben. Und das ist grandios gelungen. Ein verwischter Wald (a la Gerhard Richter) im Hintergrund. Und auf der Drehbühne ein Gebirge aus Schränken. Die alles sind: Draußen und Drinnen und die Türen dazwischen.


Vergrößerung Die Hochzeitsgesellschaft nach einer Attacke mit Milch übergosse

Der den eigentlichen Titel Der Fiedler auf dem Dach gebende Musiker ist hier ein Teenager von heute. Raphael Küster kommt in Bluejeans auf einem Roller und hört über Kopfhörer dröhnende Discomusik. Dann öffnet er (wie das neugierige Kinder halt so machen) den Schrank findet eine Geige, fängt zu spielen, und ist der Fiedler auf dem Schrank. Aus dem kommen dann auch der Milchmann Tevje und nach und nach alle Bewohner des Ortes. Das funktioniert. Rettet aber nicht vor der Überwältigung. Allein schon Max Hopp als Milchmann Tevje und Dagmar Manzel als seine Frau Golde reißen jede optische Verfremdung wieder ein. Was ist schon Anatevka, sagt Golde im Anpassungsmodus an die aktuelle Vertreibung am Ende: ein Stuhl, ein Bett, ein Schrank. Was die Russen sich nicht schnappen, ist schnell verladen auf den Wagen des Milchmanns.

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Die Tochter geht: Ein Abschied für immer

Kosky kriegt das Kunststück fertig, ein Anatevka auf die Bühne zu stellen, das ohne jeden Folklore-Kitsch auskommt und dennoch tief berührt. Für die beiden zentralen Rollen so maßgeschneiderte Darsteller zu haben, die auch singen können, aber vor allem als Menschen mit Herz und Gefühl, Schnauze und Witz überzeugen, ist die halbe Miete. Das geht aber so weiter: ob nun Jens Larsen als der geprellte Bräutigam Lazar Wolf oder die wunderbare Barbara Spitz als nicht unterzukriegende Heiratsvermittlerin Jente, ob Johannes Dunz als armer Schneider Mottel, der seine Zeitel (Talya Lieberman) kriegt wie Ezra Jung als smarter Revoluzzer Perchik seine Hodel (Alma Sadé), man kann gar nicht anders, als mit ihnen zu fühlen.

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Was übrig bleibt ...

Weil der Regisseur Kosky nicht nur einen untrüglichen Instinkt für Timing und Tempo hat, und den fabelhaft spielfreudigen Chor und ein perfektes Dutzend Tänzer, die jüdisch und russisch tanzen können (Choreografie: Otto Pichler), und weil Koen Schoots im Graben das Orchester der Komischen Oper mit Broadway-Schmiss auflädt, dass es eine mitreißende Freude ist, wird dieses neue Anatevka ein Wurf. Sein anhaltender Erfolg ist eine ausgemachte Sache. Da gibt es kein Andererseits.


FAZIT

Barry Kosky inszeniert Scholem Alejchems und Jerry Bocks Anatevka an der Komischen Oper temporeich und ergreifend, ohne in die Folklore abzurutschen.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Koen Schoots

Inszenierung
Barrie Kosky

Bühne
Rufus Didwiszus

Kostüme
Klaus Bruns

Choreographie
Otto Pichler

Licht
Diego Leetz

Chor
David Cavelius

Dramaturgie
Simon Berger



Chorsolisten
der Komischen Oper Berlin

Orchester der Komischen Oper


Solisten

Tevje, ein Milchmann
Max Hopp

Golde, seine Frau
Dagmar Manzel

Zeitel, seine älteste Tochter
Talya Lieberman

Hodel, zweite Tochter
Alma Sadé

Chava, dritte Tochter
Maria Fiselier

Jente, eine Heiratsvermittlerin
Barbara Spitz

Mottel Kamzoil, Schneider
Johannes Dunz

Perchik, Hodels Verehrer
Ezra Jung

Lazar Wolf, ein Metzger
Jens Larsen

Motschach
Jan-Frank Süße

Ein Rabbi
Peter Renz

Mendel, sein Sohn
Denis Milo

Awram
Carsten Lau

Nachum
Tim Dietrich

Fruma-Sara, Lazar Wolfs erste Frau,
Oma Zeitel, Goldes Grossmutter
Sigalit Feig

Wachtmeister/ Russe
Karsten Küsters

Fedja, ein junger Mann
Ivan Turšić

Schandel
Saskia Krispin

Fiedler
Raphael Küster



Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Komischen Oper Berlin
(Homepage)



Da capo al Fine

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