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Die Liebe in Zeiten der Verwüstung
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Thilo Beu
In der Mythologie - und im der Mythologie verfallenen Barock - geht es mitunter reichlich erotisch zu. Jupiter verliebt sich in Calisto, Nymphe der Göttin Diana und damit zur Keuschheit verpflichtet, und er verführt sie ausgerechnet in Gestalt eben der Diana. Diese pflegt, obgleich nicht nur Göttin der Jagd, sondern auch der Keuschheit, eine amouröse Beziehung zum Hirten Endimione. Wobei die echte und die falsche Diana, unwissend voneinander, ziemlich viel Verwirrung stiften. Das kann natürlich nicht gut ausgehen. ![]()
In ihrer 1651 uraufgeführten Oper, die in der Monteverdi-Nachfolge steht, spielen Franceso Cavalli und Librettist Giovanni Faustini mit Elementen, wie sie in der Boulevard-Komödie bis heute überlebt haben, und gleichzeitig mit den großen Themen: Jupiters Gattin Juno verwandelt Calisto in eine Bärin, doch später soll sie als Sternbild - der Große Bär - in die Ewigkeit eingehen. Die Bonner Oper hat eine pandemietaugliche Fassung der Oper erstellt, komprimiert auf 90 Minuten Spieldauer und in einer Orchesterbesetzung für kleines Streichorchester und um eine Orgel erweitertes Continuo. Angesichts des, das sei vorweggenommen, exzellenten musikalischen Niveaus der Aufführung mögen die Kürzungen schmerzlich sein, aber das Ergebnis ist eine sehr konzentrierte, mitunter etwas sprunghafte, sehr kurzweilige Fassung. ![]() Juno
Die Handlung geht auf OvidsMetamorphosen zurück und setzt ein, nachdem Phaeton die Erde weitgehend verbrannt hat. Regisseur Jens Kerbel und das Bühnenbilder-Team fettFilm (Momme Hinrichs und Torge Möller) haben eine trostlose Betontreppe, vielleicht Reste eines Staudamms, als schlüssiges und für unsere Zeit leicht zu entschlüsselndes Zeichen einer naturzerstörenden Weltordnung gefunden. Mit wechselnden Videoprojektionen wird das Modell wandelbar eingesetzt; dass auf der Bühne Mindestabstände eingehalten werden müssen, nimmt man nicht weiter wahr. Brillant sind die Kostüme von Verena Palkowski, verspielt den mythologischen Hintergrund wie auch barocke Pracht zitierend, gleichzeitig Kunstfiguren erschaffend, die trotzdem lebendig sind. So ist die Geschichte fein ausbalanciert zwischen praller Komödie und Parabel auf die ver- und zerstörende Kraft der Liebe auch unter widrigen Bedingungen: Keine platte Aktualisierung, sondern trotz mitunter derben Humor ein feinsinniges Kammerspiel, bei dem die arme Nymphe am Ende als Bär mit bluttriefendem Maul auf eine bessere Ewigkeit warten muss. ![]()
Wenn Jupiter in Gestalt der Diana die attraktive Calisto schwängert (bei Ovid ist das ein wenig anders, da zeigt er in der Vergewaltigung seine wahre Gestalt), geraten Kategorien wie "männlich" und "weiblich" schnell durcheinander. Jupiter wird als Chefgott von einem Bass (solide: Martin Tzonev), in Gestalt der Diana von einem Sopran (souverän auftrumpfend als echte wie als falsche Göttin: Charlotte Quadt) gesungen. Das Regieteam spielt mit den Geschlechterrollen, zeichnet Calisto (stimmlich mädchenhaft anrührend: Lada Bockova) durchaus jungenhaft, Dianas Aufpasserin Linfea, selbst auf der Suche nach (bevorzugt ehelichen) erotischen Erfahrungen (charmant komödiantisch: Kieran Carrel), ist mit männlichen wie weiblichen Attributen ausgestattet. Die Liebe ist eben nicht an Geschlechts- und Rollenbilder gebunden. In der apokalyptisch-märchenhaften Atmosphäre wird das mit leichter, unaufgeregter Hand abgehandelt. Wie man als Mensch an der Liebe und ihren ständigen Wandlungen fast irre werden kann, sieht man am Hirten Endimione (eindrucksvoll: Countertenor Benno Schachtner). ![]() Ensemble
Giorgios Kanaris steuert einen (in diesem Fall sehr maskulin gezeichneten) ordentlich gesungenen Merkur bei, Begleiter und Berater Jupiters. Die musikalische Krone gebührt Marie Heeschen als betörend schön singende Juno, warm und lyrisch strömend. Susanne Blattert, Ava Gesell und Tobias Schabel runden ein ausgezeichnetes, sehr gut harmonierendes Ensemble ab, das am Ende als Chor agiert und mit der Verheißung "Calisto, zu den Sternen!" ein eindrucksvoll offenes Ende stehen lässt: Der Vorhang zu und alle Fragen offen, um mit Brecht zu sprechen. Das Kammerorchester unter der Leitung von Hermes Helfricht könnte in den Streichern noch griffiger, pointierter spielen, erzeugt aber eine Fülle von Klangfarben, die das Fehlen von Blasinstrumenten gut kompensieren kann.
Eine sehr sehens- und hörenswerte Produktion, die mit großem Einfühlungsvermögen stilsicher ebenso zwischen Barock und Gegenwart wie zwischen Poesie und handfester Komödie bewegt. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der rezensierten Aufführung
L'Eternità / Pane
La Natura / Diana / Giove in Diana
Il Destino / Giunone
Giove
Mercurio
Calisto
Endimione
Satirino / Erste Furie
Linfea / Zweite Furie
Silvano
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E-Mail: oper@omm.de
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