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Und Erda schaut zuvon Thomas Molke / Fotos: JU und Michael Kneffel (© Ruhrtriennale)
Was ist den Wagner-Anhängern im Vorfeld der ersten Ruhrtriennale unter der künstlerischen Leitung des Niederländers Johan Simons nicht alles angedroht und den Freunden des modernen Regietheaters versprochen worden: Richard Wagners Rheingold im Herzen des Ruhrgebiets in völlig neuem Gewand, als experimentelles Ereignis mit neu eingefügter elektronischer Musik des finnischen in Berlin lebenden Musikers Mika Vainio. Wer allerdings jetzt auf einen Eklat gehofft hatte, wurde sicherlich enttäuscht. Im tiefsten Innern blieb Wagners Rheingold auch trotz der eingefügten Musik in relativ traditionellem Gewand und Wagner-Anhänger konnten beruhigt aufatmen, im Gegensatz zu Monteverdi-Fans. Während sich nämlich hinter der "Sterbeübung" Orfeo im Salzlager der Kokerei Zollverein in Essen nur sehr wenig Monteverdi verbarg (siehe auch unsere Rezension), gab es in der Jahrhunderthalle immerhin Wagners kompletten Vorabend, auch wenn sich szenisch nicht jeder Regieeinfall des Intendanten erschloss. Alberich (Leigh Melrose) mit den Rheintöchtern Woglinde (Anna Patalong, links), Floßhilde (Jurgita Adamonyt ė) und Wellgunde (Dorottya Láng) (© JU / Ruhrtriennale)So wurden bis kurz vor der Premiere Statisten gesucht, die allerdings nicht, wie häufig beim Rheingold, als geknechtete Nibelungen den Schatz transportieren müssen, sondern auf weißen Plastikstühlen mit dem Orchester MusicAeterna auf der Bühne sitzen und lediglich als Zuschauer fungieren. Zu einer Beobachterin der ganzen Geschichte wird auch Erda. Direkt zu Beginn des Abends betritt Jane Henschel in einem grau gestreiften Kleid als alte Frau mit weißen Haaren die Bühne - da kann man sich kaum vorstellen, dass sie zwischen Rheingold und Walküre noch Brünnhilde gebären soll - und nimmt "am Ufer des Rheins" Platz. Der besteht aus drei großen, flachen Bassins und "fließt" vor dem Podium, auf dem das Orchester mit den Statisten untergebracht ist. Ein Teil des Wassers ist mit dem Stuckwerk einer Zimmerdecke bedeckt. Auf der rechten Seite des mittleren Bassins ragt ein kristallener Kronleuchter empor und deutet an, dass hier eine zivilisierte Welt in den Tiefen des Rheins bereits untergegangen ist. Befindet man sich am Beginn einer neuen Welt, die mit der Götterdämmerung dann erneut in Schutt und Asche gelegt wird? Wotan (Mika Kares, ganz hinten) und Loge (Peter Bronder, vorne) suchen Alberich (Leigh Melrose, Mitte) und Mime (Elmar Gilbertsson, hinten liegend) in Nibelheim auf.(© JU / Ruhrtriennale) Simons führt außerdem einen neuen Charakter ein, Sintolt den Hegeling. Dabei handelt es sich in Wagners Libretto zur Walküre eigentlich um einen Krieger, der in der Schlacht gefallen ist und von der Walküre Helmwige nach Walhall gebracht wird. Bei Simons ist er der Diener der Götter, der nicht nur in einer kurzen unterhaltsamen Einführung vor der Vorstellung über Richard Wagners revolutionäre Intention mit dem Rheingold informiert, sondern auch zwischen dem zweiten und dritten Bild einen kämpferischen Monolog hält, in dem er aus Richard Wagners Schrift Die Revolution zitiert, die unter anderem dazu führte, dass er als politischer Flüchtling für viele Jahre ins Exil in die Schweiz ging. Mit großem Pathos trägt Stefan Hunstein als Sintolt die antikapitalistischen Auffassungen vor, verspricht bei der Einführung sogar, am Ende der Vorstellung einen Sack mit Kohle und einen Sack mit Gold am Ausgang aufzustellen und die Zuschauer selbst entscheiden zu lassen, ob sie mit der Kohle eine neue Revolution starten und die Jahrhunderthalle in Schutt und Asche legen oder doch lieber nur das Gold, das übrigens dem Land NRW gehöre, an sich raffen wollen. Diese Säcke sucht man am Ende der Aufführung zum Glück vergebens. Erda (Jane Henschel, vorne) warnt Wotan (Mika Kares, oben vierter von links) vor dem Ring (oben von links: Sintolt (Stefan Hunstein), Fafner (Peter Lobert), Fricka (Maria Riccarda Wesseling), Wotan, Loge (Peter Bronder), Freia (Agneta Eichenholz) und Fasolt (Frank van Hove)). (© Michael Kneffel) Dass auch diese Szene nicht zu einer Zertrümmerung von Wagners Oper führt, liegt vor allem an der Stelle, an der der Monolog mit der elektronischen Musik von Mika Vainio eingefügt wird. Wenn die klirrenden Ambosse den Abstieg Wotans und Loges nach Nibelheim musikalisch untermalen, wird dieses Klangspiel einfach verlängert. Einzelne Musiker aus dem Orchester erheben sich, greifen zu Hämmern, die in einem Eimer unter dem Dirigentenpult stehen, und verlassen die Bühne, um - so lässt es sich wohl deuten - mit den Hämmern die bestehende Ordnung des Kapitalismus zu zerstören. In diesem Moment erheben sich auch einige Statisten von ihren weißen Plastikstühlen. Allerdings ist darin kein System zu erkennen. Erda verlässt während dieser Szene übrigens die Bühne. Erst zum vierten Bild nimmt sie ihre Position als stumme Beobachterin wieder ein, bis sie Wotan vor den Gefahren des Rings warnt. Anschließend legt sie sich im Rhein zur Ruhe, während die Rheintöchter sich zu ihr gesellen, um beim Einzug der Götter in Walhall den Verlust des Goldes zu beklagen. Der Einzug in Walhall findet übrigens nicht statt. Bühnenbildnerin Bettina Pommer hat zwar in ein riesiges Gerüst hinter dem Orchester eine gewaltige weiße Wand mit mehreren Türen aufgebaut. Doch der Versuch, diese Türen zu öffnen, wird nicht von Erfolg gekrönt. So bleibt den Göttern am Ende nichts anderes übrig, als sich zu den übrigen Figuren zu gesellen, die entweder im oder am Rhein verharren. Finale ohne Einzug in Walhall (vorne: Wotan (Mika Kares), vor dem Orchester von links: Donner (Andrew Foster-Williams), Erda (Jane Henschel) und Sintolt (Stefan Hunstein), oben von links: Loge (Peter Bronder) und Froh (Rolf Romei)) (© Michael Kneffel) Natürlich ist das Gold, das Alberich im ersten Bild den Rheintöchtern raubt, die Kohle des Ruhrgebiets, so dass in Nibelheim Mime später auch als Bergarbeiter unter Tage schuftet. Von der Grundidee ist dagegen nichts einzuwenden. Allerdings wird dieser Ansatz nicht durchgehalten. So gibt Simons keine Antwort darauf, wie denn der Ring aus Kohle geschmiedet werden soll. Auch die Einlösung Freias im vierten Bild bleibt merkwürdig. Wenn die Riesen ausbezahlt werden, ist es ein kleines goldenes Puppenkleidchen, das als Maß vor die Göttin der Jugend gehalten wird, die in Simons' Inszenierung als Domina in Lack und Leder auftritt. Schon bevor die Riesen die Einlösung verlangen, baut Mime im Rhein einen kleinen Turm aus schwarzen und weißen Steinen. Hier wird wohl die Kohle mit dem Rest des herrschaftlichen Hauses vermengt, das im Rhein versenkt worden ist. Wieso sich Mime und Alberich nach Alberichs Fluch in nahezu inniger Umarmung im Rhein schlafen legen und bis zum Ende dort verharren, wirft genauso viel Fragen auf wie die Tatsache, dass sich Alberich im ersten Bild mit gut ausgestatteten Gummipuppen vergnügt, die ihm die Rheintöchter, die zunächst wie bei einer konzertanten Aufführung vor dem Orchester sitzen und den Text dabei auch noch scheinbar vom Blatt ablesen, nur mit Mühe entwenden können. Musikalisch bewegt sich die Vorstellung auf gutem Niveau. Wegen der Größe der Halle sind die Solisten alle mit Mikroports ausgestattet, die aber so gut ausgesteuert werden, dass man die stimmliche Verstärkung keineswegs als störend empfindet. Im Gegenteil bieten sie den Solisten vielmehr die Möglichkeit, in der Darstellung viel beweglicher zu sein und dabei dem gesungenen Text einen vielschichtigeren Ausdruck zu verleihen. Besonders hervorzuheben ist hier Leigh Melrose als Alberich, der stellenweise in einen regelrechten Flüsterton verfällt und damit dem Nachtalben eine sehr differenzierte Färbung gibt. Bei seinem Fluch beweist er dann, welche Durchschlagskraft in seinem Bariton steckt. Im dritten Bild gelingt es ihm, mit bloßen Bewegungen und Andeutungen die Illusion eines Riesenwurms zu erzeugen, der sich gefährlich durch die drei Bassins schlängelt und seinen Bruder Mime bedroht. Elmar Gilbertsson stattet Alberichs Bruder mit kräftigem Tenor aus und gefällt durch eine hervorragende Textverständlichkeit. Gleiches gilt für Peter Bronder als Loge, der dem Feuergott darstellerisch und stimmlich die erforderliche Verschlagenheit verleiht. Bei den beiden Riesen wirkt Frank van Hove als Fasolt mit seinem etwas helleren Bass schon beinahe lyrisch, was aber sehr gut zu dem verliebten Riesen passt, während Peter Lobert der Partie des Fafner mit dunkler Schwärze einen wesentlich kälteren Charakter verleiht. Mika Kares stattet den Wotan mit kernigem Bariton und bewegendem Spiel aus. Mit Maria Riccarda Wesseling als Fricka hat er eine stimmgewaltige Gattin zur Seite. Anna Patalong, Dorottya Láng und Jurgita Adamonyt ė gefallen als Rheintöchter mit harmonischem Dreiklang. Jane Henschel verleiht der Urwala Erda mit dunklem Alt autoritäre Größe. Agneta Eichenholz ist als Göttin der Jugend, Freia, hübsch anzusehen und überzeugt mit leuchtendem Sopran. Rolf Romei stattet den Froh mit leichtem Tenor aus. Wieso er beim Einzug der Götter am Ufer des Rheins herumtänzeln muss, bleibt ein unnötiger Regieeinfall. Andrew Foster-Williams wirkt als Donner zunächst ein bisschen blass, trumpft aber im vierten Bild mit kräftigem Bariton auf, wenn er mit einem Donnerschlag den Nebel zerschlägt. Das Wetter außerhalb der Jahrhunderthalle leistet an diesem Abend noch einen ganz eigenen Beitrag zur Aufführung. Fast passend zu Alberichs Fluch donnert es nämlich ziemlich kräftig, so dass auch der Himmel über der Jahrhunderthalle zunächst die Liebe und schließlich den Ring zu verfluchen scheint. Teodor Currentzis führt das russische Orchester MusicAeterna mit sicherer Hand durch den Abend und lässt den Abend auch trotz des Einschubs zu einem musikalischen Erlebnis werden, so dass es am Ende frenetischen Applaus für alle Beteiligten gibt.
Dieser Vorabend ist inhaltlich sicherlich näher am Libretto des Rings, als was man derzeit in Bayreuth erleben kann. Ob es bei der kommenden Ruhrtriennale mit der Tetralogie weitergeht, ist natürlich reine Spekulation, wäre aber nach Meinung zahlreicher Zuschauer bestimmt wünschenswert. Weitere Rezensionen zur Ruhrtriennale 2015 Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
ProduktionsteamMusikalische Leitung Regie Elektronische Musik Bühne Kostüme Licht Dramaturgie
Solisten
Wotan
Donner
Froh
Loge
Alberich
Mime
Fasolt
Fafner
Fricka
Freia
Erda
Woglinde
Wellgunde
Floßhilde
Sintolt der Hegeling, Diener
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