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Destruktive Liebevon Thomas Molke / Fotos: JU / Ruhrtriennale (© Julian Roeder)
Nachdem Johan Simons in seinem ersten Jahr als künstlerischer Leiter der Ruhrtriennale mit Richard Wagners Das Rheingold den Vorabend zur Ring-Tetralogie in der Jahrhunderthalle in Szene gesetzt hatte (siehe auch unsere Rezension), hatte gar mancher Zuschauer wohl gehofft, in den beiden folgenden Jahren den Rest des Rings hier erleben zu dürfen. Doch für drei weitere Teile reichen zwei Jahre nicht. So geht es im Bereich der Oper in diesem Jahr nicht mit Richard Wagner weiter, sondern mit einem anderen Komponisten, der ein knappes Jahrhundert zuvor mit seinen Reformopern einen ersten Schritt von der streng vorgeschriebenen Unterteilung in Rezitative und Arien hin zu durchkomponierten Werken gemacht hatte: Christoph Willibald Gluck. Dabei ist die Wahl aber nicht auf dessen wohl berühmtestes Werk Orfeo ed Euridice gefallen, das den ersten Meilenstein in der Entwicklung der Operngeschichte weg von der Tradition der barocken Opera seria darstellte, sondern auf die italienische Fassung der Alceste, die nicht nur äußerst selten auf den Spielplänen zu finden ist, sondern auch wenn sie gespielt wird, in der Regel in der zehn Jahre später entstandenen französischen Fassung zu erleben ist. Dennoch - oder gerade deswegen - hat man sich bei der Ruhrtriennale für die italienische Variante entschieden, die der musikalische Leiter René Jacobs der französischen aus mehreren Gründen vorzieht. Zum einen fokussiere sie sich mehr auf die eigentliche Tragödie zwischen der Titelfigur und ihrem Gatten Admeto. Zum anderen sei es Gluck nicht gelungen, die kraftvolle Musik an allen Stellen auf den recht sentimental gehaltenen französischen Text von Du Roullet überzeugend zu übertragen. Der Chor (MusicAeterna) auf der Flucht: Keiner ist bereit, sich für den König zu opfern. Gluck hatte das Werk in Wien ursprünglich als Traueroper für die Kaiserin Maria Theresia komponiert, um ihrem zwei Jahre zuvor verstorbenen Gatten Franz Stephan zu huldigen. Die Geschichte basiert auf einem alten Mythos, der vor allem in der Fassung des griechischen Tragödiendichters Euripides um 438 v. Chr. große Beliebtheit erlangte. Admeto, der König von Thessalien, erfährt, dass er bald sterben muss und dass er dem Tod nur entgehen kann, wenn sich ein anderer Mensch findet, der bereit ist, für ihn zu sterben. Allein seine Gattin Alceste will dieses Opfer auf sich nehmen. Während Admeto bei Euripides dieses Angebot annimmt und Herakles die traurige Geschichte zum Guten wendet, da dieser nach Alcestes Tod gerade am Königshof zu Besuch ist und im Kampf mit dem Tod Alceste aus der Unterwelt zurückholt (diese Version wählt Gluck auch in der französischen Fassung der Oper), weiß Admeto in der italienischen Fassung bis zu seiner Genesung nichts von Alcestes Entscheidung. Als er davon erfährt, will er verhindern, dass seine Frau für ihn in den Tod geht, und kämpft vergeblich dagegen an. Doch die Götter lassen nicht mit sich verhandeln und führen Alceste ins Totenreich. Erst Apollo zeigt sich über Alcestes Opferbereitschaft und Admetos Leid so gerührt, dass er die Liebenden wieder miteinander vereint, weil sie ein besseres Schicksal verdient hätten. Der Oberpriester des Apollo (Georg Nigl) erläutert Alceste (Birgitte Christensen) die Forderung der Götter (im Hintergrund: Joshua Kranefeld als Eumelo). Johan Simons nutzt in seiner Inszenierung die Gegebenheiten der Jahrhunderthalle beeindruckend aus. So ist das Publikum auf zwei Tribünen in einer L-Form um die Bühne positioniert, die sich in fast 100 m Länge durch die Halle erstreckt. Das B'Rock Orchester sitzt gegenüber der längeren Seite und rahmt die Sänger mit dem Publikum gewissermaßen ein. Der Chor MusicAeterna bewegt sich mal rechts, mal links vom Orchester und sorgt mit der zeitweiligen Teilung für einen bewegenden Klang. Warum Greta Goiris auch die männlichen Choristen mit langen farbigen Kleidern ausstattet, bleibt allerdings genauso unklar wie die Tatsache, dass der Chor Blumenschmuck um den Kopf trägt. Soll es der Grabschmuck für Alceste sein? Auch die weißen Plastikstühle auf der Bühne, die mal umgeschmissen, mal in unterschiedlichen Konstellationen auf der Bühne aufgestellt werden, erschließen sich nicht wirklich. Dabei ist es jedoch beeindruckend, wenn ein Stapel weißer Stühle aus einem Kasten aus der Decke auf die Bühne herabknallt, bevor sich das Orakel zu Wort meldet. Auch die hinter der kurzen Seite positionierten Schlaginstrumente sorgen für ein Gefühl, dass die Götter der Unterwelt wirklich aus einer anderen Welt in das Geschehen auf der Bühne eingreifen. Das Orakel wird nur über Lautsprecher eingespielt, so dass man an dieser Stelle durchaus die Illusion des Irrealen hat. Bei diesen Weiten der Bühne müssen die Solisten natürlich mit Microports ausgestattet werden, so dass sie auch zu hören sind, wenn sie Teilen des Publikums den Rücken zuwenden. Die Tonabmischung ist allerdings so eingestellt, dass man die Verstärkung der Solisten kaum wahrnimmt und das musikalische Erlebnis nicht beeinflusst wird. Bewegende Tiefe: Alceste (Birgitte Christensen) sucht im Wald die Götter der Unterwelt auf (auf der linken Seite: René Jacobs mit dem B'Rock Orchester). Simons' Personenregie geht immer dann besonders gut auf, wenn er sich auf wenige Figuren konzentrieren kann. Wenn Alceste im zweiten Akt die Heiligtümer der Unterwelt im tiefen Wald aufsucht, sorgt das Lichtdesign von Dennis Diels, der Alceste als überdimensionalen Schatten an die Rückwand wirft, für regelrechte Gänsehaut. Großartig arbeitet Simons auch nach der Pause das erste Aufeinandertreffen von Admeto und Alceste heraus. So lässt er Admeto in einer gewaltigen Entfernung zu seiner Frau sein Glück über seine Genesung preisen, da er zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiß, dass Alceste sich für seine Rettung geopfert hat. Wenn er dann versucht, sich seiner Frau zu nähern, nimmt sie von ihm wieder Abstand, um den Abschied von ihm in irgendeiner Weise erträglich zu machen. Als Alceste von den Göttern der Unterwelt geholt wird, schreitet sie unter der Zuschauertribüne ins Off. Hier bleibt übrigens fraglich, ob Alceste wirklich in den Kreis der Lebenden zurückkehrt, oder ob die Wiedervereinigung im Reich der Toten stattfindet. Beim Schlussjubel sind nämlich weder Alceste noch Admeto auf der Bühne zu sehen. Stattdessen bleiben die beiden Kinder Aspasia und Eumelo allein zurück. Während Aspasia zunächst an den großen Fenstern am Ende des Raumes Ausschau nach den Eltern zu halten scheint, läuft sie dann mit ihrem Bruder am Ende in fröhlichen Halbkreisen über die Bühne. Musikalisch gelingt es René Jacobs mit dem B'Rock Orchester, die Klangvielfalt der Partitur differenziert herauszuarbeiten und durch die Positionierung des Schlagwerks hinter dem Zuschauerblock einen betörenden Gesamtklang zu vermitteln, der die düstere Stimmung des Werkes wunderbar einfängt. Wenn dann die Blechbläser aus der Unterwelt ertönen, haben die Musiker ihren Platz auf der Bühne verlassen und spielen ebenfalls aus dem Off. Absolut lautmalerisch gelingt auch Alcestes Gang in den Wald im zweiten Akt, wenn die Musik Naturklänge nachahmt. Birgitte Christensen stattet die Titelpartie mit dunkel eingefärbtem Sopran aus und beweist in den Arien große Wandlungsfähigkeit. So gelingt ihr ein bruchloser Wechsel von einer erregten, verzweifelten Gattin hin zu einer Frau, die mit geradezu stoischer Gelassenheit ihr Schicksal auf sich nimmt. Zu erwähnen ist ihre bewegende Interpretation der berühmten Arie "Ombre, larve" im zweiten Akt, die man hauptsächlich in der französischen Fassung "Divinités du Styx" kennt und die mit dem italienischen Text im Sprachrhythmus recht ungewohnt klingt. Thomas Walker überzeugt als ihr Gatte Admeto mit höhensicherem Tenor, der die innere Zerrissenheit des Königs mit großartiger Modulation auslotet. Man nimmt ihm wirklich ab, dass er nicht bereit ist, das Opfer seiner Frau zu akzeptieren, und es wirkt absolut glaubwürdig, dass die Wiedervereinigung der beiden wohl nicht im Diesseits stattfindet. Georg Nigl, der die Partien des Herolds, des Oberpriesters des Apollo, eines Gottes der Unterwelt und des Apollo selbst übernimmt, punktet mit kräftigem Bariton, auch wenn er mit seiner Mimik und Gestik teilweise unverständliche komische Akzente setzt. Anicio Zorzi Giustiniani und Kristina Hammarström lassen als Diener Evandro und Ismene keine Wünsche offen. Giustiniani punktet mit strahlendem Tenor und Hammarström verleiht der Ismene darstellerisch und stimmlich große Dramatik. So gibt es am Ende begeisterten Applaus für alle Beteiligten, in den sich auch das Regie-Team einreiht.
Die musikalische Umsetzung beweist, dass auch die italienische Fassung von Glucks Oper ihren Reiz hat und sich nicht hinter der häufiger gespielten französischen Bearbeitung zu verstecken braucht. Weitere Rezensionen zur Ruhrtriennale 2016 Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
ProduktionsteamMusikalische Leitung Regie Bühne Kostüme Licht Sounddesign Chorleitung Dramaturgie
Hammerflügel
Violoncello
Harfe Chor MusicAeterna
SolistenAlceste
Admeto
Ein Herold, Oberpriester des Apollo, Ismene
Evandro
Aspasia
Eumelo
Orakel
Weitere |
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