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Mehr Stockhausen wagenvon Stefan Schmöe / Fotos © Volker Beushausen
Fragen wir mal ganz rethorisch: Warum wird Stockhausens Carré aus dem Jahr 1960 nie aufgeführt? An der nur scheinbar abwegigen Besetzung mit vier Chören und vier Orchestern liegt es sicher nicht, denn das wird hier allein vom vom ChorWerk Ruhr und den Bochumer Symphonikern - sicher keines der technisch allerbesten Orchester, wohl aber eines der ambitioniertesten und von den Programmen her interessantesten - gestemmt, jeweils geviertelt; Mahler und Strauss forden ja auch opulente, noch größere Besetzungen. Schwieriger wird es mit dem Raum, denn die vier Klangkörper sind um das Publikum herum aufzustellen - da scheiden viele etablierte Konzertsäle mit fester Bestuhlung aus, wobei sich da mit Fantasie der Veranstalter vielleicht manches ermöglichen lassen würde. Es bleibt wohl doch das Publikum, dass in seiner Mehrzahl mit Stockhausens Radikalität nicht viel anzufangen weiß. Kaum jemand hat Tonalität und Melodie eine so konsequente Absage erteilt wie Stockhausen, und es ist berechtigt, nicht von musikalischen "Motiven", sondern von "Ideen" zu sprechen, isolierte Klangereignisse, die nach (beim Hören) unergründlichen Regeln von einem Orchester zu einem anderen weitergereicht werden, mal über die Diagonale, mal im Kreis, mal nachbarschaftlich im Ping-Pong-Verfahren.
Rund eine dreiviertel Stunde dauert dieses Carré, und in der Bochumer Jahrhunderthalle, die natürlich genug Platz und ein wunderbares Ambiente bietet, sich zudem akustisch mit moderatem Nachhall bewährt (hinter den Klangkörpern hat man reflektierende Holzwände aufgebaut), wird das Werk gleich zweimal aufgeführt - wohlgemerkt: an jedem der beiden Konzertabende. An der Sinnhaftigkeit dieses Unterfangens mag man im Vorfeld zweifeln, schließlich dauert das komplette Konzert so fast drei Stunden (nur Stockhausen!), selbst beim ersten Durchgang noch - aber nach der Pause, wenn es zum zweiten Mal erklingt und man einen anderen Platz eingenommen hat als vor der Pause (darauf wird, bei freier Platzwahl, vorab explizit hingewiesen), da erschließt sich diese Musik doch noch einmal ganz anders. In der ersten Runde saß ich im Zentrum, wo der "Surround-Effekt" besonders ausgeprägt ist; beim zweiten ganz außen, zwischen Chor-Orchester III und IV, was sich als die interessantere Lösung erwies. Die räumliche Staffelung ist größer, die Orchester noch genauer unterscheidbarer; vor allem aber ist, eine ausreichende Gelenkigkeit der Halswirbelsäule vorausgesetzt, der Blick auf die vier Dirigenten ungemein aufschlussreich, denn die verständigen sich mit Blicken und Zeichen untereinander. Musik als grandiose Kommunikationsform - das macht diese Doppel-Aufführung bewegend. Die Bochumer Symphoniker und das Chorwerk Ruhr mit den Dirigenten Rupert Huber, Florian Helgath, Matilda Hofman und Michael Alber lösen Stockhausens Raum-Zeit-Probleme mit bewundernswerter Souveränität. Und das Publikum dankt mit stehendem Applaus (Stockhausen!). Sicher, bei der Ruhrtriennale findet sich ein interessiertes, auch besonders aufgeschlossenes Publikum zusammen, aber kein elitäres. Das Wagnis Stockhausen lohnt.
Umrahmt wird das Carré von zwei rein elektronischen Kompositionen. Der Gesang der Jünglinge im Feuerofen von 1955 ist ein geradezu legendäres Pionierwerk der elektronischen Musik, ursprünglich für fünf Tonspuren konzipiert, aus technischen Gründen dann nur in vier Kanälen realisiert. Stockhausen kombiniert synthetisch erzeugte Klänge mit der verfremdeten und zerstückelten Aufnahme eines Knabensoprans (der Text stammt aus dem biblischen Buch Daniel, darin die Zeile er hat uns aus dem lodernden Ofen befreit, ist aber nur bruchstückhaft zu erkennen). Über fünf Lautsprechergruppen wandert die Musik durch den Raum. Man muss sich vergegenwärtigen, dass der Komponist im analogen Aufnahmeverfahren mit handwerklicher Technik arbeitete: Winzige Tonbandschnipsel mussten nicht nur aufgenommen, sondern auch geklebt werden, ein aus heutig digitaler Sicht wahnwitziges Unterfangen. So hängt dem Stück etwas Museales an, die collagenartig zerstückelten Klänge (die aber nicht wie in der musique concrète zusätzliche "außermusikalische" Geräusche verwenden) klingen eben auch nach der Frühzeit der Elektronik. Im Programmheft ist ein hübsches Foto von der Kölner Uraufführung, wo man von der Bühne aus sieht, wie das Publikum auf ein Lautsprecherpaar schaut. Das muss, wie die Musik selbst, seinerzeit ein erhebliches Irritationspotential gehabt haben, und diese Dimension ist inzwischen doch sehr abgemildert.
Stockhausen hat sich bis zu seinem Tod 2007 mit elektronischer Musik beschäftigt, und Cosmic Pulses ist sein letztes elektronisches Werk. 24 musikalische Schleifen in 24 verschiedenen Tempi und Tonhöhen werden raffiniert geschichtet und ziehen in den etwa 40 Minuten Aufführungsdauer in einen musikalischen Strudel ohne Ausweg. Zwei Aspekte, die in Carré noch wesentlich sind, gibt Stockhausen dabei auf: Zum einen die Qualität und Vielfalt, ja: Sinnlichkeit des einzelnen Tons, der hier durch ein physikalisch erzeugtes Gebilde ersetzt wird, dessen Qualitäten ausschließlich durch technische, nicht mehr durch ästhetische Parameter bestimmt werden; zum anderen die Nicht-Existenz ausführenden Musiker, was die Musik auch der menschlichen Sphäre entrückt. Stockhausens Glaube an außerirdische Existenzen, die über eine hohe musikalische Intelligenz verfügen und die Struktur von Cosmic Pulses mit der innewohnenden mathematisch-abstrakten "Schönheit" vielleicht unmittelbar durchschauen, mag eine Antriebsfeder für die Komposition gewesen sein. Vielen erschöpften Zuhörern war das dann doch zu viel - während der Auf- oder besser Vorführung wanderte ein erheblicher Teil des Publikums ab. Sich dieser über-menschlichen Kunst aussetzen zu können, selbst wenn die künstlerisch-ästhetischen Einstellung dahinter mit Fug und Recht angezweifelt (oder doch besser diskutiert) werden kann, gehört zu den großen Verdiensten dieses Festivals.
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CarréKarlheinz Stockhausen:Gesang der Jünglinge im Feuerofen (elektronische Musik,1956) Carré für vier Chöre und vier Orchester (1960) - Pause - Carré (Wiederholung) Cosmic Pulses (elektronische Musik,2007) Ausführende
Dirigenten
Klangregie
Inszenierung
Ton |
- Fine -