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Ruhrtriennale 2015 - 2017 (Intendant: Johan Simons)

Spielzeit 2016 (12.08.2016 - 24.09.2016)

 

Earth Diver

Musiktheater von Nicolaus Brass, Paul Verrept, Wouter van Looy und Wim Catrysse

Musik von Heinrich Schütz und Nicolaus Brass

Eine Produktion von Muziektheater Transparant und ChorWerk Ruhr für die Ruhrtriennale. Koproduziert von Klarafestival, Operadagen Rotterdam, MAfestival, B’Rock Orchestra und Escautville. Die Filmproduktion wurde unterstützt vom Vlaams Audiovisueel Fonds (VAF).

Aufführungsdauer: ca. 2h (keine Pause)

Premiere am 21. September 2016 in Salzlager der Kokerei Zollverein, Essen

Logo: Ruhrtriennale 2015-17

Wo bleibt denn nun die Krise?

von Stefan Schmöe / Fotos © Wonge Bergmann / Ruhrtriennale 2016

"Die Welt ist in der Krise." Das befindet Vasco Boenisch im Programmheft zu dieser Produktion. Er spezifiziert das noch: ""In der Klimakrise, Wirtschaftskrise, Finanzkrise, Flüchtlingskrise und so weiter." (Also gleich in mehreren Krisen.) (So ganz unrecht hat er ja auch nicht.) Einer, der ganz sicher in einer krisenhaften Welt lebte, war Heinrich Schütz, geboren 1585 und gestorben 1672, und in diese Lebensspanne fällt der Dreißigjährige Krieg mit seinen Verwüstungen, denen halb Europa zum Opfer fiel. Ob die Musik von Schütz tatsächlich so ungebrochen naiv das "Leben nach dem Tod im Himmel, das die Menschen das irdische Jammertal ertragen ließ" besingt, wie der Programmhefttext das suggeriert, sei dahin gestellt; ein Musiktheater mit dieser Musik und aktuellen Reflexionen darauf (nämlich einer eigens dafür geschaffenen Komposition von Nikolaus Brass, geboren 1949, und Soundscapes von David van Bouwel) unter dem Aspekt der Krise(nbewältigung) scheint nicht ohne Reiz.

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Der andere Ansatzpunkt von Wouter van Looy, der diesen Abend konzipiert hat, ist ein Modell des slowenischen Philosophen Slavo Zizek, wonach der Mensch - oder besser die Gesellschaft als Kollektiv - nach einem Schema in verschiedenen Phasen auf eine Krisensituation reagiert: Dem Verleugnen und Ignorieren der Krise, Zorn und Gewalt, Beschwichtigung ("wird schon nicht so schlimm werden"), Resignation und schließlich Umdeutung der Situation in einen Neuanfang. Diesen Phasen entsprechend ist auch Earth Diver konzipiert. Am Ende soll Erkenntnis stehen: "Welche Autoritäten sollen wir fahren lassen?" Das alles ist im Programmheft nachzulesen.

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Aber wo in der Aufführung könnte man das erkennen? Die wird durchzogen von einem Text von Paul Verrept, den man verstehen kann als poetische Umschreibung einer schweren Krankheit, die sich des Körpers bemächtigt (tatsächlich entspricht das Phasen-Modell Zizeks einem ganz ähnlichen, das die Phasen bei der Wahrnehmung einer unheilbaren Krankheit beschreibt). Phil Minton spricht bzw. performt diesen Text in englischer Sprache (mit deutschen Übertiteln), wobei er immer wieder das Kunststück fertig bringt, gurgelnde Laute zu erzeugen, bei denen zwei Tonhöhen gleichzeitig erklingen. Aber diese Art der Gestaltung ermüdet bald ebenso wie der Text.

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Minton sitzt in der Mitte des Raumes unter einer Art Bohrturm, von dem kreuzförmig vier Leinwände abgehen. Darauf eingeblendet werden Filmsequenzen, die Wim Catrysse in Barentsburg auf der Inselgruppe Spitzbergen im Nordpolarmeer gedreht hat - dort existiert ein russisches Kohlebergwerk samt Kraftwerk, das nicht mehr benötigt, aber immer noch betrieben wird und das hier als Symbol für ein sinnloses Dasein unter (nicht nur klimatisch) schwierigen Bedingungen steht - ein Dauerkrisenfall ohne Hoffnung sozusagen. Im Dramaturgendeutsch heißen diese Videosequenzen "visueller Resonanzraum". Vielleicht sind diese Menschen, die dort arbeiten und in die Erde hinab steigen, ja die Earth Diver. Bei allem Krisengerede sind die Bilder aber von eigentümlicher Schönheit, wirken (jedenfalls auf mich) gar nicht krisenhaft. Und die Sänger des ChorWerk Ruhr laufen in weißen Hemden und blauen Jäckchen herum wie der frohgemute Chor der Werktätigen, fast ein wenig komisch (Kostüme: Johanna Trudzinski).

Bleibt die Musik: Von unterschiedlichen Positionen um das Publikum herum singt das ChorWerk Ruhr mit vielen Chorsolisten sehr eindrucksvoll, im Klang zurückgenommen und ein wenig fragil, in der Interpretation angenehm zurückhaltend. Auch Nikolaus Brass nutzt in seiner Komposition den Raumeffekt, lässt einzelne Sänger immer wieder Töne anstimmen und von anderer Position auf anderer Tonhöhe aufgreifen, dabei meist fragmentarisch tastend im Charakter. Oft wechselt er zum Geräuschhaften, zwischendurch zitiert und verarbeitet er Schütz ganz konkret auf. Das klingt ganz schön, wird aber wohl mit dieser Produktion auch schnell vergessen werden. Der Earth Diver bleibt eine Kopfgeburt.




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Produktionsteam

Konzept und Regie
Wouter Van Looy

Musikalische Leitung
Florian Helgath

Autor
Paul Verrept

Film
Wim Catrysse

Licht
Peter Quasters

Bühne
Peter Quasters
Wim Catrysse
Wouter Van Looy

Soundscapes
David Van Bouwel

Kostüme
Johanna Trudzinski


ChorWerk Ruhr


Solisten

Performer / Vocalist
Phil Minton

Continuo
B'Rock Continuo-Gruppe

Orgel
David Van Bouwel

Laute
Wim Maeseele

Kontrabass
Tom Devaere





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